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Happening mit Hirn und Herz

Das abstrakte Thema "Finanzkrise" ist nicht leicht auf die Bühne zu bringen. Nichtsdestotrotz ist es Regisseur Nicolas Stemann bravourös gelungen. Mit seiner Inszenierung von Elfriede Jelineks jüngsten Theaterstück "Die Kontrakte des Kaufmanns" hat Stemann eine neue Form des politischen Theaters gefunden, das seine eigenen Mittel nicht verrät.

Von Karin Fischer | 17.04.2009
    Er versteht sich darauf, aus dem Jelinekschen Wörter-Geröll nach und nach und beinahe spielerisch so etwas wie Anschaulichkeit herauszwringen. Beim Thema Ökonomie ist das allerdings eine doppelte Herausforderung, denn trotz Weltwirtschaftskrise bleibt das Geldgeschehen vom Bühnenstandpunkt aus betrachtet eine ganz dürre und dürftige Materie. Nun darf man von der Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 2004 gewiß keinen irgendwie stichhaltigen, sachgerechten oder auch nur kundigen Kommentar zur Finanzmisere des Jahres 2009 erwarten, selbst wenn diese Erwartung von der relativen Hastigkeit des Projekts geschürt wird (ursprünglich war am Schauspiel Köln die Inszenierung eines ganz anderen Jelinek-Werks geplant). Aber auch hier gilt die Jelinek-Devise, dass alles Spielmaterial sei. Umso besser, findet Karin Fischer.

    In einer Vorrede kündigt der Regisseur eine dreieinhalbstündige Lesung an. Der Text, dessen neueste Teile erst wenige Tage alt seien, umfasse 99 Seiten, die auf einem Display rückwärts herunter gezählt würden. Wem das zu lange dauere, dürfe ruhig zwischendurch rausgehen.

    Nicolas Stemanns neu gegründete "schnelle theatrale Eingreiftruppe" versteht sich als "Textumsetzungsmaschine". Das erklärt, weshalb die Inszenierung aussieht wie eine Installation, wie geordnetes Chaos auf der Bühne, vorne ein in Folie verpacktes Sofa auf einem Teppich, rechts Rollstühle, links der Aufbau für eine Band, im Hintergrund ein paar vollgestellte Tische. Überspannt wird das Ganze von zwei Stahlträgern auf dünnen Stützsäulen, auf denen Schutt lagert, ein für die Kölner sinnfälliges Bild: Hier ist ein System kollabiert, sagt es, dessen Überreste zum Beispiel auf dem Grund einer U-Bahn-Baugrube zu finden sind - ein Theaterhades.

    Dann wird es erst einmal schlimm: Dröge wie die Nobelpreisrede von Elfriede Jelinek ziehen sich die ersten Minuten hin, tatsächlich als Lesung, begleitet von Klavier oder Synthesizer, die Kleinanleger kommen zu Wort. Nebenher kann man immerhin auf Laufbändern Börsendaten lesen: Deutsche Post -55,14 Prozent; Lufthansa -44,84 Prozent, Thyssen-Krupp -57,15 Prozent.

    Dann sprechen die Banker. Jetzt wird aus der Lesung eine Litanei, chorisch oder gesungen, Videoprojektionen mit Zeitungsartikeln vom Tag flankieren die Szene: "Schweizer Großbank UBS streicht 8700 Stellen"; "Personalabbau erreicht den Mittelstand". Alles wirkt ebenso improvisiert wie choreografiert und entwickelt jetzt einen starken poetischen Sog, in dessen Mittelpunkt aber immer die Sprache steht, Jelineks Text.

    Die Sprache ist hoch aufgeladen, wirkt aber luzide. Sie eröffnet Sinn- und Spielräume. Sie bemäntelt nicht, sondern entblößt. Der Kalauer, als Textsorte eher ungeliebt, kommt hier neu groß raus, weil er genau den Abgrund zwischen Komödie und Tragödie bezeichnet - und überbrückt: "Sie ist doch mit ihren blauen Augen davon gekommen!" Jeder Satz hat einen doppelten Boden: "Sie haben keine Ersparnisse mehr, wir haben Ihre Ersparnisse, wir haben Ihnen so viel erspart!" Die Bank spricht von sich als Subjekt, vom Erlös hat sie uns glücklich er-löst.

    "Der Staat ist unser Diener, wir sind die Ver-Diener." Was hier stattfindet, ist mehr als Kapitalismuskritik, ist viel mehr als ein Sprechtheaterkommentar zur Finanzkrise. Es ist ein Exorzismus des Geldes, ein Orgien-Mysterien-Theater über den Mammon, ein teuflischer Gottesdienst und eine moderne Bußveranstaltung in Form eines Happenings, in dem Anteilsscheine ans Kreuz genagelt werden und wunderschöne Luftblasen vom Himmel schweben, in dem es Schafe und Wölfe gibt und einen Engel der Gerechtigkeit und Herkules und den großen Regen, Choräle und sogar eine echte Eisenbahn, auf deren Schienen man seinen Kopf legen kann.

    Elfriede Jelinek und Nicolas Stemann ist Großes gelungen: das abstrakte Thema "Finanzkrise" nicht nur bühnen-, sondern tragödientauglich zu machen; für dessen Undurchschaubarkeit eine ebenso verrätselte wie durchlässige Form zu finden, die den Zuschauer erreicht, ohne ihn für ein politisches Anliegen zu kidnappen; die Protagonisten der Krise und ihre Sprache zu entlarven, ohne in die übliche Falle ironischer Distanzierung zu tappen. Und sie haben eine neue Form des politischen Theaters gefunden, das seine eigenen Mittel nicht verrät.

    Nicolas Stemanns "schnelle theatralische Eingreiftruppe" hatte ihren ersten großen Auftritt.