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Hallgrímur Helgason "Seekrank in München"
Schwarz spucken und malen

In Deutschland ist Hallgrímur Helgason vor allem als Schriftsteller etabliert. Dass er auch ein erfolgreicher Maler ist, wissen wenige Deutsche. Jetzt stößt er seine Leser geradezu auf diese künstlerische Seite, mit dem autobiografischen Roman "Seekrank in München".

Von Tobias Wenzel | 23.10.2015
    Blick vom Speichersee auf München bei Sonnenaufgang
    Blick vom Speichersee auf München bei Sonnenaufgang (Imago)
    Hallgrímur Helgason hat sein Auto neben einer Galerie in Reykjavík geparkt und liebkost seinen Border Collie Lukka. "Lukka" ist isländisch und bedeutet Glück. Und Lukka hat dem 56 Jahre alten isländischen Autor und Maler künstlerisch Glück gebracht, ihn zu seiner Serie "Acryl auf Dunkelheit I" inspiriert. Und die ist in ebendieser Galerie ausgestellt:
    "Die Idee kam vor zwei Jahren, als ich mit meinem Hund am frühen Morgen, der hier immer sehr dunkel ist, und auch nachts Gassi gegangen bin. Reykjavík in der Dunkelheit zu sehen, hat mich fasziniert, die Häuser, die dicken Autos davor, die angeschalteten Lampen. Aber es bleibt trotzdem viel Dunkelheit. Das wollte ich mit meinen Gemälden einfangen. In der isländischen Malerei ist bisher die Dunkelheit nicht gerade stark vertreten gewesen."
    Spucken wie ein Vulkan
    Geheimnisvoll wirken die großformatigen, realistischen Acryl-Bilder, die Helgason von Hauseingängen seines Viertels gemalt hat. Als Vorlage dienten ihm seine eigenen Fotos. Nur wenige Lichtreflexe lassen in manchen Gemälden überhaupt erkennen, dass da ein dunkles Auto vor einem Haus steht. Vieles wurde vom dominanten Schwarz geschluckt.
    Schwarz gespuckt hat der Isländer Jung, die Hauptfigur in "Seekrank in München", Helgasons neuem, ersten autobiographischen Roman:
    "Was war das? Mit der Klobürste in der Rechten stand er ratlos da und starrte die schwarzen Würmer am Boden der Schüssel an."
    Jung kommt, wie Autor Helgason, Anfang der 80er Jahre nach München, um dort Malerei zu studieren. Er fühlt sich jedoch unaufhörlich krank und spuckt, als wäre er ein isländischer Vulkan, eine magmaartige, schwarze Masse. Das gefährdet seine ohnehin schon kaum vorhandenen sozialen Kontakte. Für Hallgrímur Helgason war sein Jahr in München das schlimmste seines Lebens:
    Einsam in München
    "Einsamkeit ist das Gefühl, das mir zuerst in den Sinn kommt, wenn ich an meine Zeit in München denke. Ich bin so unschuldig und blauäugig in diese Stadt gekommen. Das Bier, das ich nie zuvor probiert hatte. Ich war vor München noch nie in einem Restaurant oder in einer Kneipe gewesen. Ich konnte praktisch kein Deutsch. Es war schrecklich. München wurde zu meinem Feind."
    Als Helgason 2011, drei Jahrzehnte später, nach München zurückkehrte, dort mit großem Erfolg seinen Roman "Eine Frau bei 1000°" vorstellte und das so gar nicht zu dem München passte, in dem er zuvor gescheitert war, erkannte er: Als Kunststudent in München war er regelrecht krank gewesen. Auch wenn er nicht wie sein Alter Ego im Roman eine schwarze Masse spuckte und sich dafür schämte.
    Scham empfand Helgason allerdings vor zwei Jahren während seiner nächtlichen Spaziergänge durch Reykjavík, bei denen er für seine Serie "Acryl auf Dunkelheit I" recherchierte:
    "Ich war währenddessen gestresst und hatte Angst, dass mich die Leute sehen könnten, während ich ihr Haus bzw. ihr Auto davor fotografierte. Das wirkt doch, als wäre ich seltsam oder pervers oder als wollte ich ihr Auto stehlen. Aber zum Glück war mein Hund dabei. Er war immer meine Entschuldigung."
    Schwarze Periode
    Seine Hündin Lukka wartet schon ungeduldig draußen im Auto, während Hallgrímur Helgason drinnen in der Galerie die letzte Frage beantwortet: Wie es sein kann, dass die Farbe Schwarz plötzlich eine so große Rolle in seiner Kunst spielt.
    "Das ist schon komisch. Ich bin wohl gerade in meiner schwarzen Periode."
    Den Hass auf München hat sich Helgason mit seinem neuen Roman und mit viel schrägem Humor von der Seele geschrieben. Mittlerweile liebe er München fast schon, erzählt er noch über die Stadt, in der seine Hauptfigur schwarze Materie spuckt und sie einmal in einer Mülltüte verschwinden lässt:
    "Sollte er den Klumpen nicht doch wieder an sich nehmen? Vielleicht ließ er sich für ein Kunstwerk verwenden. Vomito d'artista?"
    Da ahnt der Antiheld noch nicht, dass ihn das erbrochene Kunstwerk schließlich ins Gefängnis bringt.
    Hallgrímur Helgason: "Seekrank in München"
    Roman. Aus dem Isländischen von Karl-Ludwig Wetzig. Tropen Verlag 2015. 415 Seiten. 19,95 Euro
    Helgason kommt mit seinem neuen Roman auf eine kurze Lesereise nach Deutschland: Am 9. November liest er in Berlin, am 10. in Kiel und am 11. November in München.