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Hannover
Schlecht bezahlte Deutschlehrer protestieren

Mit einem Sprung in den Mittellandkanal protestieren Deutschlehrer gegen ihre schlechte Bezahlung. "Die Integration geht baden", lautet das Motto der Aktion, zu der das Aktionsbündnis Deutsch als Fremdsprache Hannover aufgerufen hat. Die Lehrer unterrichten überwiegend Flüchtlinge in Sprachkursen.

Von Alexander Budde | 17.08.2016
    Syrer Eisenhüttenstadt
    Die Sprache ist der Schlüssel zur Integration – doch angemessene Bezahlung und Anerkennung erfahren die Dozenten aus Deutsch- und Sprachkursen meist nicht. (picture alliance/dpa/Foto: Klaus-Dietmar Gabbert)
    Im Integrationskurs von Ulrike Neige geht es an diesem Morgen um eine Zumutung der deutschen Grammatik – Verben mit Dativ und Akkusativ!
    20 Stunden in der Woche unterrichtet die freie Sprachlehrerin Deutsch für Erwachsene. Im Seminarraum des Bildungsvereins Hannover lauschen Flüchtlinge und Zugewanderte; 15 Teilnehmer aus sieben Nationen.
    "Ich bin Pädagogin durch und durch; und was ich an diesem Beruf sehr mag, ist, dass ich Menschen auf den Weg bringe, ihr Leben alleine zu bewältigen, zu organisieren. Wo ich denke, das sind jenseits der Grammatik auch wichtige Aufgaben, die wir erfüllen."
    Die Sprache ist der Schlüssel zur Integration – doch Anerkennung, Zuspruch, Ermutigung erfahren die Dozenten aus Deutsch- und Sprachkursen allenfalls in den Sonntagsreden der Politiker. Ulrike Neige arbeitet wie fast alle Integrationslehrer auf Honorarbasis; ihre Vorbereitungszeit wird nicht erstattet; miserabel bezahlt hangelt sie sich mit Zeitverträgen von Kurs zu Kurs; die Verträge mit den Bildungsträgern werden oft nur mit einer Laufzeit von wenigen Wochen abgeschlossen.
    "Ich arbeite ungefähr seit 20 Jahren in dem Bereich. Ich werde für die Unterrichtsstunde bezahlt, das heißt also, wenn ich krank bin oder wenn ich Urlaub habe, bekomme ich kein Geld.
    Der durchschnittliche Netto-Monatslohn ihrer Kolleginnen und Kollegen lag bislang bei 1.300 Euro, sagt Neige, die auch für das Aktionsbündnis DaF (Deutsch als Fremdsprache) Hannover spricht. Dabei erfordert der Beruf ein Studium und eine zusätzliche Qualifikation.
    Bundesweit formieren sich die Lehrer zum Protest. Erste Erfolge können sie verbuchen: So wurde die Pauschale, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Bildungsträgern wie zum Beispiel Volkshochschulen zahlt, zuletzt von 3,10 Euro auf 3,90 Euro pro Teilnehmer und Unterrichtsstunde erhöht. Zwar sollen die Lehrer in Zukunft auf einen Brutto-Stundenlohn von 35 Euro kommen.
    Soziale Absicherung gefordert
    Doch das geht nur zulasten der Arbeitsbedingungen, erwartet der pädagogische Leiter des Bildungsvereins, Udo Husman.
    "Wir müssen größere Gruppen zusammenstellen, also, es müssen mehr Teilnehmer in die Integrationskurse aufgenommen werden – das bringt uns erheblich in Schwierigkeiten, das bürokratisch zu organisieren."
    "Die Integration geht baden", fürchten Deutschlehrer wie Ulrike Neige tatsächlich. Sie fordern bezahlten Urlaub und soziale Absicherung, vor allem aber eine weitere Erhöhung der Pauschale, die vom BAMF an die Bildungsträger bezahlt wird.
    "Wenn wir uns selber kranken- und rentenversichern sollen von unseren Honoraren und auch ein angemessenes Geld dabei überbleiben soll, dann müssten wir ungefähr 60 Euro die Stunde bekommen. Viele Integrationslehrer wandern ab an die Schulen, in die Sprachlernklassen - da werden sie wie angestellte Lehrer bezahlt - sodass in unserem Bereich zu befürchten ist, wenn sich da nicht schnell was tut, dass nicht ausreichend qualifizierte Lehrkräfte zur Verfügung stehen."
    "Die Würde des Menschen ist unantastbar", zitiert Artur Sieg die Verfassung. Protest, sagt er seinen Schützlingen, gehört zur Freiheit dazu. Der Lehrer für Deutsch, Politik und Geschichte will heute in Hannover beherzt in den Mittellandkanal springen – der guten Sache wegen und weil er an die Kraft der Veränderung glaubt:
    "Das klingt vielleicht pathetisch, aber wir sorgen für die Zukunft unseres Landes. Wir garantieren den sozialen Frieden. Deswegen sind wir der Meinung: die Ausgaben für die Integration auch die ganzen Trägerpauschalen, das sind keine Ausgaben, das sind Investitionen! Wir sind praktisch im Staatsdienst. Wir möchten so bezahlt und behandelt werden wie die Berufsschullehrer!"