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Happy Holi
Vom Hindu-Fest zum Partytrend

Die Holi-Festival-Saison geht zu Ende. Den ganzen Sommer lang haben sich überall in Deutschland junge Menschen versammelt, um zu feiern - inspiriert vom indischen Holi. Dieses Fest, das religiöse Ursprünge hat, ist eines der ältesten Feste Indiens. An diesem Tag scheinen alle Schranken aufgehoben. Man besprengt und bewirft sich gegenseitig mit gefärbtem Wasser und Pulver.

Von Anna Marie Goretzki | 14.09.2016
    Menschen werfen beim Holi-Festival in Johannesbrug, Südafrika, mit Farben um sich. Das Festival soll vor allem Zusammenhalt und einen "bunten Alltag" fördern.
    Menschen werfen beim Holi-Festival im südafrikanischen Johannesburg mit Farben um sich. Das Festival soll vor allem Zusammenhalt und einen "bunten Alltag" fördern. (picture alliance / dpa / Kevin Sutherland)
    "Holi, nehmt mal alle die Arme hoch!"
    Partystimmung auf dem Vorplatz des Bruno-Plache-Stadions in Leipzig. Meist junge Menschen zwischen 17 und 24 tanzen zu Elektro und House Beats. Unter dem Motto "Feel the jungle" feiern sie das "Holi Festival of Colours". Die Sonne steht im Zenit, Bässe dröhnen, der Alkohol fließt. Die Sommerparty ist ausverkauft.
    "Wir kommen zu unserem ersten Countdown. Alle Farben hoch! Haltet alle Farben hoch. Ich will alle Farben in der Luft sehen. Einige von euch brauchen noch Zeit. Ist okay! Sind alle Farben oben?" Die Menge antwortet leise: "Jaaaa!" "Holi! Ich fragte: sind alle Farben oben?" Die Menge antwortet lauter: "Jaaaa!" "Dann zählt mit mir! Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei". Jubel ertönt.
    Grünes, blaues, gelbes und rosa Pulver fliegt - von Hunderten gleichzeitig geworfen - in die Luft, wird vom Wind erfasst und über den Platz verteilt. Stündlich erreicht das Fest mit dem Countdown zum Farbenwerfen einen neuen Höhepunkt. Die Menge vor der Bühne mit den mannshohen Lautsprechern tobt.
    Ortswechel: der Jyoti Maiyya Tempel in Hamburg-Stellingen. "Willkommen hier in unserem Tempel!" Anil Choudhry ist der Sohn des Priesters und Sprecher der Gemeinde, der Hindus aus Afghanistan, Pakistan und Indien angehören.
    "Ich bin auch in Afghanistan geboren. Aber unsere Großeltern, die Vorfahren - die kommen alle aus Indien. Weil damals Indien und Pakistan sich getrennt haben, ist ein Teil nach Afghanistan gezogen. Dadurch ist diese Bevölkerung vermehrt worden in Afghanistan, aber durch die Herrschaft der Taliban war es ein bisschen schwierig dann."
    Hindus und die rituelle Reinigung
    Auf roten Matten sitzen Frauen und Männer auf dem Boden, kneten Teig in großen Schüsseln und schälen Kartoffeln. Es sind die Vorbereitungen für Holi. Es ist März. Viele Hindus auf der ganzen Welt feiern jährlich ihr Frühlingsfest. Es dient der Erneuerung, dem Schutz beim Übergang in eine neue Vegetationsperiode, der rituellen Reinigung.
    Menschen feiern am 21. März 2016 das klassische Holi-Fest in der indischen Stadt Vrindavan, im Bundesstaat Uttar Pradesh.
    Menschen feiern das klassische Holi-Fest in der indischen Stadt Vrindavan, im Bundesstaat Uttar Pradesh (picture alliance / dpa / Harish Tyagi)
    In Indien oder der hinduistischen Diaspora begeht man das Fest am Tag vor Vollmond im Monat Phalguna des hinduistischen Kalenders. Nach westlicher Zeitrechnung liegt dieser Monat im Februar und März. Je nach Region dauert das Fest zwei bis zehn Tage. Im Jyoti Maiyya Tempel begnügt man sich mit einem Tag.
    Anil Choudhry: "Es werden ein paar Gebetslieder gesungen, gesprochen und dann wird der Gott Krishna und Vishnu halt mit Farben halt leicht bemalt und man fängt einfach bei dem Gott an und dann fangen sich die Menschen gegenseitig die Gesichter mit den Farben zu bemalen. Die Farben haben wir aus Indien besorgt. Diese richtigen indischen Holi-Farben nimmt man sich halt ein bisschen auf die Hand und bemalt sich gegenseitig."
    Globaler Trend
    Vor wenigen Jahren haben westliche Unternehmen Holi von seinem hinduistischen Ursprung entkoppelt und begonnen, das Fest weltweit als Party zu vermarkten. Seitdem feiern Holi nicht mehr nur Hindus, sondern Menschen jeder Religion auf fast jedem Kontinent zu fast jeder Jahreszeit. Holi Partys steigen in Peru, Malaysia, Kenia, Abu Dhabi, den USA, Australien oder Stuttgart-Böblingen.
    In Farben bedeckte Menschen während des ersten Holi-Festivals in Yangon, Myanmar am 26.März 2016. Tausende Menschen nahmen an diesem Event teil, welches vom indischen Holi-Fest inspiriert ist.
    In Farben bedeckte Menschen während des ersten Holi-Festivals in Yangon, Myanmar (picture alliance / dpa / Lynn Bo Bo)
    Was das traditionelle Holi und das Party-Holi verbindet und trennt, dazu der Heidelberger Indologe und Religionswissenschaftler Axel Michaels:
    "Der Anknüpfungspunkt ist natürlich das Farbenwerfen. Von der Mythologie und dem sozialen Hintergrund wird eigentlich nichts übernommen. Es ist ein Event geworden, vielleicht auch ein Element, das Musik-Festivals attraktiver macht, weil die Leute sich mehr beteiligen können. In Indien hat es sehr stark auch mit der Gesellschaft zu tun. Es ist eine sehr starre Gesellschaft, strikte Normen herrschen vor, die dann zeitweilig aufgehoben sind, jeder kann jeden mit Farben bewerfen, was im normalen Kontext wegen der Berührungsgrenzen eigentlich nicht möglich ist. All das spielt natürlich bei den westlichen Holi-Feiern überhaupt keine Rolle."
    "Die Wurzeln sind nicht endgültig geklärt"
    Von der ursprünglich religiösen Bedeutung des Festes distanzieren sich auch einige Veranstalter von Holi-Festivals, etwa die Firma "Holi One World limited" mit Sitz im englischen Birmingham. Andere Veranstalter sind da zurückhaltender:
    "Wir haben uns für unser Farbfestival von der indischen Tradition inspirieren lassen, aber einen direkten Zusammenhang gibt es nicht. Es ist uns wichtig, darauf hinzuweisen, das es kein religiöses Fest ist. Stattdessen geht es uns um das Zusammenkommen und gemeinsame Feiern an einem farbenfrohen Tag."
    Hinduistische Männer feiern das Holi-Fest in Barsana, Indien. In Barsana feiern Menschen das "Lathmar" Holi, eine Variation des klassichen Holi-Festes.
    Hinduistische Männer feiern das Holi-Fest in Barsana, Indien. In Barsana feiern Menschen das "Lathmar" Holi, eine Variation des klassichen Holi-Festes (picture alliance / dpa / Rajat Gupta)
    Die Wurzeln des hinduistischen Holi-Festes sind nicht eindeutig geklärt. Vor allem im Norden Indiens und in Nepal heißt das Fest Holi. In anderen Teilen Indiens feiert man es unter anderen Namen. Der Indologe Axel Michaels vermutet: Holi war ursprünglich ein uraltes Volksfest, das auf dem indischen Subkontinent im Laufe der Jahrhunderte mythologisch überlagert wurde.
    Menschen beim traditionellen Holi-Festival in der Stadt Jammu, im nordindischen Bundesstaat Jammu und Kashmir am 23. März 2016.
    Menschen beim traditionellen Holi-Festival in der Stadt Jammu, im nordindischen Bundesstaat Jammu und Kashmir (picture alliance / dpa / Jaipal Singh)
    Das Ergebnis: Holi wird heute mit verschiedenen hinduistischen Legenden in Verbindung gebracht. Vor allem dort, wo das Holi-Fest mit großen Feuern einhergeht, wird die Legende um die Dämonin Holika als Motiv für die Feier genannt.
    Die Geschichte der Holika
    Demnach steht die Erzählung im Bhagavata-Purana, in den "Ewigen Geschichten über den Höchsten Herrn". Nach der puranischen Erwähnung sucht man aber vergebens. Die Holika-Geschichte lebte und lebt mündlich überliefert fort:
    "Der Dämonenkönig Hiranyakashipu hat einen Sohn namens Prahlada. Er ist glühender Verehrer von Gott Vishnu. Der Dämonenkönig will selbst als einziger Gott von seinem Sohn verehrt werden. Prahlada weigert sich. König Hiranyakashipu wird darüber so böse, dass er seinen eigenen Sohn töten möchte. Alle Tötungsversuche scheitern, da Gott Vishnu Prahlada beschützt. Schließlich entsinnt sich der Dämonenkönig zu einer List und bittet seine Schwester, die Dämonin Holika, zu Hilfe. Holika ist durch einen besonderen Schal gegen Flammen geschützt. Mit Prahlada besteigt sie ein großes Feuer. Statt Prahlada wird aber Holika getötet, weil Vishnu einen Wind erzeugt und sich der Schal um Prahlada statt um sie. Der Schal rettet ihn, während das Feuer die Dämonin Holika verbrennen lässt.
    Festival der Toleranz
    In Leipzig geht der Farbrausch weiter. 5.000 Menschen haben Tickets gekauft. Knapp 17 Euro kostet der Eintritt. Wer auch Farbbeutel kaufen möchte, zahlt bis zu 30 Euro. Die Feier ist ausverkauft. Max Riedel ist auf dem staubigen Festivalgelände unterwegs, schaut hier und da nach dem Rechten, gibt Interviews. Er ist der Geschäftsführer der 'Holi Concept GmbH' mit Sitz in Berlin. Seine Firma veranstaltet Holi-Festivals jetzt im fünften Jahr.
    "Ein Partner von uns, der Jasper Hellmann, der war 2012 in Indien bei dem wirklich original richtigen Holi und, ja, kam zurück und war total begeistert, was die da machen mit den Farben. Und der Hintergedanke ist ja von dem Holi in Indien, dass quasi der Sieg des Frühlings über den Winter halt zelebriert wird und alle halt zu dieser Zeit halt auch gleich sind. Also die haben ja ein Kastensystem drüben, und da geht es um gegenseitige Toleranz, gemeinsamen Respekt und da dachten wir halt, das würde doch super nach Berlin passen oder halt auch für ganz Deutschland. Und ja, so haben wir quasi den Gedanken, den Grundgedanken mit rüber genommen. Ist bei uns natürlich kein religiöses Fest, sondern wirklich eher eine große Party, aber das ist quasi noch der kleine Hintergedanke."
    Der Kiesplatz des Bruno-Plache-Stadions ist von den Zapfanlagen einer großen Biermarke, einem der Sponsoren, umsäumt. Die 5.000 Feiernden tragen fast alle weiße T-Shirts oder Tops – die Farben sollen möglichst kontrastreiche Effekte auf der Kleidung hinterlassen.
    Manche haben sich ganz verhüllt: mit weißen Ganzkörperanzügen, wie ihn Maler tragen, mit Mundschutz und mit Schutzbrille, um das Farbenspiel möglichst unbeschadet zu überstehen. Das sagen Besucherinnen des Holi-Festivals:
    "Alle sind am Schluss gleich bunt - und es macht Dir nichts mehr aus, wer das Farbpulver wirft. Ich weiß auch nicht. Aber es gefällt mir wirklich sehr mit den Farben, wenn alle bunt sind. Das ist so ausgelassen, ja."
    "Der ganze Effekt, der ganze - was ist denn das Geile am Farbenwerfen? - Wer schießt denn schon im Alltag mit Farben? Kein Mensch! Und das kannst du hier rauslassen. Hier kann man einfach mal Kind sein wieder. Einfach mal aus sich rausgehen. Das find' ich so schön. Alle sind gleich, alle sehen bunt aus, ja, einfach Megaparty. - Einfach Abschalten von der ganzen.. Abschalten vom Alltag, mal so richtig Gas geben."
    Anil Choudhry übersetzt die Holi-Grußbotschaften seiner Verwandten, die auf seinem Handy aus Indien und Afghanistan eintrudeln.
    "Byar ke rangse abo baro. Mit Liebe deine Wasserpistole füllen. Sne ke rang ko dunya sari, äh, die ganze Welt damit bespritzen, ye rang na jane ko jat kohiboli, die Farbe kennt keinen Stamm, keine Religion, keine Fremdenfeindlichkeit und: Wir wünschen euch allen einen superschönen Holi-Tag!" [Bie1]
    Nach und nach treffen immer mehr Gemeindemitglieder im Tempel ein. Im Tempelraum haben sie erste Mantren angestimmt, um sich stundenlang auf den Höhepunkt des Festes einzustimmen: das Farbenspiel.
    "Ein befreiender Moment"
    Marc Joseph Katz, emeritierter Professor für Religionswissenschaft an der schwedischen Karlstadt-Universität, hat das Holi-Fest 1969 mitgefeiert - als Student im indischen Varanasi. In einer Nebenstraße nahe der Universität werden er und seine Mitstudierenden von Fremden mit gefärbtem Wasser bespritzt. Dann sagen sie: "Jetzt sind wir alle eins – eine Farbe."
    Marc Joseph Katz schreibt über dieses Erlebnis:
    "Das war ein befreiender Moment. Ein Moment ohne Hierarchien und Grenzen. Ich war nicht länger der 'ausländische weiße Student' der Gruppe. Wir hatten alle die gleiche Farbe – quasi auch die gleiche Hautfarbe."
    Auch Axel Michaels interpretiert Holi in Indien als ein "soziales Fest", bei dem soziale Grenzen zeitweilig aufgehoben werden. Die Umkehr von Normen und Vorschriften gipfelt teilweise in sexuellen Anzüglichkeiten.
    Für Marc Joseph Katz ist das Erlebte das, was der Ethnologe Victor Turner als 'communitas' beschrieben hat. Ein Zustand der idealen Gleichheit.
    Soziale Schranken überwinden
    Geht es darum auch bei den modernen Holi-Festivals: den Zustand der idealen Gleichheit zu erreichen? Das Gefühl von Fremdsein, von sozialen Schranken zu überwinden? Der Ritualforscher Axel Michaels:
    "Natürlich geht es bei diesen Events auch um eine Communitas. Man macht das gemeinsam, man hört das gemeinsam. Und tritt miteinander in Kontakt durch das Farbenwerfen, aber es ist ein anderer Communitas-Gedanke als der, der in Indien entsteht. Während die Schicht, die auf den Holi-Feiern zusammen kommt, doch viel homogener ist vom Alter her, von der musikalischen Ausrichtung her, von dem Vergnügungswunsch her. In Indien sind es alle Schichten: von den kleinen Kindern angefangen bis hin zu den alten Leuten, von Männern zu Frauen, das ist doch etwas anderes, glaube ich."
    "Wo sind eure Farben? Alle Farben hoch! Alle Farben hoch! Seid ihr bereit für den Countdown?" Die Menge jubelt. "Zählt bitte mit: zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei". Weiterer Jubel bricht aus.
    Spannung vor dem stündlichen Countdown zum Farbenwurf beim Holi-Festival in Leipzig am 9. Juli 2016.
    Spannung vor dem stündlichen Countdown zum Farbenwurf beim Holi-Festival in Leipzig (Deutschlandradio / Anna Marie Goretzki)
    Jerome Vazhayil alias Sola Plexus gibt den Moderator und Host des "Holi Festival of Colours". Stündlich animiert er den Countdown auf der Bühne. Zusammen mit DJ Patrick Puthoor alias Pinjuzoo vom 'Bombay Boogie Soundsystem' legt er seit fünf Jahren auch Musik auf der Tour auf. Beide sind sie – das sagen sie selbst – "die Inder" des Holi-Festivals.
    Patrick Puthoor: "Ich bin tatsächlich, ich bin gebürtiger Pfälzer. Also Inder, aber in Deutschland geboren."
    Jerome Vazhayil: "Ich bin gebürtig tatsächlich als Inder in Indien geboren. Sehr jung hierher gekommen und hier aufgewachsen."
    Beide haben ihre familiären Wurzeln in Kerala, Südindien. Nicht gerade eine Gegend, die für ihre Holi-Feiern bekannt ist.
    Autorin: "Was habt ihr mit Holi zu tun?"
    Jerome Vazhayil: "Also wenn man ehrlich ist, nichts. Unsere Eltern sind Christen, also wir gehören zur christlichen Minderheit Keralas. Man kennt natürlich das Holi-Festival als Frühlings-Festival, weil es halt natürlich auch eines der fundamentalen Feste, also Hindu-Feste Indiens ist. Wir haben es aber noch nicht – ich weiß es nicht, wie es mit dir ist."
    Patrick Puthoor: "Ich habe es noch nicht selbst in Indien live miterlebt."
    Jerome Vazhayil: "Ich auch noch nicht, ich auch noch nicht."
    Feste wandern von einer Region und Religion in die andere
    Darf ein Fest mit einer ursprünglich religiösen Bedeutung einfach in andere Kulturen transferiert und dürfen rituelle Elemente davon als Party kommerzialisiert werden?
    Jerome Vazhayil: "Also die Frage ist natürlich immer bei solchen Dingen inwiefern das so cultural appropriation ist, dass sich jemand anmaßt, etwas aus einer anderen Kultur zu nehmen und es in einen anderen Kontext zu stellen. Wir beide kommen vom Hiphop und - das ist für uns eine Art von Sample."
    Die Popkultur adaptiert dies und jenes, besonders der Hiphop. Wer dagegen von "kultureller Aneignung" spricht – also der Übernahme und Veränderung kultureller Symbole durch eine andere Kultur –, meint das kritisch.
    Der Religionswissenschaftler und Indologe Axel Michaels dagegen plädiert für eine wertfreie Bezeichnung für die Holi-Feiern außerhalb des hinduistischen Kontextes. Er sieht in ihnen ein "transkulturelles Fest", das auf natürliche Art und Weise "global zirkuliert". Axel Michaels: "Das erleben wir gehäuft, dass eben bestimmte Feste oder Elemente aus Festen von einer Region in die andere, von einer Religion in eine andere, oder von einer Kultur in eine andere, wandern. Halloween wäre ein solches Beispiel. Nicht wahr, in Zeiten der Globalisierung überschreiten diese Rituale oder Feste die Grenzen."
    Hiltrud Rüstau, pensionierte Hochschuldozentin und Expertin für indische Philosophie, hat Holi in fast allen Landesteilen Indiens selbst erlebt. Sie selbst stößt sich daran, dass die kommerzielle Party unter dem Namen "Holi" vermarktet wird.
    "Die Teilnahme am Fest ist in Indien nicht käuflich: Holi ist keine organisierte Massenveranstaltung und damit seinem Wesen nach nicht eintrittspflichtig oder kommerzialisierbar. Das Bewerfen mit buntem Farbpulver – nachdem man sein Eintritts-Billet für eine Großveranstaltung erworben hat – ist nicht als Holi zu bezeichnen."
    Festival mit religiösem Werbeeffekt
    Im Hamburger Jyoti Maiyya Tempel sieht man in den kommerzialisierten Holi-Festivals keine Konkurrenz. Im Gegenteil. Von den Musik-Veranstaltungen erhofft sich der Priester Tulsi Dass mehr Aufmerksamkeit für den Hinduismus, ja, eine Art Werbeeffekt. Seine religiösen Gefühle würden nicht verletzt. Sein Sohn, Anil Choudhry, übersetzt:
    "Er findet das eher als positiv, weil dadurch wird ja die Frage gestellt: Holi-Fest – was ist das überhaupt? So im Nachhinein kommt durch diese öffentliche Feier zur Frage: Okay, wo kommt dieses Holi-Festival her? So kommt man auf unsere Kultur. So wird unsere Kultur sozusagen bekannter. Und da werden diese Fragen gestellt. Und das ist ein Vorteil - eher als ein Nachteil. Je mehr Leute das feiern, desto mehr wird unsere Kultur, unser Glaube in die Öffentlichkeit getragen, auch wenn andere Leute das machen."
    Je nach hinduistischer Strömung ranken sich um Holi unterschiedliche Mythen, die den Ritus erklären wollen. Ein Ritus, der aus grauen Vorzeiten zu stammen scheint. Vor allem in der Gegend um Mathura, im nordindischen Uttar Pradesh, sind es Krishna-Legenden. Krishna ist eine der menschlichen Erscheinungsformen des Hochgottes Vishnu. Die Liebe zwischen ihm und Radha, einer Kuhhirtin, gilt im Hinduismus als beispiellos. Als Kind beklagt sich Krishna bei seiner Mutter, dass Radha so hellhäutig und er so dunkelhäutig sei. Seine Mutter rät ihm, Radhas Gesicht mit Farbe zu bemalen. Krishna tut wie ihm geheißen und färbt das Gesicht der Geliebten bunt.
    Im Hinduismus gilt das Spiel mit den Farben zwischen Krishna und Radha als 'Lila', als 'göttliches Spiel'. Nicht ohne Grund heißt es im Englischen 'to play Holi'. Holi 'spielt' man.
    Bunter Höhepunkt
    Im hinduistischen Tempel steuert das diesjährige Holi-Fest auf seinen Höhepunkt zu. Die Jüngsten der Gemeinde tragen extra aus Indien importiertes farbiges Pulver, das gulal, in den Raum. Dann beginnt das Spiel mit den Farben. Statt die Farben wie in Indien sonst üblich zu werfen, muss sich die Gemeinde im Jyoti Maya Tempel mit gegenseitigem Beschmieren zufrieden stellen. Für das ausgelassene Farbenspiel auf Hamburgs Straßen gibt es keine behördliche Genehmigung.
    "Happy Holi! Holi haiiiiii! Das ist unser Holi, schön, oder nicht?"
    Die Gemeindemitglieder schenken sich kleine Süßigkeiten, tanzen ausgelassen – nach wenigen Minuten sind alle bunt.
    Auf der Leipziger Holi-Party tanzt die Menge bis Mitternacht. Wenn die 'Holi-Saison' im September in Deutschland zu Ende geht, zieht die Holi-Partyreihe weiter nach Südafrika und Mexiko – um im Frühsommer des kommenden Jahres wieder nach Deutschland zu kommen: nach Berlin, Wolfsburg oder Leverkusen.