Donnerstag, 28. März 2024

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Handel mit Großbritannien
"Die Unsicherheit kommt noch"

Der Austritt Großbritanniens aus der EU wird Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen beider Partner haben - allerdings noch nicht in diesem Jahr, sagte Ulrich Hoppe von der Außenhandelskammer in London im Dlf. Große Veränderungen bei Arbeitsrecht und Umweltschutz erwarte er insgesamt nicht.

Ulrich Hoppe im Gespräch mit Silke Hahne | 27.01.2020
Abfertigung von Gütern am Hafen von Rotterdam
Nach dem Brexit am 31.01. bleibe zunächst noch alles beim Alten, so Ulrich Hoppe. "Der spannende Punkt wird der 31.12. sein." (imago-images/ Hollandse Hoogte)
Am Freitag (31.01.2020) um Mitternacht tritt Großbritannien aus der EU aus. Auch wenn bis Ende des Jahres alles beim Alten bleibt in den Wirtschaftsbeziehungen: Der Handel zwischen Insel und EU ist schon jetzt deutlich zurückgegangen, allein in den ersten drei Quartalen 2019 um ganze vier Prozent, so der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Wie also blicken die in der UK verbleibenden deutschen Unternehmen auf den Brexit und die Zeit danach? Was bleibt zu tun? Dazu im Interview: Ulrich Hoppe, Hauptgeschäftsführer der Außenhandelskammer in London.
Silke Hahne:Wie schauen Ihre Mitgliedsunternehmen nun in diese Woche, ist alles parat oder herrscht noch Durcheinander?
Ulrich Hoppe: Unsere Mitgliedsunternehmen sind da jetzt diese Woche völlig entspannt, weil ja auch nach dem 1. Februar alles erst mal beim Alten bleibt bis zum Ende des Jahres. Wirklich der spannende Punkt wird der 31.12.2020 sein: Wie sieht die Zukunft danach aus? Das ist ja im Moment alles noch völlig im Unklaren. Da gibt es ja nur vage Ankündigungen. Man möchte sich nicht nah mehr an die EU anlehnen. Aber wie genau das vonstattengehen soll, das weiß im Moment noch keiner. Das heißt, die Unsicherheit, die kommt noch, und im Moment herrscht deswegen jetzt, bezogen auf Ende diesen Monats, noch mal Ruhe.
Keine Verlängerung des Übergangs - ein politisches Zeichen
Hahne: Das heißt, diese elf Monate, die jetzt folgen, diese Übergangsphase, das wird nicht entspanntes Durchatmen, sondern da wird durchaus noch mal gezittert in der Wirtschaft?
Hoppe: Da wird durchaus noch mal ganz genau angeschaut: Wie sehen die Lieferketten aus? Wie sehen insgesamt Konstruktionen aus? Denn man weiß ja nicht, wie es danach dann sich vom Rahmen her gestalten wird in den Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien, und das ist natürlich eine ganz klare Unsicherheit, auch gerade weil die Regierung angekündigt hat, dass sie sich weiter von der EU entfernen möchte als nötig.
Hahne: Und weil sie auch angekündigt beziehungsweise per Gesetz ausgeschlossen hat, auf gar keinen Fall diese Übergangsphase zu verlängern. War das eigentlich fahrlässig?
Hoppe: Ich glaube, das war ein politisches Zeichen. Gesetze kann man auch immer wieder ändern. Von daher: Das ist deswegen nicht ausgeschlossen. Aber ich glaube schon, das ist der erklärte politische Wille von Boris Johnson, dass es nicht zu einer Verlängerung dieser Übergangsphase kommt, und davon gehen die Unternehmen auch aus, dass Boris Johnson dieses Versprechen weiter einhalten wird, denn er ist ja mit dem Slogan angetreten, "get Brexit done", und das muss er politisch liefern. Das ist er "seinen Wählern schuldig". Und das wird er auch tun. Von daher ist wirklich der 31.12.2020 der Cut-off-Punkt auch für die bisherigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU.
Hahne: Sie haben ja schon angedeutet, dass die Regierung jetzt angekündigt hat, in der Zwischenzeit sich eher nicht mehr an europäisches Recht anzulehnen, vor allem in Sachen Umweltschutz und Arbeitsrecht. Wieviel Deregulierung erwarten Sie denn?
Hoppe: Wie gesagt, ein Stück weit Deregulierung. Ich glaube, es ist auch einfach politisch getrieben, dass man ein Stück Unabhängigkeit vermitteln möchte und auch den Wählern vermitteln möchte. Am Ende wird es hier auch weiterhin eine Arbeitsschutzgesetzgebung geben. Die wird sich aber nicht ganz so an der EU orientieren wie bisher und gewisse Normen werden anders sein, und das macht es natürlich auch für Unternehmen schwieriger, denn da müssen sie sich auf mehrere Systeme einstellen, und das bringt immer zusätzlichen Aufwand mit sich.
"Nicht sicher, ob es lascher zugehen wird"
Hahne: Das heißt, dass es eventuell ein bisschen lascher zugeht in Sachen Umwelt- oder Arbeitsschutz, das ist nicht gut für die Unternehmen?
Hoppe: Ich bin mir auch nicht sicher, ob es "lascher" zugehen wird. Es wird anders zugehen, denn auch hier im Land Großbritannien hat sich die Regierung verpflichtet, den Klimaschutz ganz hoch aufzuhängen und daran zu arbeiten. Von daher wird man da andere Wege gehen. Aber ich glaube im Endeffekt, das Niveau wird sicherlich ähnlich bleiben.
Hahne: Das heißt, die EU muss nicht fürchten, dass vor ihrer Haustür ein Sozialdumping-Schlaraffenland entsteht?
Hoppe: Das sehe ich nicht. Es wird nur leicht anders werden, denn im Endeffekt ist es ja eine entwickelte Volkswirtschaft. Die Arbeitnehmer haben in diesem Land auch gewisse Vorstellungen oder auch gewisse Schutzrechte, die sie im Endeffekt gesellschaftlich einfordern werden. Da kann eine Regierung nur begrenzt von abweichen.
Hahne: Schauen wir noch mal auf diese Woche und auf die flankierenden Maßnahmen für diesen Brexit. Die Bank of England hat am Donnerstag ihre Zinssitzung. Manche Volkswirte erwarten, dass sie dann auch den Leitzins senkt. Kann das die inländischen Investitionen in den kommenden Monaten stützen, oder braucht es da mehr?
Hoppe: Das glaube ich nicht, dass das die inländischen Investitionen stützen wird. Dafür ist dann so eine Zinssenkung viel zu gering. Und man darf auch da nicht vergessen: Die Zinsen sind so oder so niedrig. Ob da jetzt Zinspolitik noch viel bringt, das sehe ich nicht. Es ist unter Umständen eine symbolische Wirkung, die davon ausgeht, aber im Endeffekt geht es ja der britischen Wirtschaft auch derzeit immer noch relativ gut, im Vergleich auch zum Euroraum, und auch die Arbeitslosenzahlen sind auf dem niedrigsten Stand. Von daher ist auch da eine Zinssenkung unter Umständen gar nicht mehr in der Planung.
"Wir alle werden ein Stück leiden"
Hahne: Jetzt hat sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz dazu hinreißen lassen, die Prognose anzustellen, dass das nicht so bleibt, sondern dass es vor allem die britische Wirtschaft sein wird, die unter dem Brexit leiden wird, und nicht die europäische. Stimmen Sie da überein, oder schätzen Sie das anders ein?
Hoppe: Ich glaube, wir alle werden ein Stück leiden, aber er hat natürlich von daher recht, dass die britische Wirtschaft sicherlich stärker leiden wird, zumindest kurzfristig. Denn wenn man das so sieht: 40 Prozent des Handels der Briten ist mit der EU und umgekehrt ist das nur unter zehn Prozent. Von daher ist das automatisch bedingt, dass die britische Wirtschaft stärker beeinflusst werden wird von dem Brexit.
Hahne: Kommen wir mal zu den anderen 60 Prozent der Handelsbeziehungen. US-Finanzminister Steven Mnuchin hat Großbritannien in Davos jetzt ein Handelsabkommen in Aussicht gestellt. Da hätte Großbritannien Priorität nach dem Brexit für Donald Trump. Ansonsten sieht es mit Abkommen eher mau aus. Mit der Schweiz gibt es bisher eins. Das heißt, da ist noch ganz schön viel zu regeln, nicht nur mit der EU im nächsten Jahr, oder?
Hoppe: Da ist eine ganze Menge noch zu regeln. Und auch: Man darf da nicht vergessen, dass für die USA immer noch "America first" gilt. Natürlich möchte auch die USA – so äußert sie sich – ein Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich abschließen, aber Freihandelsabkommen ist nicht gleich Freihandelsabkommen. Auch da steckt der Teufel im Detail und da muss man auch erst mal abwarten. 40 Prozent Handel zu erschweren, um eine Erleichterung zu kriegen bei unter 20 Prozent, das ist sicherlich kein ganz gutes Geschäft.
"Es wird auch um Kompromisse gehen müssen"
Hahne: Und wenn es zu Verhandlungen mit den USA kommt, dann ist Großbritannien natürlich auch nicht wirklich in einer guten Lage.
Hoppe: Ja. Es gibt natürlich eine historische Verbundenheit, eine sprachliche Verbundenheit und auch eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausrichtung von der Denke her, die sehr ähnlich ist. Aber im Endeffekt sind das dann auch zwei Länder, die hart miteinander verhandeln werden, und auch da wird es um Kompromisse gehen müssen.
Hahne: Was meinen Sie, auf welche Kompromisse kann sich Boris Johnson einlassen?
Hoppe: Die Amerikaner haben ja bei den Lebensmitteln ganz andere Vorschriften, sind da ja auch viel offener Gentechnik gegenüber und so weiter. Das sind dann Themen, das werden die Amis auch in den Verhandlungen mit den Briten versuchen durchzusetzen. Und es gab ja auch schon das Thema des nationalen Gesundheitssystems, das Präsident Trump schon mal auf einem kürzlichen Besuch gesagt hatte, auf der Reise hierher, das Gesundheitssystem muss sich dann auch öffnen hier für amerikanische Anbieter. Das hat er dann zwar schnell wieder zurückgenommen, weil das politisch nicht opportun war in der damaligen Zeit, aber da kann man schon daran sehen, dass da Druck von den Amerikanern auch auf die Briten kommen wird, gewisse Branchen noch viel stärker zu öffnen, als sie das bisher mussten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.