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Handlungsreisender in Sachen Revolution

Leopold Trepper war der Begründer der legendären Spionage- und NS- Widerstandsgruppe "Rote Kapelle". Obwohl es die größte und wohl auch wichtigste Widerstandsorganisation gegen das NS-Regime war, galt Trepper lange als umstritten: Im Osten fiel er unter Stalin in Ungnade, im Westen standen die Mitglieder unter antipatriotischem Generalverdacht.

Von Eva-Maria Götz | 19.01.2007
    "Erstens bin ich kein Spion, denn der Kampf gegen Nazismus auch im Rahmen der Kundschaft war Widerstand. Und ich fühle mich ganz einfach als ein Kämpfer der Widerstandsbewegung gegen den Nazismus."

    Leopold Trepper, der als "grand chef" bekannt gewordene Begründer der "Roten Kapelle", geboren am 23. Februar 1904 in Nowy Targ, einer Kleinstadt in Galizien als Sohn eines Landmaschinen- und Saatguthändlers. Bitter erlebt er die katastrophalen Lebensumstände der Arbeiter in den oberschlesischen Industriegebieten, seine ersten politischen Gehversuche aber macht er in der zionistischen Jugendorganisation Haschomer Hazair. Dann erst wendet er sich der Kommunistischen Partei zu.

    "Ich wurde Kommunist, weil ich Jude bin. Meiner Meinung nach konnte nur eine sozialistische Gesellschaft mit Rassismus und Antisemitismus Schluss machen und dafür sorgen, dass jüdische Kultur sich frei entfaltete"."

    schreibt er später in seiner Autobiografie "Die Wahrheit". In Polen von der Polizei verfolgt, flieht der 20-Jährige nach Palästina - sein erstes Exil. Doch der Versuch, in Palästina eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, in der Juden und Araber gleichberechtigt leben, endet in den mittelalterlichen Gefängnisverliesen der Kreuzfahrer-Festung Akka und schließlich in einer zweiten Flucht. Diesmal ist Moskau das Ziel des überzeugten Jung-Kommunisten, der sich selbst als "Handlungsreisenden in Sachen Revolution" sieht. Der realsozialistische russische Alltag zwischen Armut, Antisemitismus und der Angst vor den ersten stalinistischen Säuberungswellen weckt allerdings erste Zweifel am der Überlegenheit der kommunistischen Idee. Existenziell jedoch wird der Kampf gegen den Faschismus in Deutschland.

    ""Vom ersten Tag an der Aufkommen des Nazismus habe ich klar gesehen, dass, wenn es kommt zu einem Krieg, dann kommt es zu einem biologischen Ende von dem jüdischen Volk."

    Getarnt als bürgerliche kanadische Kaufmannsfamilie werden Trepper, seine Frau Luba und die drei Söhne 1938 vom sowjetischen Geheimdienst nach Brüssel geschickt. Von dort aus organisiert er die "Rote Kapelle", jenes europaweite Netz aus Widerstandskämpfern, die ihre jeweiligen Informationen über Kriegsvorbereitungen und- verlauf im nationalsozialistischen Deutschland und den besetzten Ländern in die Sowjetunion funken. Zwischen 1940 und '43 schicken sie
    ungefähr 1500 Funksprüche an die Zentrale.

    "Für uns war klar, dass, für Hitler, nach Frankreich, ist das Hauptziel die Sowjetunion. Wir haben kolossal viel Material gehabt, und das sicherste Material nach Moskau geschickt."

    Doch in Moskau, wo man sich durch den Hitler-Stalin-Pakt sicher fühlt, glaubt man ihm nicht. Ein nur unzureichend verschlüsselter Funkspruch der sowjetischen Zentrale, in dem die echten Namen der deutschen Gruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack samt ihrer Adressen genannt werden, führt die Gestapo 1943 auf die Spur der Organisation, die erst dann den Namen "Rote Kapelle" erhält. Mehr als 140 deutsche Mitglieder werden hingerichtet. Leopold Trepper wird in Paris bei einem Besuch bei seinem Zahnarzt verhaftet, beginnt ein riskantes Spiel als vermeintlicher Doppelspion und kann schließlich fliehen. 1945 erreicht er Moskau und wird dort sofort wieder verhaftet.

    "Ich gehöre einer Generation an, die ein Opfer der Weltgeschichte geworden ist. Wir wollten den Menschen ändern, und wir sind gescheitert. Dieses Jahrhundert hat zwei Ungeheuer geboren, den Faschismus und den Stalinismus. Und in dieser Apokalypse ist unser Ideal zugrunde gegangen."

    Acht Jahre lang wird er im berüchtigten Gefängnis Lubjanka festgehalten, dann lässt man ihn frei, und Leopold Trepper zieht mit seiner Frau nach Warschau. Nach jahrelangem Kampf gewährt man den beiden 1972 die Ausreise nach Israel, wo Trepper am 19. Januar 1982 stirbt. Erst langsam wird sein Lebenswerk gewürdigt. Zwar werden in der DDR die deutschen Mitglieder der "Roten Kapelle" als sozialistische Widerstandsgruppe verehrt, doch der bei Stalin in Ungnade gefallene Trepper spielt beim Heldengedenken keine Rolle. In der Bundesrepublik hingegen wird die Arbeit der Gruppe lange als "vaterlandszersetzende Spionage" im Dienste der Sowjetunion verunglimpft. Erst die Öffnung der sowjetischen Archive in den 90er Jahren verändert die Sicht auf die "Rote Kapelle" und ihren mutigen "grand chef".