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Handyvideos
Freie Sicht aufs Rockkonzert!

Seitdem fast jeder ein filmfähiges Mobiltelefon besitzt, sehen Musiker von der Bühne kaum noch die Gesichter ihrer Fans, sondern vor allem deren Handys. Das sorgt bei vielen Künstlern für Unmut – einige wehren sich nun mit subtilen Mitteln.

Von Marcel Anders | 13.01.2015
    Fans fotografieren am 24.08.2013 den deutschen Rapper Cro auf der Bühne der Trabrennbahn in Hamburg.
    Fans mit Fotohandys bei einem Konzert auf der Trabrennbahn in Hamburg (picture alliance/dpa/Malte Christians)
    "Man darf gar nicht drüber nachdenken. Eben dass da jeder filmt, jeder aufnimmt und sonst was tut. Das ist der Wahnsinn. Wenn du beim ersten Song auf die Bühne gehst, siehst du nur noch diese Telefone. Und ich war bei Konzerten von befreundeten Musikern, wo ich mir einfach die Leute im Publikum angeschaut habe. Die meisten blicken nur auf den Bildschirm, aber überhaupt nicht mehr auf die Bühne. Was irre ist. Sie sind ganz versessen darauf, alles festzuhalten. Was dafür sorgt, dass sie viel von dem Vibe und der Magie des jeweiligen Moments verpassen."
    Es ist zur echten Volkskrankheit geworden: Egal, welches Konzert man heutzutage besucht: Überall versperren einem in die Höhe gehaltene Mobiltelefone die Sicht, auf deren Display das Bühnengeschehen in Miniaturausgabe flackert. Und egal wie gut oder schlecht die Bild- bzw. Tonqualität: Die Aufnahmen überambitionierter Amateurfilmer landen schon wenige Stunden, wenn nicht Minuten später, auf allen erdenklichen Internetplattformen. Einfach, um dem Freundes- und Bekanntenkreis zu zeigen: Ich war dabei - und das habt ihr verpasst. Eine Mentalität, die bei Künstlern für immer mehr Frust sorgt. Etwa bei Slash, dem Ex-Gitarristen von Guns N´Roses:
    "Es landet alles auf Youtube. Seit 2010 habe ich nicht eine Show gespielt, die nicht am nächsten Morgen im Internet war. Das ist heute normal."
    Slash ist ein populäres Opfer der aktuellen Mobiltelefon-Filmerei. Im Netz finden sich gleich hunderte seiner Soloeinlagen. Und doch nimmt es der Ausnahmegitarrist vergleichsweise gelassen. Ganz im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen, die auf den Dokumentationswahn des Publikums geradezu allergisch reagieren. So beschäftigt Prince eine eigene Security, die bei Zuwiderhandeln einen Hallenverweis ausspricht. Boy George und Jeff Tweedy unterbrechen ihre Auftritte für minutenlange Ermahnungen – und drohen gar mit Abbruch. Jack White hält vor jedem Gig eine längere Ansprache, die auf einen freiwilligen Mitschnitt-Verzicht abzielt. Und die Kings Of Leon, so Sänger Caleb Followill, tendieren sogar zur Selbstzensur.
    Musiker appellieren an den gesunden Menschenverstand
    "Im Grunde schneiden sich die Leute ins eigene Fleisch. Denn würden sie nicht alles filmen, würden wir viel mehr neue Songs, Raritäten und Coverversionen spielen und uns keine Sorgen machen, ob das auf youtube landet oder nicht. Ich meine, ich verstehe, warum sie das tun, aber sie hätten ein besseres Konzerterlebnis, wenn sie darauf verzichten würden. Denn man kann eine Show per Telefon festhalten oder sie einfach in sich aufsaugen. Was ich für die bessere Wahl halte."
    Der Appell an den gesunden Menschenverstand erscheint vielen Musikern als der einzig legitime Weg. Schließlich bedeuten generelle Mobiltelefonverbote bei Konzerteneinen erheblichen Personal- und Kostenaufwand, sorgen für schlechte Stimmung und münden nicht selten im Chaos. Zudem stellt sich die berechtigte Frage, wie oft man sich das Gefilmte später anschaut bzw. wo und vor allem wofür man hunderte von Fotos speichert. Was Sinn wie Unsinn des gesamten Unterfangens infrage stellt – und doch einen berühmten Fürsprecher findet. Nämlich erneut Lenny Kravitz, der - bei aller Kritik - seine Fans auch ein bisschen verstehen kann.
    "Die Leute lieben es, zu dokumentieren. Und um ehrlich zu sein: Hätten wir damals, als wir aufgewachsen sind, dieselbe Technik gehabt, hätten wir es wahrscheinlich genauso gemacht. Ich war zum Beispiel sechs Jahre alt als ich die Jackson 5 im Madison Square Garden erlebt habe. Und das würde ich mir gerne noch mal auf Video ansehen – obwohl ich mich gut daran erinnern kann."
    Dabei scheint es tatsächlich eine Lösung für den Interessenkonflikt zwischen Publikum und Künstlern zu geben. Etwa indem die Musiker ihre prinzipielle Ablehnung überwinden und selbst Fotos oder Downloads ihrer Shows zur Verfügung stellen – so, wie es aktuell Jack White und Britpopper Gaz Coombes, früher in Diensten von Supergrass, praktizieren. Zwei Künstler, die verstanden haben, dass man dem Wunsch der Fans nach Bild- und Tonsouvenirs entsprechen muss, um unerwünschtes Filmen in den Griff zu kriegen. Und um wieder Konzertabende mit glühenden Feuerzeugen statt leuchtenden Displays zu genießen:
    "Man darf sich da nicht aufs hohe Pferd setzen, sondern muss cool damit umgehen und sagen: OK, ich verstehe das. Was ist, wenn wir das so und so machen, und euch damit entgegenkommen? Denn letztlich sind es doch die Fans, die das Ganze am Laufen halten."