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Hartz-IV-Sanktionen
Strafen funktionieren kaum

Fördern, fordern, strafen: Am Dienstag wird vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden, in welchem Umfang Hartz-IV-Sanktionen verfassungsgemäß sind. Ein Blick zeigt, Strafen helfen nicht wirklich im Alltag.

Von Josephine Schulz | 05.11.2019
    Eine Frau steht mit einem Schild während der mündlichen Verhandlung über die Rechtmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Sozialgericht Gotha hält die Praxis, nach der Hartz-IV-Empfängern Leistungskürzungen drohen, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen, für verfassungswidrig. Daher hat es einen Fall in Karlsruhe vorgelegt. Das Urteil wird in der Regel einige Monate nach der Verhandlung verkündet. Foto: Sebastian Gollnow/dpa | Verwendung weltweit
    Protest gegen Hartz-IV-Sanktionen vor dem Bundesverfassungsgericht (picture alliance/dpa /Sebastian Gollnow)
    "Niemandem wird zukünftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gesellschaft zurückzulehnen, wer zumutbare Arbeit ablehnt, der wird mit Sanktionen rechnen müssen."
    In seiner Regierungserklärung im Jahr 2003 machte Gerhard Schröder klar, was es mit dem Prinzip des Förderns und Forderns auf sich hat. In der Praxis bedeutet das: zehn Prozent Abzug vom Regelsatz gibt es für Menschen, die einen Termin beim Jobcenter verpassen. Das ist bei rund zwei Drittel aller Sanktionen die Ursache. Und wer eine Maßnahme abbricht oder ein Jobangebot ausschlägt, dem können 30 Prozent gekürzt werden.
    Martina Würker, Geschäftsführerin vom Jobcenter Köln, sieht in den Sanktionen aber mehr als nur eine Strafe.
    "Es gibt auch einen anderen Grund, warum man sanktioniert, nämlich von der pädagogischen Idee, zu sagen, wir sollen diesen Kontakt noch halten."
    "Wir haben keine Lust zu sanktionieren"
    Für sie ist eine Sanktion auch ein Angebot im Gespräch zu bleiben. Und immer, so betont sie, werde zuerst gefragt, ob es zum Beispiel für einen verpassten Termin gute Gründe gibt.
    "Und in der Regel wird dann auch erstmal nicht sanktioniert, wenn ich mich zurückmelde. Weil, wir haben keine Lust zu sanktionieren."
    Bei dem Kölner Erwerbslosenverein Keas sieht man das anders. Hier haben sich Hartz-4-Empfänger zu einer Art eigenen Interessenvertretung zusammengeschlossen. Sie organisieren Proteste vor dem Jobcenter und bieten Beratungen für andere Betroffene an.
    Jan, der seinen Nachnamen nicht im Radio hören will, bezieht selbst seit Jahren ALG II. Er hat bei den Beratungen den Eindruck, dass die Sanktionen oft die Schwächsten treffen.
    "Jetzt gibt es natürlich Leute, die sind psychisch krank, die kommen morgens noch nicht mal aus dem Bett raus. Da wird auch nicht groß recherchiert oder nachgehakt, warum. Wenn die sanktionieren können, dann machen die das."
    Von Druck wird es nicht besser
    Die Sanktionen gelten dann immer für drei Monate. Und wenn innerhalb eines Jahres ein neues Vergehen hinzukommt, dann addieren sich die Abzüge - bis hin zur Komplettsanktionierung.
    "Wir kennen Fälle von Leuten, die zu 100 Prozent sanktioniert wurden, die einfach sagen 'Ich will da nicht mehr hin'. Und indem man massiv Druck auf die Leute ausübt, wird das nicht besser."
    Ein unbekannter Street-Art-Künstler hat auf einer Mauer an einem besetzten Haus in Berlin im Bezirk Mitte dieses Bild geschaffen, das seine Meinung zu den Hartz IV Gesetzen drastisch wiedergibt: Verzwifelte HÄnde greifen nach dem roten Schriftzug Hartz IV, im Hintergrund sind Grabkreuze zu sehen.
    Wenn ein Minimum gekürzt wird - Karlsruhe verhandelt über Hartz-IV-Sanktionen
    Hartz IV soll Arbeitslosen die Existenz sichern. Doch sogar das Geld für die Krankenversicherung darf der Staat den Beziehern der Sozialleistung im schlimmsten Fall kürzen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet jetzt darüber.
    Auch Kim hat sich bei dem Erwerbslosenverein Hilfe gesucht, weil sie viele Auseinandersetzungen mit dem Jobcenter als Schikane empfindet und die nicht mehr passiv hinnehmen wollte. Sie glaubt, dass in den Jobcentern ein Quotendruck herrscht, Menschen zu vermitteln und wenn die nicht mitspielen, zu sanktionieren.
    "Und das führt eben dazu, dass sich Sachbearbeiter, je nach Umfeld und Teamleitung, schon ganz schön was trauen müssen, um diesem Druck nicht entsprechen zu wollen und noch Mensch bleiben zu wollen. Und Angestellte vom Jobcenter, die ihren Ermessensspielraum extrem ausnutzen sind einfach kein Einzelfall."
    Dass es einen Ermessensspielraum gibt und möglicherweise Unterschiede zwischen einzelnen Sachbearbeitern, bestätigt auch Martina Würker vom Jobcenter. Aber:
    "das würde eher auffallen, wenn man sagt, das ist in einem Team immer Herr x oder Frau y, die die einzigen sind, die Sanktionen machen. Dann hinterfragt man das schon."
    Gerade bei jungen Menschen geben sich die Mitarbeiter ihrer Meinung nach viel Mühe.
    "Weil wir gerade im Bereich unter 25-Jährige sehr viele engagierte und auch junge Kollegen haben. Die wollen nicht, dass jemand verloren geht."
    Für Menschen unter 25 gelten härtere Sanktionen
    Für Menschen unter 25 gelten andere, härtere Sanktionsregeln als für den Rest. Schon wenn sie das erste mal eine Maßnahme ablehnen, kann der gesamte Regelsatz gestrichen werden. Beim zweiten Mal dann auch das Geld für Miete und Heizung. Martina Würker ist gegen diese härteren Strafen für junge Menschen und sie findet auch, dass die Kosten für die Wohnung generell nicht gekürzt werden sollten. Für Kim reicht das längst nicht aus.
    "Man lebt auf Hartz 4 schon ohnehin unter einem sehr existenziellen Druck, man gerät sowieso in soziale Isolation, weil man sich jetzt nicht mehr leisten kann, mal mit Freunden einen Kaffee zu trinken oder ins Kino zu gehen. Und die Sanktionen isolieren dich einfach immer weiter in deinen Möglichkeiten."
    Dass Sanktionen psychische Folgen haben, davon geht auch der Arbeitspsychologe Rainer Wieland von der Uni Wuppertal aus.
    "Wenn wir Personen in solchen Verhältnissen lassen, können wir nicht erwarten, dass sie ein bestimmtes Verhalten zeigen, also wirklich sehr aktiv Berufe suchen. Vor allem können wir auch nicht erwarten, dass sie psychisch gesund bleiben."
    Wieland führt zusammen mit dem Verein Sanktionsfrei, der sich gegen Sanktionen einsetzt, eine Langzeitstudie durch. 500 Hartz-4-Bezieher nehmen daran teil, die Hälfte davon bekommt für drei Jahre Sanktionen durch den Verein erstattet, die andere nicht. Dadurch soll unter anderem herausgefunden werden, wie sich Sanktionen auf die Einstellungen und Gefühle der Menschen auswirken.
    Ergebnisse der Studie gibt es noch nicht, aber für Wieland hat schon die Vergangenheit deutlich gezeigt, dass das bestehende System des Förderns und Forderns oft genau das Gegenteil von dem erreicht, was es eigentlich bezweckt.