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Harpprecht:Deutsch-französisches Verhältnis bleibt entspannt

Dass Europa nur "von einer gemeinsamen französisch-deutschen Politik aus wirklich vorangebracht werden kann", hätte noch jeder französische Präsident und jeder Bundeskanzler eingesehen, meint der ehemalige Kanzlerberater Klaus Harpprecht.

Klaus Harpprecht im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 07.05.2012
    Tobias Armbrüster: Es war eine denkwürdige Nacht in Paris. Erst zum zweiten Mal in der Geschichte der 5. Republik haben die Franzosen einen Sozialisten in den Élysée-Palast gewählt. François Hollande hat die Wahl gestern deutlich gewonnen. Nicht nur in Frankreich, auch bei uns in Deutschland und in anderen europäischen Ländern fragt man sich jetzt: Was ändert sich, was hat dieser neue Mann vor. Die Vorbereitungen für seine ersten Regierungsschritte, die laufen bereits. Schon kommende Woche soll er die Amtsgeschäfte übernehmen. Natürlich gibt dieser Machtwechsel in Frankreich auch den Politikern bei uns jede Menge Stoff zum Nachdenken.

    Zunächst einmal beschäftigt uns aber noch einmal der Machtwechsel im Élysée-Palast. Am Telefon ist der Frankreich-Kenner und Journalist Klaus Harpprecht, unter anderem war er Korrespondent für die Wochenzeitung "Die Zeit" in Paris, und er war in den 70er-Jahren außerdem Berater von Willy Brandt. Schönen guten Tag, Herr Harpprecht.

    Klaus Harpprecht: Guten Tag!

    Armbrüster: Herr Harpprecht, sind das schwierige Zeiten für die deutsch-französischen Beziehungen?

    Harpprecht: Das könnten schwierige Zeiten werden, wenn es denn bei den ursprünglichen Ankündigungen des siegreichen Kandidaten, nämlich des Sozialisten Hollande, bleiben würde. Aber in seiner Siegeserklärung hat er schon in den wesentlichen europäischen Streitpunkten und den Bezügen auf Deutschland sehr eingelenkt, und er hat ja auch versprochen, dass er seinen ersten Besuch bei Frau Merkel machen wird. Er wird also wahrscheinlich noch in dieser Woche beim Kanzleramt auf der Matte stehen. Sie wird ein paar Entschuldigungen murmeln, weil sie ihn, als er noch Oppositionskandidat war, nicht empfangen hat.

    Ich glaube, dass die Sozialdemokraten, die deutschen Sozialdemokraten einige Überzeugungsarbeit bei dem neuen Präsidenten geleistet haben im Vorfeld, denn in seinem Umkreis war schon eine sehr kritische Stimmung gegenüber der Europapolitik von Merkozy, dem deutsch-französischen Paar, dem berühmten couples franco-allemande entstanden, und das hat er wohl schon etwas korrigiert. Es geht bei ihm darum – und damit trifft er eine allgemeine Stimmung -, dass die Sparstrategie ergänzt wird durch ein Programm des Wachstums.

    Armbrüster: Ja, Herr Harpprecht. Da würde ich Sie gerne mal fragen. Es wird ja jetzt viel darüber gesprochen, dass sich Hollande und Merkel aufeinander zubewegen werden, dass sie Kompromisse finden müssen. Aber müssen wir nicht davon ausgehen, dass Hollande da auf einem ganz eigenen Akzent bestehen wird?

    Harpprecht: Der eigene Akzent besteht zunächst mal darin, da haben Sie recht, dass er die Wachstumspolitik sehr viel stärker betonen wird. Aber er stellt jetzt die Sparstrategie, wie sie in dem Vertrag verabredet ist, nicht mehr in Zweifel, und ich glaube, man wird ihn vielleicht auch davon abbringen können, die gesamten Vertragsartikel noch mal neu zu verhandeln, denn damit würde bei 27 Mitgliedern ja nochmals fast ein Jahr vergehen, und bis dahin kann sehr viel Wasser den Rhein runtergeflossen sein, und es kann auch dann zu spät sein.

    Also ich glaube, dass man da auch einen Kompromiss finden kann. Bis jetzt hat noch jeder französische Präsident, genau wie jeder Bundeskanzler, ob er darauf vorbereitet war oder ob sie darauf vorbereitet war oder nicht, nach einigen Monaten des Regierens eingesehen, dass Europa nur von einer gemeinsamen französisch-deutschen Politik aus wirklich vorangebracht werden kann, und dazu muss später, wie es im Warschauer Dreieck vorgesehen ist, als die wichtigste osteuropäische Stimme Polen dazukommen.

    Armbrüster: Herr Harpprecht, Sie haben ja selber solche Zusammentreffen von Spitzenpolitikern häufig miterlebt in Ihrer Karriere. Was würden Sie Frau Merkel raten, was sollte sie tun, wenn sie François Hollande in den nächsten Tagen zum ersten Mal trifft?

    Harpprecht: Ich glaube, es wird ihr nichts anderes übrig bleiben als eine kleine schelmische Entschuldigung für das Nichtempfangen im Vorraum der Wahlen. Die Entschuldigung wird ihr nicht erspart bleiben. Im Übrigen ist Hollande ein etwas kühler, genau denkender Langweiler. Wahrscheinlich haben ihn die Franzosen in der Mehrheit dann doch gewählt, weil sie ein Gegenbild gegen den etwas aufgeregt zappelnden Sarkozy wollten. Und wenn sie ihm mit der gleichen ausgeglichenen Freundlichkeit begegnet, dann kann daraus ein relativ entspannt vernünftiges Verhältnis werden. Er muss einige Hitzköpfe, die ich als antieuropäisch oder als antideutsch betrachte, in seiner Umgebung zur Ordnung rufen, aber er hat in einer ganzen Reihe von engen Mitarbeitern mögliche Außenminister, die auf eine enge Zusammenarbeit mit den Deutschen sehr gut vorbereitet sind.

    Armbrüster: Das heißt, Sie setzen darauf, dass man Hollande so ein bisschen an die Zügel nimmt, auch in seinem eigenen Team?

    Harpprecht: Ich glaube, es gibt einfach eine historische Vernunftszuweisung. Es hat noch jeder begriffen – Chirac war von Hause aus ein Nationalist, Gerhard Schröder war auf eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich nicht vorbereitet und das war im Grunde genommen auch Angela Merkel nicht als Kanzlerin -, wer immer es war, hat sich der Logik dieser historischen Allianz gebeugt, die einfach das entscheidende Element ist, das in Europa nach 1950 gewachsen ist.

    Armbrüster: So weit der Journalist und ehemalige Kanzlerberater Klaus Harpprecht, und dieses Interview haben wir aus Termingründen kurz vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.