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"Halten an der Ehe als Leitbild fest"

Die Prinzipien der Ehe wie Treue und Fürsorge wolle man auch für andere Beziehungen, sagt Susanne Breit-Keßler, Regionalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Dennoch halte man an der traditionellen Ehe und der Familie fest. Kritik an dem Familienpapier der Evangelischen Kirche zu dem Thema kann sie deshalb nicht verstehen.

Susanne Breit-Keßler mit Christoph Heinemann | 26.07.2013
    Christoph Heinemann: 160 Seiten stark ist die sogenannte "Orientierungshilfe" des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Überschrift: "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken". Das Werk ist wenige Wochen alt und es hat es in sich.
    Am Telefon ist Susanne Breit-Keßler, Regionalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Guten Morgen!

    Susanne Breit-Keßler: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Frau Breit-Keßler, gehört das Scheidungsrecht künftig zur evangelischen Eheschließung?

    Breit-Keßler: Nein, das gehört nicht dazu. Aber wir müssen ja auch realitätsnah sein und es ist, denke ich, immer gut, wenn man sich sehr genau überlegt, bei aller Liebe und bei aller Verliebtheit, auf was man sich einlässt. Zum Christsein hat schon der Realitätssinn immer dazugehört.

    Heinemann: Ist das Treueversprechen "bis dass der Tod euch scheidet" aus evangelischer Sicht noch gültig?

    Breit-Keßler: Absolut! Es ist total gültig. Wir wissen zwar, dass wir als Menschen scheitern können und dann auf die Vergebung Gottes angewiesen sind, aber es ist ganz klar, dass wir prinzipiell an der Unauflöslichkeit der Ehe festhalten.

    Heinemann: Aber sicherheitshalber sollte man vorher schon das Scheidungsrecht studieren?

    Breit-Keßler: Nein, sicherheitshalber nicht. Aber ich denke, aufgrund des Scheidungsrechts ist es für Frauen auch wichtig zu wissen, was sie erwartet. Sie können nicht mehr davon ausgehen, dass sie dann vom Mann aus- oder durchgehalten werden, sondern sie müssen einfach selber wissen, dass sie für ihre Rentenansprüche sorgen sollen, für ihr Einkommen. Ich denke, das ist einfach ganz vernünftig. Dass man das am Tag der Hochzeit nicht überlegt, das ist auch klar, aber es ist doch wichtig, dass man weiß, wie kann ich für mich, eventuell auch für Kinder gut sorgen.

    Heinemann: Sie reden wie ein Standesbeamter.

    Breit-Keßler: Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, dass uns unser Ur-Reformator Martin Luther beigebracht hat, sehr, sehr vernünftig zu sein und auch den Verstand zu gebrauchen. Das gehört auch dazu. Und die andere Seite ist die Treue, die Verlässlichkeit, die Liebe zueinander und das wunderbare Glücksgefühl, verheiratet zu sein, eine Familie zu haben.

    Heinemann: 1998 definierte die EKD die Ehe noch als vorbehaltlose und unverbrüchliche Lebensgemeinschaft von Frau und Mann. Davon findet sich in Ihrer Orientierungshilfe nichts mehr. Warum?

    Breit-Keßler: Wir sind einfach selbstverständlich davon ausgegangen. Man muss ja auch überlegen: Es ist ein Familienpapier. Es geht um Familie, auch um seelsorgerliche Aspekte, wie man Familie akzeptieren und bejahen kann. Es geht nicht vorrangig um die Ehe in dem Papier, das war nicht der Auftrag. Ausgegangen sind wir von der Situation beispielsweise alleinerziehender Mütter und Väter, die mit ihren Kindern auch Familie sind und sein wollen.

    Heinemann: Dennoch kritisiert auch Margot Käßmann, die frühere Ratsvorsitzende. Sie sagt, sie hätte die positiven Seiten der Ehe gern deutlicher herausgestellt gesehen. Warum Sie nicht auch?

    Breit-Keßler: Das hätten wir vielleicht auch noch machen können. Der Auftrag war aber ein anderer. Sicherlich: Aufgrund der Diskussion kann man sich überlegen, ob man das vielleicht in einem Kapitel vorneweg noch mal deutlicher hätte machen können. Was für uns absolut selbstverständlich ist, dass natürlich die Ehe als traditionelle Lebensform für uns nach wie vor Leitbild ist und dass wir deren Prinzipien auf andere Beziehungen übertragen. Das hätte man eventuell deutlicher machen können, damit es keine Missverständnisse gibt. Das mag richtig sein, ja.

    Heinemann: Zu den Missverständnissen gehört wohl auch, dass der biblische Satz, wonach es nicht gut sei, wenn der Mensch alleine ist, mir nichts, dir nichts hier in diesem Papier auf alle Formen des Zusammenlebens angewandt worden sei.

    Breit-Keßler: Na ja, mit mir nichts, dir nichts wäre ich vorsichtig. Das, denke ich, haben wir nicht getan. Es ist auf jeden Fall eine existenzielle Beschreibung in der Bibel, dass es nicht gut ist, dass der Mensch alleine sei. Die vorrangige Beziehung ist die zwischen Mann und Frau, das ist die Normalität, das ist das Häufigste und das bejahen wir ja auch aus ganzem Herzen.

    Heinemann: Ist es die Aufgabe der Evangelischen Kirche, dem Zeitgeist hinterherzuhecheln?

    Breit-Keßler: Tun wir nicht! Wir gehen von dem biblischen Befund aus und der zeigt eine große Vielfältigkeit in der Bibel, ganz verschiedene Lebensformen, die auch nicht alle nur Begeisterung auslösen können, aber er zeigt eine riesige Vielfalt und das nehmen wir ernst. Ich habe umgekehrt mit all denen Probleme, die die Bibel an jedem Punkt wortwörtlich nehmen. Dann dürften Männer sich auch nicht mehr die Haare schneiden und die Bärte rasieren lassen und man müsste bei Gelegenheit auch ab und zu mal steinigen. Das will ja wohl auch keiner.

    Heinemann: Aber wenn man vieles zur Disposition stellt, jetzt nicht unbedingt die Bärte und die Steine, dann bedeutet evangelisch sein irgendwann nur noch "Piep, piep, piep, Jesus hat euch lieb".

    Breit-Keßler: Nein! Wir stellen gar nichts zur Disposition. Wir halten an der Ehe als Leitbild fest, auch wenn das mancher da nicht erkennen mag. Wir sind getrieben von der Seelsorge, von der Fürsorge um Menschen, die heute leben, und für uns ist die Mitte dessen, was wir zu sagen haben, das, was Luther auch gesagt hat, was Christtum treibet. Und das sind nicht einfach einzelne Vorschriften, die man hochhängt, sondern sagt, was tut Not, was brauchen Menschen heute, wie können wir uns ihnen zuwenden. Und die Prinzipien der Ehe, Treue, Fürsorge, Verlässlichkeit, über Generationen hinweg zueinanderstehen, das wollen wir für andere Beziehungen auch.

    Heinemann: Erschwert dieses Bild von der Ehe – ich bleibe noch mal bei der Ehe – eine ökumenische Annäherung von katholischen und protestantischen Christen?

    Breit-Keßler: Auf Dauer, glaube ich, nicht. Es hat sich herausgestellt, dass viele, die fürchterlich über dieses Papier gezetert haben, es noch gar nicht gelesen hatten, sondern sich erst mal auf Pressemitteilungen gestürzt haben. Wer das dann etwas genauer liest, kommt zum Teil zu anderen Auffassungen. Das haben wir im Gespräch auch mit katholischen Bischöfen jetzt schon erlebt. Also ich denke, man muss mal reinschauen in das Papier, überlegen, was wollte dieses Papier und was wollte es nicht. Es wollte jedenfalls nicht an den Grundfesten der Ehe rütteln.

    Heinemann: Das scheint aber, gründlich daneben gegangen zu sein?

    Breit-Keßler: Ach, ich finde, es ist nicht daneben gegangen. Es ist doch gut, wenn man debattiert. Manchmal ist mir der Ton etwas unterhalb der Gürtellinie, aber das kommt in Diskussionen gelegentlich auch vor. Ich finde es wichtig, dass wir jetzt mal draufschauen, wie verstehen wir Ehe und Familie, was ist mit Alleinerziehenden mit ihren Kindern, sind das Familien, was ist mit Witwen, die im Alter zusammenziehen, weil sie nicht alleine sein möchten, sondern jemand brauchen, können wir das auch als eine Art Familie betrachten oder nicht. Mich interessiert eigentlich bei den Gegnern des Papiers auch sehr, wen möchten sie denn gerne ausschließen. Das ist ja auch eine interessante Frage. Dazu sollte man sich dann auch bekennen.

    Heinemann: Hat Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende, die Sprengwirkung dieses Papiers unterschätzt?

    Breit-Keßler: Das glaube ich nicht, denn immer, wenn es um Fragen geht, die im weitesten Sinne den sexualethischen Bereich betreffen, wird es hitzig, wird es heiß, wird es quicklebendig, und da fühlen sich Leute sehr betroffen. Vielleicht haben wir alle nicht daran gedacht, dass Verlustängste so groß sein könnten im Blick auf traditionelle Formen, die wir ja gar nicht kritisieren, dass auch die Trauer groß ist, wenn man denkt, es gibt neben den traditionellen Formen auch noch was anderes. Mag sein, dass wir so nicht daran gedacht haben. Aber es ist verkehrt! Wir halten an der traditionellen Ehe und der traditionellen Familie fest und mir, wenn ich verheiratet bin, nimmt doch keiner was weg, wenn er in einer anderen Form lebt. Deswegen bleibt doch meine Ehe genauso wunderbar, wie sie ist, und bleibt anerkannt und bestehen.

    Heinemann: Dennoch ist ja sehr viel Unruhe gegenwärtig in der Evangelischen Kirche. Sollte der Ratsvorsitzende, sollte Nikolaus Schneider den Hut nehmen, vielleicht nach dem Beispiel von Papst Benedikt XVI.?

    Breit-Keßler: Ach wo! Wozu denn? Ich meine, der Rat hat als Ganzes das entschieden, nicht Nikolaus Schneider alleine. Er ist Ratsvorsitzender, ja, aber der Rat hat sich für dieses Papier entschieden. Er hätte es ja auch wegschmeißen können. Er fand das aber gut, das hat eine Debatte angestoßen und durch die Debatte müssen wir durch. Das ist allemal besser, als wenn man einschläft und gar nichts mehr zu diskutieren hat. Es ist gut, wenn wir uns auseinandersetzen, was auch immer dabei herauskommt.

    Heinemann: Susanne Breit-Keßler, die Regionalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Breit-Keßler: Ich danke Ihnen, Herr Heinemann. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.