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Hamburg diskutiert Modell der Ganztagsschule

Hamburg will allen Grundschulkindern in den kommenden Jahren eine kostenlose, ganztägige Betreuung ermöglichen. Bislang stand dieses Angebot nur berufstätigen Eltern offen, die anhand eines Gutscheinsystems Anspruch auf einen kostenfreien Hortplatz hatten.

Von Verena Herb | 17.01.2012
    "Wir möchten gerne, dass von den 200 Grundschulstandorten in den nächsten Jahren mindestens weitere 100 Grundschulen zu Ganztagsschulen werden."

    Hamburgs Schulsenator Ties Rabe hat Großes vor: In den kommenden Jahren will er allen Schulkindern in der Hansestadt eine kostenlose ganztägige Bildung und Betreuung ermöglichen. Bislang stand dieses Angebot nur berufstätigen Eltern offen, die anhand eines Gutscheinsystems Anspruch auf einen kostenfreien Hortplatz hatten. Mit dem neuen Programm, dem sogenannten GBS – das steht für ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen – sollen alle Kinder erreicht werden. Auch und vor allem die Kinder in den eher ärmeren Stadtteilen.

    "Wir können mit diesem System vermutlich über 10.000 Kindern mehr als bisher einen zusätzlichen Platz an Ganztagsschulen anbieten."

    Die Neuerung ist eine große Herausforderung: Für die Schulen wie auch für die Horte, die ihre Expertise nun an den Schulen einbringen sollen und Kooperationen mit Grundschulen schließen, um die Kinder dann tatsächlich in den Schulen zu betreuen.

    Mittlerweile arbeiten fast 30 Grundschulen in Hamburg als Modellschulen mit dem System der GBS, sind Vorreiter bei dieser Hortreform. Bei dem neuen Konzept handelt es sich um eine pädagogische Betreuung, nicht um einen Unterrichtsplan, der Vor- und Nachmittag erfasst. Sondern die Kinder werden nach dem Unterricht von 13 bis 16 Uhr kostenlos betreut. So auch an der Schule Schimmelmannstraße in Hamburg-Marienthal. In Kooperation mit dem Kita- und Hortträger in der Nähe werden die Kinder nun in der Schule betreut: von 350 Kindern nutzen 200 die Betreuung am Nachmittag, sagt Marcus Bartels, Vorstand des Elternrates der Schule:

    "Die Kinder freuen sich jeden Nachmittag von Neuem, mit den Betreuern da was zu unternehmen."

    Seine achtjährige Tochter ist dreimal die Woche bis 16 Uhr in der Schule – und ist begeistert:

    "Ein Highlight ist zum Beispiel das Kochen. Fußballspielen – meine Tochter spielt Fußball. Die machen 'ne Theatergruppe, wichtig auch immer wieder: Einfach nur freies Spielen in Gruppen. Was auch immer. Oder auf dem Schulhof toben. Wir haben sehr viele Bewegungsgeräte auf dem Schulhof, damit wird rumgefahren. Sehr, sehr viele Aktivitäten."

    Doch viele Eltern befürchten Verschlechterungen – vor allem jene, die die Vorzüge der Horte genossen: Die pädagogische Qualität der Horte lasse sich nicht in die Klassenräume verlagern, meint auch Walter Scheuerl von der Initiative "Wir wollen lernen". Er hatte schon den zurückliegenden Protest gegen die Primarschule initiiert. Im Hamburger Lokalfernsehen sagte er:

    "Im Moment ist es so, dass wir sehr viele sehr gute Hortbetreuungsplätze haben am Nachmittag mit einer großen Flexibilität für die Kinder. Und Herr Rabe versucht, es übers Knie zu brechen, diese gesamte freie Hortbetreuung nach Möglichkeit in die Schulklassen, in die Schulräume reinzudrücken, ohne dort vernünftig geplant zu haben."
    Schulsenator Ties Rabe, SPD, sieht das erwartungsgemäß anders.

    "Wir nehmen diese Kritik ernst. Und die müssen wir in der Tat uns genau angucken. Und da gibt es viele Punkte, auf die wir jetzt schon eingegangen sind."

    Dass die Betreuung der Schüler in der Schimmelmannstraße so gut funktioniere, sei vor allem der ambitionierten Zusammenarbeit von Schule, Hort gemeinsam mit den Eltern zu verdanken, erklärt Dorit Tschammer, die schon von Beginn an in der Projektgruppe zur GBS an der Schimmelmannstraße mitgearbeitet hatte:

    "Gerade als Eltern, die ja für ihre Kinder das beste wollen, konnten wir uns gut einbringen mit unseren Ideen und Wünschen, die natürlich nicht alle realisierbar sind, aber immer ein Stück weit berücksichtigt wurden."

    Doch wie sieht das an Schulen aus, wo die Elternschaft nicht so engagiert mitarbeitet? Seitens der Behörde habe es nämlich keine inhaltliche Unterstützung bei der Umsetzung gegeben, bemängeln Eltern und Lehrer sowie die Schulleitung von der Schimmelmannstraße. Sie fordern, wie übrigens der Landeselternausschuss LEA in Hamburg auch, eine Steuerungsgruppe, die die komplette Planung für die Einführung übernimmt, Erfahrungswerte der Pilotschulen zusammen trägt und den anderen Schulen bei der Umstrukturierung unter die Arme greift.

    Ursprünglich hatte Schulsenator Ties Rabe eine komplette Umsetzung bis zum Schuljahr 2013/2014 avisiert. Doch nach großem Protest von Schulen, Eltern und Jugendhilfeträgern, sprich den Hort- und Kitabetreibern, hat sich der Senat von diesem ambitionierten Zeitplan inzwischen bereits verabschiedet. Eine terminliche Festlegung gibt es nun nicht mehr. "Möglichst zeitnah" heißt es jetzt.