Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Hans Christian Andersen in Deutscher Erstaufführung

Hans Christian Andersen hat nicht nur Märchen geschrieben. Sein Theaterstück "Der Mulatte" wurde zum Beispiel 1840 in Kopenhagen uraufgeführt und war damals ein großer Erfolg. Seitdem war es in Vergessenheit geraten. Doch nun hat es ein Andersen-Experte wieder ausgegraben und neu übersetzt. Das Schauspielhaus Kiel brachte es zum Jubiläum als deutsche Erstaufführung heraus.

Von Michael Laages | 14.06.2005
    Für die Verhältnisse vor Ort auf Martinique und die Gesell-schaft der Sklavenhalter dort hat die gebildete Cecilie aus dem postrevolutionären Mutterland Frankreich nur ein Wort, nachdem die noch ganz unbekehrte Mündel-Mutter fest aus alt-vertrauter weisser Herrenmenschen-Hybris räsoniert:

    Noch ist selber Teil der alten, barbarischen Gesellschaft - und kauft zum guten Schluss am Sklavenmarkt den jungen Mann, der sich in tiefe Händel mit Cecilies Mündel-Vater verstrickte und nun todgeweiht dessen Nilpferdpeitsche gegenüber steht; sie, die aufgeklärte Französin, kann ihn kaufen, um ihn dann schnurstracks frei zu lassen - im finalen Showdown von Tochter und Vater:

    Zwischen diesem Anfang und diesem Schluss, Barbarei und Be-freiung, konstruiert Andersens kleines Stück, neu entdeckt und übersetzt vom Andersen-Experten Heinrich Detering, eine ver-blüffende Mischung aus Polit- und Privat-Fabel - denn zum ei-nen verfallen Tochter und, nach zeitweiligem Zögern, auch Mut-ter dem Charme des gebildeten Mischlings; nicht nur, weil er auf den wohlklingenden Namen Horatio hört und feinste Herren-sprache spricht auf Frankreichs Kroninsel Martinique, sondern auch, weil er mit einem väterlichen Förderer über zwanzig nachrevolutionäre Jahre in Frankreich verbrachte und ausser-dem, im eigenen Urwald-Haus, inzwischen Bücher, französische vor allem, und auch Bilder sammelt - eins der beiden, die da im niedlich-urwaldbunten Bühnenraum von Ina Reuter hängen, äh-nelt übrigens dem Dichter Andersen ganz unübersehbar.

    Dieser Horatio ist aber biographisch auch aufs engste mit Paleme verbunden, der so etwas wie der politisch-philosophisch-animalische Führer des kommenden Sklavenaufstands vor Ort ist. Erst denkt der über die Ungerechtigkeit von Gottes Fauna nach, dann sieht er sich selbst als dieser Mentor magischer Macht - als Freund Horatio ihn ertappt nach verschwörerischer Nacht:

    In diesem 1840 allemal hochmodernen streitbaren Diskurs zwi-schen Revolution und Republik reisst das Stückchen Theater al-lerdings Horizonte auf, für die es ansonsten gar nicht ausges-tattet ist. Erstaunlicherweise ist nämlich den lustvoll feuchten Träumen des Aufrührers Paleme (der sich vor allem und besonders auf die erotische Eroberung der herrschaftlichen Gattin freut) und der offenkundigen Attraktion zwischen weis-sen Weibern und schwarzem Kerl viel Spiel- und Phantasie-Raum zugemessen. Tatsächlich erzählt Andersen wohl nicht nur von Befreiungen auf Martinique (wo die Sklaverei dann ja in der Tat erst acht Jahre nach der Uraufführung aufgehoben wird), sondern auch von der zwanghaften Enge des gesellschaftlichen und mutmasslich sexuellen Alltags im Dänemark und im Europa des Biedermeier. Andersen war sich ja auch gar nicht sicher, ob er dem Publikum von anno 1840 nicht eventuell zu nahe auf die Pelle gerückt sein könnte.

    Daniel Karasek, der Kieler Schauspielchef, scheint allerdings von derlei Bedrohungs- und Beunruhigungspotenzial nicht gar so viel zu halten; weit weg hält er die Inszenierung von der im-merhin denkbaren, ja geradezu naheliegenden Idee, Andersens 'Mulatten' mit dem 'Auftrag' von Heiner Müller zu vermengen; was leicht und sinnreich möglich wäre. Aber auch Deterings mal freiwillig, mal nicht ganz freiwillig heiter gereimte Überset-zung gibt schon den entscheidenden Ton vor - ganz so, als sei "Der Mulatte" eine Art Fernweh-Report für die "Gartenlaube"; oder Hedwig Courths-Mahler zur Kolonialrecherche aufgebrochen. So wirkt die Petitesse leider noch ein wenig kleiner als sie eh schon ist.