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Handke, kontrovers diskutiert

Handkes Wut auf westliche Heuchelei und zweierlei Maß bei der Aufarbeitung des Jugoslawienkriegs ist zum Teil nachvollziehbar – nur leider ist er auf dem serbischen Auge völlig blind. Und so kamen auch die Teilnehmer der Peter Handke-Tagung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach nicht darum herum, dieses Thema zu diskutieren.

Von Christian Gampert | 18.02.2012
    Manchmal besteht offenbar der Zwang, alte Debatten zu reinszenieren. Ein solches Ritual war jetzt bei der Peter-Handke-Tagung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach zu beobachten: Als der Bonner Germanist Jürgen Brokoff die Positionen Handkes zum Balkan-Krieg kritisierte, fuhr der langjährige Handke-Lektor Raimund Fellinger fast aus der Haut: Brokoffs Vortrag sei "grauenhaft". Auch der Salzburger Germanist Hans Höller fühlte sich durch Brokoffs einführendes Diktum, nach der Betrachtung des Guten und Schönen im Werk Handkes komme man nun zum Politischen, missverstanden bis gekränkt: Gerade in der Verschränkung von Poesie und Politik bestehe ja Handkes große Leistung, und "das Klassische", von dem Höller zuvor in seinem Vortrag gesprochen hatte, sei für das Nachkriegskind Peter Handke eben nicht nur das Ästhetische und Anschauende, sondern eine Befreiung von "dem, was einen niederdrückt":

    "Und das Merkwürdige ist, dass er die Begründung der Notwendigkeit von Klassik, des rettenden Klassischen, darin sieht, dass er sich befreien möchte aus der Vergangenheit. Der Vergangenheit, das heißt, ein armes, gedrücktes Kleinhäusler-Geschlecht, und das meint auch die Geschichte der Slowenen im Nationalsozialismus. Und das Entscheidende ist eben, dass Klassik bei ihm etwas ganz Elementares ist, was einen am Leben hält, und was die Tradition einem zur Verfügung stellt."

    Brokoff, der schon im letzten Jahr in der FAZ einen scharfen Artikel gegen Handke publiziert hatte, war um Ausgleich bemüht, konzedierte Verdienste Handkes, der als Einzelner gegen den politischen Mainstream schwimme, diagnostizierte aber eine Wahrnehmungstrübung und Tendenz zur Relativierung bei serbischen Kriegsverbrechen. Handkes Illusion vom alten Jugoslawien, vom Vielvölkerstaat als Gegenmodell zum deutschen und kroatischen Faschismus, verführe den Autor zu unhaltbaren Positionen:

    "Darüber hinaus könnte man darüber nachdenken, ob es nicht der Rolle eines Schriftstellers in der Mediendemokratie gut ansteht oder zupasskommt, öffentlich Skandale auszulösen mit provokanten Haltungen, um eine Debatte ins Werk zu setzen."

    Diese Debatte freilich hat Handke enorm geschadet: Manche Buchhändler, so erzählte es der Kritiker Ulrich Greiner, sind offenbar stolz darauf, keine Handke-Bücher mehr zu verkaufen. Die abendliche Veranstaltung, bei der Greiner und die Autorin Sibylle Lewitscharoff über ihre Handke-Lektüren sprachen, gehörte dann zum Unterhaltsamsten, was in Marbach je stattfand. Lewitscharoff wollte die möglicherweise auch auffahrende Person Handke scharf vom großartigen Autor geschieden wissen, der dem gegenwärtigen erzählerischen "Grausamkeits-Theater" gänzlich abhold und einer "humanen Schönheit" verpflichtet sei, der dem Leser "epiphanische Sprengkapseln" verabreiche und die Welt neu denken lehre. Handke verfüge über die seltene Fähigkeit, "ein Autobahndreieck mit den Augen Adalbert Stifters zu sehen", also die Moderne mit dem Blick der literarischen Ahnen zu betrachten.

    Ulrich Greiner wiederum berichtete über nächtliche Pariser Metro-Fahrten mit Handke, den "Erlösungsgedanken" in dessen Werk und seine eigene Lektüre der "Stunde der wahren Empfindung", wo aus Sonne, Kies und einer roten Haarspange eine Art rettende Aufgehobenheit entstehe. Das korrespondierte schön mit dem Vortrag von Ulrich von Bülow, der die in Marbach lagernden Notizbücher Handkes durchforstet hat und Handke als – wenngleich selektiven – Heidegger-Leser vorstellte. Die Welt der Dinge bekomme auch bei Handke eine "innerweltliche Transzendenz".

    Dieses sakrale "Spiel vom Fragen" des Parzival Peter Handke aber hat bisweilen auch eine polemische Note. Die gibt es zwar schon, seit der junge Handke der "Gruppe 47" "Beschreibungs-Impotenz" vorwarf. Aber wer sich mit Handke auseinandersetzt, muss sich verletzbar machen. Er selber macht das ja auch.