Freitag, 19. April 2024


Hammer oder Feder

Physik. - Bereits vor 400 Jahren warf Galileo Galilei angeblich Kanonenkugeln und Schrotmunition vom schiefen Turm zu Pisa und kam - der Legende nach - auf die Idee, dass die Fallgeschwindigkeit unabhängig von Material und Größe sei. Für Albert Einstein war diese so genannte Äquivalenz von schwerer und träger Masse der Ausgangspunkt für seine Allgemeine Relativitätstheorie. Wie solide die Basis der Einstein’schen Gravitationstheorie tatsächlich ist, wollen Physiker in Bremen testen.

Von Frank Grotelüschen | 22.02.2005
    Ganz oben sehen wir die Spitze des Turms. Der Turm selber ist 150 Meter hoch, die freie Fallhöhe 110 Meter. Und von ganz da oben fallen die Kapseln nach unten, die wir vor jedem Abwurf da hinaufziehen müssen.

    Er ist fast eine Art Wahrzeichen der Universität Bremen – der Fallturm. Hansjörg Dittus steht gerade vor ihm und kramt in der Hosentasche nach einem Schlüssel. Wir gehen hinein in den gelb lackierten Metallspargel, legen den Kopf in den Nacken und schauen senkrecht nach oben.

    Wir stehen jetzt vor der eigentlichen Vakuumröhre, die hinaufreicht etwa 120 Meter vom Boden aus. Dreieinhalb Meter ist der Durchmesser.

    4,5 Sekunden braucht die mannshohe Messkapsel von da oben nach hier unten. 4,5 Sekunden freier Fall, und solange herrscht Schwerelosigkeit in der Kapsel. 4,5 Sekunden lang laufen Experimente in der Kapsel, Spezialsensoren registrieren die Messdaten. Am Ende rauscht das Gerät mit 170 Sachen in ein Becken, acht Meter hoch gefüllt mit Styroporkügelchen. Dort wird es überraschend sanft gebremst. Mit ihrem Fallturm testen die Experten gewöhnlich die neueste Raumfahrttechnik. Hansjörg Dittus aber hat etwas anderes im Sinn: Er möchte herausfinden, ob Albert Einstein wirklich richtig lag mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. Die nämlich fußt auf der Annahme, dass im luftleeren Raum eine Vogelfeder genauso schnell fällt wie eine Bleikugel. Äquivalenzprinzip, so nennt das der Physiker.

    Dieses Äquivalenzprinzip hat Einstein für seine Theorie zur fundamentalen Hypothese erhoben. Darauf basiert die ganze Theorie.

    Vor 400 Jahren hatte Galileo Galilei angeblich Kanonenkugeln und Schrotmunition vom schiefen Turm zu Pisa gewuchtet. Dabei soll ihm die entscheidende Erkenntnis gekommen sein: Jeder Gegenstand, unabhängig von Material und Größe, fällt gleich schnell zu Boden. Eben diesen Versuch wollen Dittus und seine Leute in Bremen wiederholen.

    Im Prinzip ist das das Gleiche. Die Experimente sind ja relativ einfach: Man hat zwei Testmassen, die aus möglichst unterschiedlichen Materialien gefertigt sind. Die lässt man fallen und guckt, welcher der beiden Körper zuerst unten aufkommt.

    Konkret wollen die Forscher zwei Zylinder miteinander vergleichen: einen kleinen aus schwerem Platin-Iridium und einen etwas größeren aus leichtem Silizium. Das Problem: Die Kapsel fällt nur 4,5 Sekunden lang. Sollte dabei einer der beiden Zylinder schneller fallen als der andere, muss man extrem genau messen können, um den Unterschied zu sehen.

    Hier im Fallturm würde das bedeuten, dass man den Abstand der beiden Körper in einer Größenordnung von etwa einem Hundertstel Atomdurchmesser kennen muss. Das ist natürlich eine messtechnische Herausforderung.

    Also greifen Dittus und Co zu einem Trick: Wie bei einer russischen Puppe hängen sie den kleinen Platin-Iridium-Zylinder ins Innere des Siliziumzylinders – und zwar magnetisch, also berührungsfrei. Sollte das Äquivalenzprinzip tatsächlich verletzt sein, würde einer der beiden Zylinder ein Quäntchen schneller fliegen als der andere, und der kleine Zylinder würde im Inneren des größeren ein winziges Stückchen nach oben oder unten wandern. Nur: Wie misst man das? Mit hochempfindlichen, supraleitenden Magnetsensoren, sagt Dittus.

    Der Nachteil ist natürlich, dass man das Ganze so abkühlen muss, dass die Anordnung supraleitend wird. Das heißt, wir müssen die gesamte Anordnung auf etwa vier Kelvin abkühlen – vier Grad über dem absoluten Nullpunkt. Das ist ein bisschen schwierig im Experiment.

    Doch am meisten stören die Vibrationen, die beim Loslassen von der Turmspitze entstehen und den Versuchsaufbau unweigerlich erschüttern. Sie sind – so fürchtet Dittus – nicht so recht in den Griff zu bekommen. Deshalb sieht er den Fallturm auch eher als Vorbereitung für spätere, für weitaus ehrgeizigere Experimente.

    Die Idee ist, einen Satelliten in einen erdnahen Orbit zu bringen. Ansonsten läuft das Experiment gleich ab: Man hat wie beim Fallturm auch zwei Testmassen, die ineinander reingestellt sind. Man beobachtet dann die Bewegung der Testmassen gegeneinander.

    Der Unterschied: Statt für Sekunden fallen die Zylinder für 90 Minuten, und das nicht nur einmal, sondern bei jeder Erdumrundung aufs Neue. In drei Jahren soll zunächst "Microscope" starten, ein kleiner französischer Forschungssatellit. Der nächste Schritt hieße dann "Step", ein Gemeinschaftsprojekt von Esa und Nasa. Im Gegensatz zu "Microscope" arbeitet er mit supraleitender Technik. Das Startdatum aber steht noch in den Sternen. Denn bewilligt ist "Step" noch nicht. Doch Hansjörg Dittus gibt sich optimistisch.

    Wir gehen davon aus, dass das Experiment nach 2010 fliegen kann.