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Hamburg
Der langsame Weg zum schnellen Radeln

Hamburg war 2018 die erste deutsche Stadt, die Fahrverbote für Dieselautos verhängte. Die Maßnahme zeigte auch, dass Bedarf nach einer größeren Mobilitätswende besteht. Dazu soll auch der Bau von Radschnellwegen gehören, von der vor allem Pendler profitieren sollen. Über Details wird aber noch gestritten.

Von Axel Schröder | 21.11.2019
28.05.2018, Hamburg: Eine Fahrradfahrerin fährt auf einer Fahrradstraße an der Außenalster. Der Ausbau zur Fahrradstadt geht dem ADFC in Hamburg nicht schnell genug. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa | Verwendung weltweit
Fahrradstraße in Hamburg (Daniel Bockwoldt/dpa )
Wie weit der Weg zur Fahrradstadt noch ist, wird beim Radeln durch die Hamburger Straßen klar. Nicht nur in den Außenbezirken, auch auf den großen Verkehrsachsen, auf der Max-Brauer-Allee oder der Stresemannstraße, gibt es immer noch Strecken ganz ohne Radweg. Und da, wo es welche gibt, enden sie schon mal mitten auf vielbefahrenen Kreuzungen.
Das Ziel, Jahr für Jahr in Hamburg 60 Kilometer Radweg neu zu bauen oder zu sanieren, wird schon seit Jahren verfehlt. Aber schon Mitte der Zwanzigerjahre sollen auch aus dem Umland die ersten so genannten Radschnellwege ins Zentrum führen, erklärt Hartmut Teichmann, Stadtplaner aus Pinneberg.
"Von der Breite her sind es vier Meter Standardausbau. Auch asphaltiert. Man hatte so im Auge, dass zwei Fahrradfahrer bequem nebeneinander fahren können und trotzdem noch überholt werden können."
Sieben Radschnellwege ins Zentrum geplant
Aus allen Himmelsrichtungen sollen die sieben Radschnellwege einmal ins Zentrum führen und so den Umstieg vom Auto aufs Fahrrad oder Pedelec möglichst attraktiv machen, erklärt Teichmann. Immerhin würden jeden Tag allein von Pinneberg aus rund 60.000 Menschen nach Hamburg aufbrechen und am Abend wieder zurückkehren. Ein Teil davon nutzt die dafür die Bahn, ein Gutteil aber auch das Auto.
"Wenn man sich das anguckt, wie viele sich da über die A23 nach Hamburg reinquälen, dann kann man sich das gut vorstellen. Und wenn von denen so viele abgreifen, dass wir davon 25 Prozent aufs Rad kriegen, vom Modal Split her, dann denke ich, können wir schon zufrieden sein."
Im Moment laufen aber erst die Machbarkeitsstudien für das Infrastrukturprojekt. Die sind nötig, um die Fördergelder zu beantragen, die der Bund zur Verfügung stellt. Und wie immer stecke der Teufel auch bei den frühen Planungen im Detail: Wo kreuzen die Radschnellwege Eisenbahnstrecken, wo eine Autobahn? Wie viele Grundstücksbesitzer müssen mit eingebunden werden? Und wie kann der Radweg dann im dicht bebauten Stadtgebiet ans Ziel geführt werden, ohne dem Autoverkehr zu viel Platz zu nehmen?
Fahrradtrassen möglichst an Bahnhöfe anbinden
Die Streckenlängen seien, gerade in Zeiten von motorisierten Elektro-Räder, jedenfalls gut zu bewältigen, sagt Stadtplaner Teichmann: "Von Pinneberg aus ist es durchaus machbar, nach Hamburg reinzufahren. Das sind 13 Kilometer. Aber um einfach die Option zu bieten, dass man eben auch geringere Entfernungen mit dem Fahrrad fährt, haben wir das immer so im Blick, dass wir auch immer die Bahnhöfe, die S-Bahnhöfe gut anbinden."
Auch der Berliner Senat arbeitet gerade an den Machbarstudien für Radschnellwege, die das Zentrum mit der Peripherie verbinden sollen. Viel weiter sind die Planer dagegen im Ruhrgebiet. Dort begannen die Arbeiten schon 2012. Heute nutzen Radlerinnen und Radler schon elf von insgesamt 101 Kilometern des "Radschnellwegs Ruhr", erzählt Frank Joneit vom zuständigen Regionalverband.
Radweg zwischen Essen und Mülheim an der Ruhr, ehemalige Bahntrasse. Herzstück des zukünftigen Radschnellwegs Ruhr.
Radverkehr soll für Pendler - wie hier im Ruhrgebiet - auch in Hamburg ausgebaut werden (imago stock&people/Jochen Tack)
"Wir haben heute auf den Abschnitten, wo er schon fertiggestellt wurde, Nutzendenzahlen von über 2.000 pro Tag. Gerade da, wo wir die Hochschulstandorte haben. Insofern sind wir genau auf dem richtigen Weg und wir haben keine Angst, dass wir die Prognose nicht erreichen, sondern ich denke schon, dass wir gute Chancen haben bei einer Realisierung die Prognose auch zu übertreffen."
Vorbilder Ruhrgebiet und die Niederlande
Dann würden, schätzt Joneit, jeden Tag über 50.000 Autofahrten eingespart. Was Radschnellwege leisten können, lässt sich zum Beispiel in den Niederlanden beobachten. Dort starteten die Arbeiten schon in den Achtzigerjahren. Heute gibt es dort schon ein Radschnellwegenetz mit einer Gesamtlänge von 300 Kilometern. Und um den Autofahrern den Umstieg schmackhaft zu machen, hätten die niederländischen Planer zum Teil auch eine besondere Streckenführung gewählt, erklärt Philine Gaffron, Mobilitätsforscherin an der Technischen Universität Hamburg:
"Es gibt ein ganz interessantes Projekt in der Nähe von Arnheim. Da haben sie den Radschnellweg absichtlich direkt neben die Autobahn gelegt. In dem Bestreben, den im Stau stehenden Autofahrenden zu zeigen, wie schnell man doch vorankommen kann, wenn man sich aufs Fahrrad setzt."
Einerseits, so Philine Gaffron, müsse Radfahren attraktiver werden. Gleichzeitig sollte es Autofahrern langsam aber sicher schwerer gemacht werden, in die Innenstädte zu gelangen. Durch erhöhte Parkgebühren, durch autofreie Zonen oder Tempo 30. Ein Problem wird trotzdem bleiben: das Wetter. Im Winter, das zeigen alle dazu vorliegenden Studien, sinkt die Zahl der Radfahrenden. Die Nutzung von Bussen und Bahnen steige für einige Monate an.
Langsam aber sicher komme die Mobilitätswende voran, sagt der Pinneberg Stadt- und Verkehrsplaner Hartmut Teichmann. Und langsam, aber sicher wird sich auch in Deutschland ein Mentalitätswechsel vollziehen. Wenn es nach ihm geht, nach dem Beispiel der Niederlande, in Richtung Fahrradland: "Das sind wir noch nicht. Wir sind Autoland. Noch!"