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Harz
Kühe für den Naturschutz

Der Oberharz ist nicht nur bei Wanderern und Skifahrern beliebt - auch die Harzkuh fühlt sich auf den satten Wiesen unterhalb des Brockens wohl. Die Nutztierrasse war bis vor einigen Jahren vom Aussterben bedroht. Bauern im Harz züchten sie jetzt wieder und leisten damit einen wichtigen Beitrag für den Naturschutz.

Von Eva Firzlaff | 19.05.2016
    Tanne (Sachsen-Anhalt): Auf einer Weide in Tanne bei Benneckenstein (Landkreis Wernigerode) grasen einige Exemplare der Rasse Harzer Höhenrotvieh.
    Die seltene Harzkuh kann man an ihrem rotbraunen Fell erkennen. (dpa/picture-alliance / ZB)
    Tanne ist ein Winzigdorf im Oberharz nahe Braunlage und Schierke. Skiläufer und Wanderer kommen vorbei. Busunternehmer machen mit ihren Gästen Station beim Brockenbauern. Sie alle werden vorne am Hof von einer kleinen Familie begrüßt: Bulle, Mutterkuh und Kalb. Es riecht nach frischem Heu mitten im Dorf, nicht nach Kuhstall.
    "Da lachen immer die Leute, ich habe meinem Mann zum 30. Geburtstag das erste Harzkuh-Kälbchen geschenkt. Ich weiß nicht, ob andere Männer sich darüber gefreut hätten, aber die Liebe zur Harzkuh hat sich eben mit diesem ersten Harzkuh-Kälbchen entwickelt", erzählt Susann Thielecke. Vor 20 Jahren kam Kälbchen Elsa zur Familie und sollte eigentlich nur ein Hobby sein. Mittlerweile haben sie 550 Tiere, 150 Mutterkühe, Jungvieh und einige Bullen. Den Winter verbringen sie im Laufstall im Nachbarort, sobald das Gras wächst, kommen sie auf die Weiden im Oberharz. Noch um 1950 hatte jeder Bergbauer zwei oder drei Kühe. Doch dann verschwand das rote Höhenvieh.
    Drei-Nutzungs-Rasse im Harz fast ausgestorben
    Uwe Tielecke: "Das Tier war fast ausgestorben, regelrecht ausgerottet worden in den 1970er-Jahren. Es war ursprünglich eine Drei-Nutzungs-Rasse, wurde also auch als Zugtier eingesetzt, ist klar, dass man das nicht mehr brauchte. Und sie gab eben ein bisschen Milch und ein bisschen Fleisch. Deswegen ist die Rasse an sich unwirtschaftlich gewesen."
    Aber die kleinen Kühe mit dem leicht lockigen rotbraunen Fell und den weißen Hörnern passen eben in die raue Bergwelt.
    "Die Harzkuh ist eine sehr robuste, sehr lebendige, leichtkalbende, mütterliche Rasse, die mit den extremen klimatischen Bedingungen hier im Oberharz sehr gut zurechtkommt und auch mit dem kargen Futter, das hier wächst, hervorragend zurechtkommt."
    Sie weiden im Naturschutzgebiet Bodetal und auf den Bergwiesen, die dadurch erhalten werden.
    Aufwendiges Verfahren der Weideführung
    "In Schierke sind die höchsten Wiesen in Sachsen-Anhalt, unterhalb vom Brocken. Da ist der Nationalpark auf uns zugekommen und hat gesagt: ‘Wir haben hier 30 Hektar Wiese, das ist eine ursprüngliche Mähwiese. Die bunten Wiesen sind jetzt irgendwie weg, weil man diese Flächen nicht mehr mäht. Könnte man nur von Hand mähen, von Hand mäht heute keiner mehr und 30 Hektar schon gar nicht. Und wir haben da ein Verfahren angewandt, das sich im Fachjargon Portionsweide nennt. Das ist ein sehr aufwendiges Verfahren in der Weideführung."
    Jeden Tag wird der Weidezaun umgesteckt, damit die Herde den jeweiligen Tagesflecken gründlich abweidet. Als ob gemäht ist.
    "Schon nach zwei Jahren hat man die ersten Ergebnisse gesehen, dass eben Orchideen wieder da waren, dass die Arnika wieder besser geblüht hat, dass die Disteln weg waren. Sodass wirklich wieder eine bunte Bergwiese entstanden ist."
    Schon vor 10 Jahren bekam der Brockenbauer als einer der ersten den Förderpreis "Naturschutzhöfe" des Instituts für Agrarökologie und Biodiversität in Mannheim.
    Mehr als 200 verschiedene Kräuter und Gräser
    "Weil wir eben 200 verschiedene Arten an Kräutern und Gräsern, letztendlich bunte Wiesen hier haben. Es ist nicht nur eine Grasart, die viel Eiweiß oder Energie produziert für eine wirtschaftliche Landwirtschaft. Sondern wir haben eben bunte Kräuterwiesen, wo eben nicht nur die Rinder von fressen, sondern auch Schmetterlinge und anderes Kleingetier von leben können."
    Seine Harzkühe kriegen kein Kraftfutter, nur das, was sie auf der Weide finden, oder im Winter eben das Heu von den Bergwiesen. Das macht das Fleisch zart und aromatisch. Die Milch wird nicht vermarktet.
    "Wenn eine Kuh im Durchschnitt nur 2500 Liter Milch gibt, dann kann man da auch nicht wirtschaftlich Milch produzieren. Wir haben auch gesagt, wir nehmen sie aus diesem Leistungsdruck heraus. Bei uns hat eine Kuh eigentlich nur die Leistung zu bringen, ein Kälbchen zur Welt zu bringen pro Jahr und dieses Kalb mit 2000 bis 2500 Liter Milch zu versorgen. Das ist genau das, was ein Kalb braucht, um vernünftig aufzuwachsen."
    Stressfreies Schlachten
    Die jungen Kühe bleiben in der Herde oder werden verkauft, die jungen Bullen mit zwei Jahren geschlachtet. Weil Tieleckes die Tiere zum Schlachten nicht mehr weit transportieren wollten, haben sie im vorigen Sommer am Hof eine eigene kleine Schlachterei gebaut.
    "Die Tiere gehen ganz gemütlich in die Schlachtung rein, also völlig ohne Stress. Wir haben auch noch eine alte Kuh dann da stehen, die die Bullen beruhigt. Und sie sind umgeben nur von Leuten, die sie auch kennen. Das macht sich bei der Fleischqualität unglaublich bezahlt. Stressfreies Schlachten, ja."
    Das Fleisch in Bio-Qualität wird in der ebenfalls neuen eigenen Fleischerei verarbeitet und vor allem im Hofladen verkauft. Wanderer kommen zufällig vorbei, andere zielgerichtet aus der Ferne. Vor 20 Jahren hat der Brockenbauer mit Kälbchen Elsa angefangen, ist nun der größte Züchter deutschlandweit, hat acht Mitarbeiter, die beiden Töchter haben Landwirtschaft und BWL studiert, werden den Betrieb weiterführen.