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Hamas und Fatah
Kein Versöhnungswille erkennbar

Besonders im Gaza-Streifen hatten die Menschen große Hoffnungen in den sogenannten Versöhnungsprozess von Hamas und Fatah gesetzt. Doch die rivalisierenden Gruppen können sich nicht einigen. Den Preis zahlt die Bevölkerung. Statt geöffneter Grenzübergänge und regelmäßiger Stromzufuhr erleben sie vor allem eines: Ernüchterung.

Von Tim Aßmann | 28.12.2017
    Vertreter der beiden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah haben in Kairo ein Abkommen zur Versöhnung unterzeichnet.
    Da standen die Zeichen noch auf Hoffnung: Im Oktober unterzeichnten Vertreter der beiden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah ein Abkommen zur Versöhnung. (AP Photo / Nariman El-Mofty)
    Später Vormittag in Gaza-Stadt. Auf einem Lebensmittelmarkt werben junge Männer an Obstständen lautstark für ihre Waren. Eigentlich ist um diese Zeit viel los auf den Märkten, aber die Geschäfte gehen schlecht. Die Menschen im Gaza-Streifen versuchen ihr Geld zusammen zu halten und nur das Nötigste zu kaufen. Auch dieser Mann, Mitte 50, geht die enge Gasse mit den Verkaufsständen entlang ohne etwas mitzunehmen.
    "Die Lage ist sehr schlecht. Viele hier sind arbeitslos und haben deshalb kein Geld und die Angestellten bekommen 40 bis 50 Prozent weniger Gehalt. Ich bin einer von Ihnen."
    Der Mann ist öffentlicher Angestellter und sein Gehalt bekommt er von der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah. Doch die überweist seit dem Frühjahr nur noch 50 bis 60 Prozent. So will Palästinenserpräsident Abbas Druck auf die verfeindete Hamas machen, die den Gaza-Streifen kontrolliert. Diese und andere Sanktionen hält Abbas auch jetzt noch aufrecht, obwohl seine Fatah-Partei und die Hamas Mitte Oktober ein Versöhnungsabkommen geschlossen haben.
    Strassenszene in Gaza Stadt. Ein Eselskarren und ein Motorrad sowie mehrere Männer stehen vor heruntergekommen wirkenden Gebäuden.
    Bilder aus Gaza-Stadt: Viele Menschen sind arbeitslos. Geld für Lebensmittel oder eine regelmäßige Stromzufuhr haben die wenigsten. (dpa / picture alliance / Mika Schmidt)
    Große Hoffnungen in Versöhnungsprozess gesetzt
    Eigentlich hatte der Palästinenserpräsident zugesichert, die Sanktionen aufzuheben und also auch die Gehälter wieder voll zu zahlen, wenn die Hamas die Kontrolle über den Gaza-Streifen an Abbas und seine Autonomiebehörde übergibt. Auf dem Papier ist das auch geschehen – hinter den Kulissen klammert sich die Hamas aber an die Macht und deswegen hält Abbas auch an seinen Zwangsmaßnahmen fest. Den Preis dafür, dass sich Hamas und Fatah nicht einigen, zahlt einmal mehr die Bevölkerung. Dabei hatten die Menschen große Hoffnungen in den sogenannten Versöhnungsprozess gesetzt. Nun spricht der Mann auf dem Markt in Gaza-Stadt stellvertretend für viele, wenn er sagt, dass den beiden rivalisierenden Gruppen der Versöhnungswille fehlt.
    "Das ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Beide Seiten sind mit der Absicht in die Gespräche gegangen für sich das Beste herauszuholen. Deshalb konnte das Ganze gar nicht gelingen."
    Akram Atala wohnt nicht weit von dem Lebensmittel-Markt entfernt. Atala ist ein bekannter politischer Kolumnist. Er schreibt für die in Ramallah erscheinende Zeitung Al Ayam. Über den innerpalästinensischen Bruderkampf zwischen Hamas und Fatah hat Atala oft geschrieben. Darüber wie die Hamas die Fatah vor zehn Jahren mit Gewalt aus dem Gaza-Streifen vertrieb, darüber wie der Streit die Palästinenser politisch lähmte und auch darüber wie beide Seiten immer wieder miteinander verhandelten und einmal sogar eine Einheitsregierung bildeten, die dann allerdings zerbrach. Atala fürchtet, dass auch dieser Versuch den Konflikt zwischen Hamas und Fatah beizulegen, scheitern wird – an der mangelnden Kompromissbereitschaft der Kontrahenten.
    "Es gibt in beiden Lagern keine Bereitschaft zu Kooperation und Partnerschaft. Die Fatah will die Macht komplett übernehmen und sie nicht teilen. Die Hamas wiederum will, dass ihre Angestellten Gehälter bekommen, dass ihre Leute ihre Position behalten und die Miliz soll natürlich bewaffnet bleiben. Fatah, soll aus Sicht von Hamas, lediglich für alles bezahlen. Es wird zu keiner Verständigung kommen, weil beide Seiten unter Versöhnung etwas völlig Unterschiedliches verstehen."
    Palästinenser warten an der Grenze bei Rafah
    Warten auf die Grenzüberquerung nach Ägypten: Hamas und Fatah hatten eine stabile Öffnung des Übergangs als Teil ihres Abkommens versprochen. (AFP PHOTO/ SAID KHATIB )
    Der Zustand, den der Kolumnist beschreibt, lässt sich zum Beispiel an den Grenzübergängen zum Gazastreifen beobachten. Dort stehen seit einigen Wochen Sicherheitskräfte der Autonomiebehörde. Offiziell haben sie die Kontrolle der Übergänge übernommen, aber sie sind unbewaffnet und damit Grenzbeamte von Hamas-Gnaden. Die Entwaffnung ihres eigenen militärischen Armes lehnt die Bewegung strikt ab. Das ist ein Streitpunkt in den Verhandlungen mit der Fatah und ein Grund dafür, dass die Sanktionen der Autonomiebehörde weiterhin bestehen.
    Hinzu kommt, dass die Grenze zu Ägypten nur sporadisch geöffnet wird und dann auch jeweils nur wenige ausreisen dürfen. Eine dauerhafte stabile Öffnung des Übergangs hatten Hamas und Fatah aber versprochen, als sie ihr Versöhnungsabkommen unterschrieben. Ägypten hatte vermittelt, die Hoffnung auf ein Ende der ägyptischen Abriegelung hat sich für die Menschen im Gaza-Streifen aber bisher nicht erfüllt. Auch deshalb sei die Enttäuschung in der Bevölkerung groß, sagt der politische Kolumnist Akram Atala.
    "Die Leute haben das Vertrauen in Hamas und Fatah verloren. Die wirtschaftliche Lage ist ein Desaster. Es gibt keinen Strom, keine Arbeit, kein Geld. Die Menschen sehen es so, dass Hamas und Fatah die Chance zur Versöhnung nicht genutzt haben, obwohl die Leute hier so große Hoffnungen darin setzten. Nun sind sie enttäuscht und fühlen sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen. Deshalb sind sie auch nicht bereit, irgendwelchen Protestaufrufen zu folgen."
    Und deshalb, so sieht es Akram Atala, sind die Proteste gegen die Jerusalem-Entscheidung von Donald Trump auch im Gaza-Streifen bisher relativ klein geblieben.
    "Das Geld reicht vorne und hinten nicht"
    Zu Besuch bei der Familie Shamali, am Rande von Gaza-Stadt. Die drei erwachsenen Söhne der Familie sind alle im öffentlichen Dienst oder waren es. Der 32-jährige Hisham ist Röntgenassistent in einem Krankenhaus und Vater von drei Kindern. Wegen der Kürzungen aus Ramallah bekommt er jeden Monat nur 40 Prozent seines Gehalts.
    "Das Geld reicht vorne und hinten nicht. Ich habe viele Schulden und mir droht deswegen sogar eine Haftstrafe. Ich habe Glück, dass wir mietfrei bei meinen Eltern wohnen können. Sonst säßen wir auf der Straße."
    Einer seiner zwei Brüder ist eigentlich Englischlehrer, aber eben auch Fatah-Mitglied und deswegen ohne Job, seit die Hamas das Ruder übernahm. Sein Gehalt bekam er weiter von der Autonomiebehörde. Zehn Jahre lang. Nun ist auch er von den Kürzungen betroffen. Der dritte Bruder Khaled war Offizier in der palästinensischen Nationalgarde von Präsident Abbas – seit dem Putsch der Hamas hat er die Kaserne nicht mehr von Innen gesehen. Nun hofft er auf eine Rückkehr. Kann sich Khaled Shamali vorstellen mit ehemaligen Hamas-Milizionären, gegen die er vor zehn Jahren noch kämpfte, künftig vielleicht in einer Einheit zu dienen
    "Wenn wir den Befehl bekommen, werden wir auch zusammen arbeiten können. Ich glaube, das kann funktionieren – wenn sie es auch wollen."
    Und so wird aus den Worten des Fatah-Anhängers und Ex-Soldaten deutlich, dass es viel mehr braucht als ein Versöhnungs-Abkommen um die innerpalästinensische Spaltung nach zehn Jahren zu überwinden.