Freitag, 29. März 2024

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„Harter Lockdown" für Kirche und Kultur
"Unsere Politiker machen es sich zu einfach"

Verschiedene Bundesländer verschärfen die Corona-Einschränkungen nach dem Wochenende. Kunst- und Religionsfreiheit werden weiter eingeschränkt. Das entspreche nicht den Vorgaben des Grundgesetzes, sagte der Staatsrechtler Christian Hillgruber im Dlf.

Christian Hillgruber im Gespräch mit Michael Köhler | 09.12.2020
Heiligabend erlaubt, danach nicht mehr? Stühle auf Abstand in der Kirche St. Michaelis in Hildesheim
Heiligabend erlaubt, danach nicht mehr? Stühle auf Abstand in der Kirche St. Michaelis in Hildesheim (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
Kultur und Kultus seien von den gerade diskutierten Überlegungen zu einem so genannten "harten Lockdown" besonders betroffen, sagte Staatsrechtler Christian Hillgruber im Deutschlandfunk: "Unsere Politiker machen es sich da entschieden zu einfach. Für sie endet Weihnachten offenbar am 26.12.; das religiöse Selbstverständnis sieht das anders. Das berührt zum einen natürlich die Religionsfreiheit durchaus in ihrem Kern. Zum anderen aber auch die künstlerische Entfaltungsfreiheit. Und beide Freiheiten schätzt das Grundgesetz sehr und stellt sie deshalb unter seinen besonderen Schutz."
Schutzpflicht gegen Grundrechte
Deshalb dürften diese Freiheiten nicht beliebig verkürzt werden, so Hillgruber weiter – so wichtig der Lebensschutz auch sei: "Er ist – im wahrsten Sinne des Wortes – kein Totschlagsargument, um beliebige, grenzenlose Einschränkungen anderer Freiheiten zu legitimieren."
Leeres Ladengeschäft mit geschlossenen, türkisfarbenen Vorhängen im Schaufenster, in der Innenstadt von Tübingen.
Warum ein "harter" Lockdown wahrscheinlicher wird
Die Infektionszahlen in Deutschland steigen. Der "Lockdown light" erzielt nicht das gewünschte Ergebnis. Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert daher weitreichende Schließungen nach Weihnachten.
Der Staat habe die Verpflichtung, Leben zu schützen, sagte der Verfassungsrechtler. Diese Verpflichtung sei umgekehrt auch ein Grundrecht der Büger*innen:
"Wenn er dieser Schutzpflicht nachkommt, dann muss er dieses Grundrecht immer wieder abwägen gegen andere Grundrechte der Bürger. Und dann setzt sich das Lebensrecht nicht kategorisch durch."
Politisch vertretbar, juristisch nicht
In den vergangenen Monaten habe ein weitgehender Ausfall von Kontrollmechanismen stattgefunden, sagte Hillgruber: "Hier wird ein natürlich wichtiges Ziel zunehmend verabsolutiert und die Abwägung doch in sehr pauschaler Form durchgeführt. Wer kann dann etwas gegen Gesundheit und Lebensschutz einwenden? Dann lautet das Argument: Alles Andere muss dahinter zurückstehen. Das mag politisch eine noch vertretbare Sicht sein; juristisch ist das nicht korrekt."
Miteinander konkurrierende Grundrechtspositionen müssten in gleicher Weise, wenn auch jeweils eingeschränkt, zur Geltung gebracht werden. Religions- und Kunstfreiheit hätten sich dabei durchaus Einschränkungen wegen des Pandemieschutzes gefallen zu lassen:
"Aber umgekehrt darf eben dieser Schutz auch nicht verabsolutiert werden und als Trumpfkarte ausgespielt werden, die gegen alle anderen Freiheiten sticht und diese vollständig aussticht."