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Hans-Georg Kellner
Jeder Spielplatz eine gestalterische Idee

Die Spielplätze, die er baut, fügen sich stets in ihre Umgebung ein: ob im deutschen Hochhausviertel, am Lago Maggiore oder in einem vom Tsunami betroffenen Gebiet in Japan. Hans-Georg Kellner ist einer der bedeutendsten deutschen Spielplatzbauer. Seine Werkstatt steht im thüringischen Tabarz.

Von Marietta Schwarz | 28.07.2014
    Eine kleine Auswahl seiner Steckfiguren zeigt Hans-Georg Kellner am 02.07.2002 im thüringischen Tabarz. Das Unternehmen "kellner steckfiguren" hat in der Spielzeugherstellung eine über achtzigjährige Tradition.
    Hans-Georg Kellner baut Spielplätze, aber auch seine Steckfiguren werden in alle Welt exportiert. (Martin Schutt / picture-alliance / ZB)
    "Sie kommen grad richtig. Weil ich sauer bin."
    Hans-Georg Kellner ist sauer. Zum Glück nicht wegen mir. Der LKW ist schuld. Er kam zu spät, ist schlecht beladen. Und die Ladung entspricht nicht seinen Qualitätsansprüchen.
    "Die Schweißnähte sind hässlich, nicht verputzt und so weiter, lieblos. Wir müssen das so verpacken, dass nichts aneinander schabt."
    Die Ladung: ein Spielplatz.
    "Die Idee ist eigentlich das 'Fliegende Klassenzimmer' von Erich Kästner."
    Entworfen hier, in Kellners Werkstatt in der thüringischen Provinz. Zusammengeschweißt in einer Schlosserei aus der Gegend. Und gleich auf dem Weg nach Berlin.
    "Ganz abstrakt gesehen, also sprich fliegende Tische, fliegende Stühle, die irgendwie wild landen, so ne Klassenanordnung ist zu spüren, und dann gibt's Tafeln, das werden Kletterwände, das war die Grundidee. Das sind auch ganz hohe Stühle, vier Meter hoch. Das ist dann so übergroß. Das ist, wie wenn die Reinemachenfrau alles hochgestellt hat und die Kinder sind noch mal durchgehuscht durchs Klassenzimmer und haben noch mal wilde Sau gespielt."
    Irgendwann fährt der LKW endlich los. Auf dem Gelände in Tabarz, einer Gemeinde in der Nähe von Gotha, kehrt Ruhe ein. Und Kellner, der so sauer war, wie ein Clown eben sauer sein kann, scheint sich zu entspannen.
    "Das sind interessante Tierchen, hätte ich nie gedacht. Die bringen Ruhe. Und legen Eier, einfach so."
    An die 500 Spielplätze weltweit
    Rote Brille, grüne Schuhe. Hosenträger. So steht der Mann da ein bisschen Peter-Lustig-mäßig zwischen seinen Hühnern. Grinst. Und folgt ihnen dann in die Werkstatt.
    "So war das nicht gedacht. Hier arbeiten wir."
    An den Wänden hängen Pappmodelle. Es sind abstrakte 3D-Arrangements, eins wie ein Haufen Mikadostäbe, eins mit ineinander verschlungenen Ringen und Ovalen. Versuchsanordnungen, die dann im richtigen Leben zu Spielskulpturen werden. Oder "Spielereien", wie Hans-Georg Kellner sie gerne nennt - an die 500 sind es inzwischen weltweit.
    Reporterin: "Wie geht so etwas los?"
    Kellner: "Das kommt meistens aus dem Spielen. Ich sag auch immer: 'Ich spiele selber, ich koche ohne Rezept.'"
    Reporterin: "Und der Ort ist wichtig?"
    Kellner: "Klar, das spielt schon ne Rolle, wo man jetzt baut, das bedingt die Form. Aber ich mache mir da weniger Gedanken als man vielleicht nach außen das spürt."
    Hans-Georg Kellner könnte jetzt was von "Konzept", "Minimalismus", von "Form follows function" erzählen. Diese Bauhaus-Gedanken haben ihn geprägt, als er in den 80er-Jahren Holzgestaltung studierte - im sächsischen Schneeberg im Erzgebirge. Die Bauhaus-Gedanken stecken auch in den von ihm entworfenen Spielplätzen drin: Sie sind mehr als Rutsche, Schaukel und Klettergerüst. Jeder für sich ein architektonischer Wurf. Wie das fliegende Klassenzimmer. Aber die Dogmatik des Bauhauses ist dem 55-Jährigen inzwischen zuwider:
    "Was ist schön, was ist hässlich, da können wir auch noch drei Jahre drüber reden. Wir brauchen doch auch Barock, Himmel und Schäfchen-Wolken und nicht nur Bauhaus und rechten Winkel."
    Mein Blick bleibt jetzt an zwei abgezogenen Hasenfellen hinter ihm im Regal hängen, die Beuys-artig auf einer Art Mini-Staffelei aufgespannt sind.
    Kellner: "Hasen von meinen Kindern waren das. Felle. Übers Ohr gezogen sozusagen.
    Reporterin: "Und was haben die Kinder dazu gesagt?"
    Kellner: "Die haben sie gegessen!"
    "Leicht aber wild, das wäre so ne Philosophie für Spielplätze"
    Auf der anderen Seite Kunstfell in schrillem Pink - ein wirklich übel aussehendes Kissen in Hosenform, das Auftragswerk für einen Reiseveranstalter. Auf dem Tisch liegt eine Kinderzeichnung: Panzer, Soldaten, Krieg. Wird das ein Kriegsspielplatz?
    "Das wollte ich doch immer machen! Aber das will keiner haben. Machen Sie einen Spielplatz mit nem Panzer, da kommen Tausende Jungs und alle sind glücklich. Und genauso ist es mit meinen Giftfässern, das wollte ich in Basel anbieten, weil da Ciba Geigy ist und Novartis und so, dachte ich, machen wir die Fässer als Kunststoff-Nachbildung, abgegossen, die Kinder spielen doch auch auf Müllplätzen."
    Der Spielplatz - ein Ort der political correctness. Schade, findet Kellner. Er ist ein Fremdkörper in diesem thüringischen Tabarz-Holzschindel-Umfeld. Und flieht es, so oft er kann. Aber es ist eben auch seine Heimat. Die Eltern und Großeltern haben hier Spielzeug hergestellt, "Kellner Steckfiguren" - in diesem Jahr feiert man 100-jähriges Jubiläum.
    "Wer vor der Wende geboren ist, weiß: Gärtner Tulpe, das ist so der Klassiker."
    Ende der 90er-Jahre, der Betrieb war längst abgewickelt, warf Kellner die Produktion wieder an. Die Steckfiguren werden in alle Welt exportiert und sind vielfach preisgekrönt. Seine Liebe aber gilt den Spielplätzen, die er seit 25 Jahren baut. Auch wenn er das so nie formulieren würde.
    "Leicht aber wild, das wäre so ne Philosophie für Spielplätze, aber das will keiner haben. Leicht aber wild, im Sinne von Hirschgeweih und Brunftdesign, aus dem Wald diese Astgabeln aus Fichtenholz, da könnte man ganz billig einen Spielplatz bauen, der aber von vorneherein nicht lange hält."
    Am Ende müsste ein solcher Spielplatz aber kompostierbar sein, sagt er. Nicht mal das Credo der Langlebigkeit ist vor diesem Mann sicher.