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Hans-Jochen Vogel
"Es wird mein letztes Buch sein"

Er galt vielen als Oberlehrer und war bekannt für seinen peniblen Ordnungssinn: Jetzt blickt der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel in seinem Buch "Es gilt das gesprochene Wort" zurück. Es ist ein eher ungewöhnliches Buch mit Bundestagsreden oder auch Grundsatzreferaten. Es zeigt, der Blick zurück kann sich lohnen.

Von Frank Capellan | 01.02.2016
    Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel während seiner Rede am 18.12.1989 auf dem Programm-Parteitag der SPD im Internationalen Congress Centrum Berlin.
    Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel während seiner Rede am 18.12.1989 auf dem Programm-Parteitag der SPD im Internationalen Congress Centrum Berlin. (picture alliance/dpa)
    "Der Prozess der deutschen Einigung ist aufs Engste mit dem Prozess der europäischen Einigung verknüpft. Für beide Prozesse gilt: Jetzt muss zusammenwachsen, was zusammengehört."
    28.November 1989. Hans-Jochen Vogel im Deutschen Bundestag. Der Oppositionsführer spricht anlässlich der revolutionären Ereignisse in der DDR. Auch für ihn ist das natürlich eine Sternstunde seiner politischen Laufbahn. Es ist die Zeit, als Helmut Kohl seinen Zehn-Punkte-Plan zur Deutschen Einheit vorlegt, von einer Währungsunion spricht der Kanzler damals noch nicht, anders Hans-Jochen Vogel.
    "Ich persönlich halte es übrigens durchaus für möglich, dass es rascher, als wir alle jetzt vermuten, zu einer Währungsunion kommt, und das allein schon aus faktischen Gründen. Wir sollten nicht vergessen: Die deutsche Spaltung hat mit der Einführung unterschiedlicher Währungen im Juni 1948 begonnen, und sie wird ohne eine einheitliche Währung nicht endgültig überwunden werden können."
    Vogel lädt den Leser zu einer kritischen Prüfung ein
    "Im Ganzen gehört die Rede sicher nicht zu den schlechtesten, sondern eher zu den eindrucksvolleren, die ich gehalten habe", urteilt ein in sich selbst ruhender Hans-Jochen Vogel gut 26 Jahre später. Und: Diese Rede war als Mahnung an den späteren SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine zu verstehen, der als sozialdemokratischer Bremser des Einheitsstrebens auftrat. Was Vogel damals zu seiner Sicht auf die Wiedervereinigung vor dem Parlament zu sagen hatte, ist in nun in der jüngsten Veröffentlichung des fast 90-Jährigen nachzulesen. "Es gilt das gesprochene Wort" ist ein ungewöhnliches Buch. Im Wesentlichen ist es eine selbstgefertigte Dokumentation seines Schaffens. Vogel veröffentlicht – mit nur wenigen Kommentierungen versehen – Bundestagsreden aus seiner Zeit als SPD-Chef, er konfrontiert den Leser mit einst gehaltenen Grundsatzreferaten und persönlichen Würdigungen, etwa über Willy Brandt oder Richard von Weizsäcker. An Eigenlob mangelt es dabei nicht. Gilt das einst gesprochene Wort des großen Sozialdemokraten auch heute noch? Vogel lädt den politisch besonders interessierten Leser mit diesem Buch zu einer kritischen Prüfung ein.
    "Ich weiß: Manche meinen, darauf komme es doch im Nachhinein gar nicht mehr an. Es gehe doch nur um das Heute. Meine Meinung ist das nicht!"
    Dieses Buch bestätigt manches Klischee über den fast immer korrekten einstigen Bundesjustizminister. Als Oberlehrer wurde er wegen seiner peniblen Art tituliert oder mit dem Spitznamen "Klarsichthülle" versehen, weil dieses Ordnungsmittel zu seinen liebsten zählte. Jetzt rechnet Hans-Jochen Vogel mit sich selbst ab, schließlich sei er nun in einem Alter, in dem es hohe Zeit werde, Rechenschaft abzulegen:
    "Und dazu gehört eben auch die Auseinandersetzung mit dem, was man in seinen öffentlichen Funktionen gesagt oder geschrieben hat. Habe ich damals die wesentlichen Themen aufgegriffen und die zentralen Herausforderungen erkannt? Wo habe ich mich geirrt, und wo hätte ich es sogar schon damals besser wissen müssen? Bin ich meiner eigenen Partei gerecht geworden?"
    "Gegen Vergessen – für Demokratie"
    Vogel ist mit sich selbst im Reinen. Ob seine Haltung zur Deutschen Einheit, oder sein früher Ruf nach dem Ausstieg aus der Kernenergie – der Autor sieht in seinen Ausführungen auch im Rückblick nur wenig Anlass zur Korrektur.
    Allzu gern allerdings würde man von diesem großen Mann der Sozialdemokratie erfahren, wie er zu den aktuellen Herausforderungen der deutschen Politik steht. Dass ausgerechnet Dresden zur Hochburg der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung werden konnte, bedrückt ihn – das hat er kürzlich in einem Interview erklärt. In seinem Buch jedoch findet sich dazu leider nichts. Wohltuend allerdings nachzulesen, was er aus Anlass des 75. Jahrestages der Machtergreifung Hitlers im Bundestag sagte. Der Kampf für Demokratie und Menschenrechte durchzieht sein Leben, völlig zu recht wertet Vogel diesen Text als "ein Beispiel für die Übereinstimmung von Reden und Handeln, um die ich mich stets bemüht habe."
    "Ich bin Jahrgang '26. Bin selbst noch bei der Hitler-Jugend gewesen, war Scharführer und nach '45 habe ich gelernt und eine Konsequenz aus dem, was ich gelernt habe, ist das 'Nie wieder'!"
    Eingefleischte Vogel-Fans dürften ihre Freude haben
    "Gegen Vergessen – für Demokratie", 1993 gehörte Hans-Jochen Vogel zur Zeit der Anschläge in Rostock –Lichtenhagen, Mölln und Solingen zu den Mitbegründern dieser Vereinigung. Gern hätte man seine mahnende Stimme in der aufgeheizten Stimmung dieser Tage noch einmal gehört. Wer dazu etwas erwartet, wird enttäuscht. Eingefleischte Vogel-Fans dürften ihre Freude daran haben, in seinen alten Reden zu stöbern. Geadelt hat ihn wenige Tage vor seinem eigenen Tod auch jemand, der immer in Freundschaft mit ihm verbunden war:
    "In unserem politischen Leben verbindet uns beide die Auffassung von Augenmaß und Pflicht im Dienst für unser Volk und das öffentliche Wohl", schreibt Helmut Schmidt in einem Geleitwort für Vogels Buch und kommt zu dem Schluss: "Hans-Jochen Vogel hat viele wichtige Fragen aufgeworfen, Forderungen gestellt und Leitlinien formuliert, die bis heute Gültigkeit haben." Das zu belegen, war wohl die – auch etwas eitle Absicht, die hinter der Veröffentlichung von "Es gilt das gesprochene Wort" stand.
    "Damit verabschiede ich mich auf meine Weise von allen, die mir bislang ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben. Denn es wird mein letztes Buch sein."