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Hartnäckige Bioinvasoren
Pflanzensamen überstehen Maschinenwäsche unbeschadet

Pflanzensamen, die an Gepäck oder Kleidung von Reisenden haften, legen oft erstaunliche Entfernungen zurück. Wo sie dann Wurzeln schlagen, verdrängen sie mitunter heimische Arten. Ein kurioses Experiment belegt: Selbst ein Vollwaschgang kann die Bioinvasoren kaum aufhalten.

Von Volker Mrasek | 16.10.2018
    In der Waschtrommel einer Waschmaschine liegen Kleidungsstücke, aufgenommen am 11.01.2012 in Nürnberg (Mittelfranken).
    Hakelig und hartleibig: Viele Pflanzensamen, die Reisende unbemerkt nach Deutschland einschleppen, überstehen eine 60-Grad-Wäsche problemlos (dpa / Daniel Karmann)
    Die Sonnenwend-Flockenblume. Sie ist eine der wenigen gelb blühenden Vertreterinnen ihrer Gattung. Die ungarische Ökologin Orsolya Valkó hätte nie gedacht, wo sie die Wildpflanze einmal antreffen würde: mitten auf ihrem Stadtbalkon in der Universitätsstadt Debrecen, in einer Ritze im Betonfußboden:"Sie wuchs genau unter der Wäscheleine!"
    Also war es wohl so: Samen der Flockenblume hingen an Orsolya Valkós Kleidung. Die wanderte in die Waschmaschine, wurde zum Trocknen auf den Balkon gehängt, und dann passierte es: Ein Same fiel ab, landete in der Bodenritze und keimte aus. Was allerdings bedeutet: Er muss die gesamte Waschprozedur unbehelligt überstanden haben! Für die Assistenzprofessorin der Universität Debrecen war das der Startschuss zu einem ungewöhnlichen Projekt.
    Anhängliche Samen in der Wäschetrommel
    "Wir haben dann Samen von 18 verschiedenen Pflanzenarten gesammelt und sie in der Waschmaschine gewaschen - bei 30 und bei 60 Grad Celsius. Danach pflanzten wir die Samen in kleine Blumentöpfe mit Erde. Wir wollten sehen, ob sie noch immer imstande waren, auszukeimen."
    Unter den ausgewählten Pflanzen waren sowohl Kräuter wie die Nelkenwurz, die Möhre und die Große Klette als auch diverse Gräser. Lauter Arten mit Samen, die Haken, Haare oder andere spezielle Anhängsel aufweisen. Dadurch bleiben sie im Fell von Tieren hängen, werden verschleppt und keimen dann an anderer Stelle aus.
    Nach einer 60-Grad-Wäsche keimte noch rund die Hälfte
    "Fast alle der Samen überstanden die 30-Grad-Wäsche problemlos. Das heißt: Wenn wir unsere Sachen wieder anziehen, und die Samen kleben noch dran, dann können sie überall dort auskeimen, wo wir sie wieder verlieren. Nach der heißeren 60-Grad-Wäsche war immerhin noch die Hälfte aller Samen keimfähig. Darunter zum Beispiel das Sand-Stachelgras, ein eingeschlepptes, besonders hartnäckiges Unkraut."
    Seit dem Balkonfund der Flockenblume achtet auch Orsolya Valkós Fachkollege und Ehemann Balázc Deak stärker auf Pflanzensamen an seinem Exkursionsoutfit: "Nach einer Reise durch Europa hatten wir Samen von Pflanzen aus Süd-Frankreich, Spanien und Ungarn an unserer Kleidung. Seither passen wir genau darauf auf, dass wir sie entfernen - auch nach der Wäsche! Denn wenn man sich in ein Naturschutzgebiet begibt und dort Samen einträgt, kann das der Startpunkt für die Ausbreitung fremder Arten sein."
    Outdoor-Freunde und Biologen sollten achtsamer sein
    Nicht nur Wanderer und Mountainbike-Fahrer sollten sich hier angesprochen fühlen, sondern vor allem auch Biologen, wie Orsolya Valkó sagt. Denn gerade sie betreiben ihre Freilandarbeit ja häufig in Schutzgebieten:
    "Spanische Forscher haben herausgefunden, dass Samen im Fell von Schafen mehr als 400 Kilometer weit transportiert werden können. Allerdings wechseln Tiere grundsätzlich nur zwischen ähnlichen Lebensräumen. Wir Menschen aber bewegen uns überall: in Städten und allen möglichen Naturräumen. Ich bin mir sicher: Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen steigenden Besucherzahlen und der Zunahme fremder, invasiver Pflanzenarten in Naturschutzgebieten."
    Fleece-Pullover sind besonders kritisch
    Für viele ist es üblich, sich nach Zecken abzusuchen, wenn sie in Wiesen oder Wäldern unterwegs gewesen sind. Das Gleiche empfehlen die ungarischen Ökologen nun auch im Fall der hakeligen Pflanzensamen. Getragene Outdoor-Klamotten sollten zudem bei höheren Temperaturen gewaschen werden. Ansonsten kann man natürlich auch auf die mitreißendsten Kleidungsstücke für Pflanzensamen verzichten. Orsolya Valkó: "Besonders kritisch sind also ausgerechnet die gerne draußen getragenen Fleece-Pullover."