Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Hannelore Kraft
Einmal Ministerpräsidentin und zurück

Wie unlängst bekannt wurde, sitzt die frühere NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bald im Aufsichtsrat des Steinkohlekonzerns RAG. Politisch hingegen war es zuletzt ruhig um die SPD-Politikerin, nachdem sie im Mai die Landtagswahl verloren und ihre Parteiämter niedergelegt hatte. Im Landtag ist sie nun Hinterbänklerin.

Von Moritz Küpper | 07.12.2017
    Die ehemalige Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft (SPD), auf ihrem Abgeordnetenplatz im Landtag in Düsseldorf
    Die ehemalige Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft (SPD), auf ihrem Abgeordnetenplatz im Landtag in Düsseldorf (Imago/ Christian Deutzmann)
    Es war eine Zeit, in der die Fantasie hinsichtlich Hannelore Krafts Karriere noch keine Grenzen kannte: Kraft saß, als nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin und Vorsitzende des mächtigen SPD-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, im März 2012 im TV-Studio bei Markus Lanz – kurz vor der vorgezogenen NRW-Landtagswahl im Mai desselben Jahres.
    Markus Lanz:
    "Sie haben immer gesagt: 2013 werde ich nicht Kanzlerkandidatin. Aber Sie haben nie gesagt: Ich werde nicht Ministerin zum Beispiel."
    Hannelore Kraft:
    "Pfff. Die Tür kann ich… Wenn ich jetzt verlieren würde, dann wäre natürlich… Dann muss ich sehen, was ich mache, klar. Dass ich dann da sitzenbleibe in der ersten Reihe wie mein Vorgänger, das kann ich mir nicht vorstellen."
    Jürgen Rüttgers, von 2005 bis 2010 NRW-Ministerpräsident, hatte nach seiner Abwahl für einige Jahre in der ersten Reihe Platz genommen. Doch für Kraft stellte sich diese Frage damals nicht – zumindest vorerst. Sie gewann die Landtagswahl 2012, regierte – getragen von einer rot-grünen Mehrheit – Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland und ließ die politischen Beobachter spekulieren: SPD-Parteivorsitzende, Kanzlerkandidatin, vielleicht sogar Bundeskanzlerin? So lautete die Frage damals – und selbst als Kraft im Herbst 2013 vor der SPD-Landtagsfraktion beteuerte, sie werde nie, nie, nie nach Berlin gehen, glaubten das nur wenige.
    Wortmeldung aus der letzten Reihe
    Der Landtag in Nordrhein-Westfalen, im November dieses Jahres. Fragestunde der Parlamentarier an die neue schwarz-gelbe Landesregierung. Es geht um die Ernennung der Kabinettsmitglieder, als Landtagspräsident André Kuper von der CDU Kraft das Wort erteilt:
    "Herr Minister Lienenkämper, für mich schließt sich eine Frage an: Sie haben gerade noch einmal gesagt, es gab einen Bericht für den Rechtsausschuss…."
    Rechtsausschuss, Fragestunde, Prüfung – Schlagworte des Abgeordneten-Alltags. Einmal Ministerpräsidentin und zurück, so könnte die Schlagzeile nun lauten, nachdem Kraft im Mai 2017 die Landtagswahl mit dem historisch schlechtesten Ergebnis der Sozialdemokratie an Rhein und Ruhr verlor, direkt alle ihre Ämter niederlegte – und einzig ihr Direktmandat aus Mühlheim behielt.
    André Kuper: "Vielen Dank. Ich habe jetzt keine weiteren Wortmeldungen."

    Hannelore Kraft: "Doch!"
    André Kuper: "Doch? Frau Kraft hat eine weitere Zusatzfrage. Bitte."
    Hannelore Kraft: "Herr Minister Lienenkämper, noch einmal die Frage…?"
    Kraft meldet sich nicht aus der ersten, sondern der letzten Reihe des Plenums. Ein würdiger Platz für eine ehemalige Ministerpräsidentin?
    "Ich glaube, dass ihr Abgang unmittelbar nach der ersten Prognose am Wahlabend gelungen war, weil sie sofort die Verantwortung übernommen hat, sofort die Konsequenzen gezogen hat, keine Ausflüchte gesucht hat", sagt der Journalist Tobias Blasius von der Funke Mediengruppe, Vorsitzender der Landespressekonferenz im Düsseldorfer Landtag. "Dass sie dann aber in den Folgetagen den Fehler gemacht hat, dass sie sich quasi unsichtbar machen wollte. Sie hat ihre Profile im Internet gelöscht, sie ist nicht zu den Parteitagen gegangen. Sie hat im Grunde einen Rückzug vollzogen, der so aussah, als wenn sie sich was hätte zuschulden kommen lassen. Und das war meines Erachtens völlig unnötig, weil sie ja nicht mehr getan hatte, als dass sie eine Wahl verloren hatte."
    Im Sommer waren viele nicht gut auf Kraft zu sprechen
    Dennoch: Im Sommer waren viele Genossinnen und Genossen nicht gut auf Kraft zu sprechen. Öffentlich äußern wollte sich aber kaum einer. Und es gab die Martin-Schulz-Spiegel-Titel-Geschichte aus dem Inneren des SPD-Wahlkampfes. Dort wird der Parteivorsitzende mit den Worten zitiert, sein größter Fehler sei es gewesen, sich von Kraft habe aufschwatzen zu lassen, sich aus ihrem Wahlkampf herauszuhalten. Kraft selbst sagt zu alledem: nichts. Zu einem Gespräch ist sie zwar bereit, in ihrem neuen, kleinen Abgeordnetenbüro in der sechsten Etage des Landtags. Den Kaffee kocht sie selbst, wirkt einerseits gelöst, andererseits aber auch auf der Suche nach ihrer Rolle.
    Die zweite Sitzung des Sportausschuss im NRW-Landtag. Kraft sitzt zwischen ihren Partei-Kollegen Ralf Jäger, einst Innenminister, und Rainer Schmeltzer, ihrem einstigen Integrationsminister. Kraft meldet sich, fragt nach. Für Norbert Römer, den Chef der SPD-Landtagsfraktion, steht fest:

    "Ja, Hannelore Kraft war nie weg. Sie war immer in unserer Fraktion, macht da auch mit, beteiligt sich an den Diskussionen und nimmt selbstverständlich ihre Aufgabe als Abgeordnete sehr hervorragend war."
    (*)
    Der Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz (links) und die Spitzenkandidatin und abgewählte Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft (SPD), kommen zu einer Pressekonferenz ins Willy-Brandt-Haus.
    Im "Spiegel" wird SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz mit den Worten zitiert, sein größter Fehler sei es gewesen, sich von Kraft habe aufschwatzen zu lassen, sich aus ihrem Wahlkampf herauszuhalten. (picture alliance/ dpa/ Gregor Fischer)
    Alte Wunden nicht mehr aufreißen
    Doch jetzt, zum Jahresende, richten sich die Blicke noch einmal auf Hannelore Kraft. Neben den üblichen Rückschauen wird es am 21. Dezember auch eine 45-minütige Dokumentation im WDR-Fernsehen geben: "Hannelore Kraft. Aufstieg und Fall". In ihren Regierungsjahren hat Autorin Sabine Scholt, stellvertretende WDR-Chefredakteurin, Kraft dafür begleitet:
    "Ganz ursprünglich war die Idee, eine Langzeitbeobachtung einer Politikerin auf dem Weg ins Kanzleramt. Davon waren wir überzeugt. Wir haben begonnen, sie regelmäßig mit der Kamera zu beobachten im Jahr 2012, damals hatte sie Popularitätswerte, die lagen über denen der Kanzlerin."
    Doch es kam anders. Auch der WDR-Journalistin wollte Kraft nach der Wahlniederlage kein Interview mehr geben, "weil Sie gesagt hat: Für mich persönlich ist das abgeschlossen, ich bin mit dieser Phase fertig, habe einen Punkt dahintergesetzt. Und vor allen Dingen möchte ich diese Diskussion nicht noch einmal öffentlich führen. Das ist vielleicht auch zu schmerzhaft für sie, das alles noch einmal aufzureißen, diese Wunde, die sie für sich gerade heilen lässt."
    Und zwar als einfache Abgeordnete im Landtag von Nordrhein-Westfalen.
    (*) Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Beitrags wurde die Vermutung geäußert, Kraft behalte ihr Abgeordnetenmandat auch aus Gründen der Altersvorsorge. Nach Angaben von Hannelore Kraft ist die Grenze von 60 Jahren für die Altersvorsorge jedoch in ihrem Fall nicht entscheidend, da Kraft noch unter eine ältere Version des Ministergesetzes falle und zudem durch ihre Abgeordnetenzeit Renten-Ansprüche erworben habe