Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Hasnain Kazim: "Post von Karlheinz"
Den Hass nicht unwidersprochen hinnehmen

Seit Jahren wird der Journalist Hasnain Kazim in Hass-Mails als "Hurensohn", "Verräter" oder "Ratte" beschimpft. Seit kurzem antwortet er auf die Zuschriften - weil er es leid sei, Extremismus jeglicher Art unwidersprochen hinzunehmen, sagte Kazim im Dlf.

Hasnain Kazim im Corsogespräch mit Achim Hahn | 25.04.2018
    Der Journalist Hasnain Kazim in einer Fußgängerzone
    "Ich habe die Hoffnung, dass es was bringt." Hasnain Kazim antwortet seit einiger Zeit auf Zuschriften von Rassisten und Fanatikern - jetzt hat er seine Erfahrungen auch als Buch herausgebracht (dpa, picture alliance/Can Merey)
    Seine Jimmy Hendricks-artige Blockflötenversion der deutschen Nationalhymne ging als Facebook-Video viral. Es war eine der bisweilen provozierenden Reaktionen auf die unzähligen Hass-Protest-Schreiber, mit denen der Journalist Hasnain Kazim konfrontiert wird. Damals schrieb ein Georg W. aus Zwickau: "Beweisen Sie, dass Sie Deutscher sind! Ein deutscher Pass genügt nicht!" - Nahezu täglich bekommt der Spiegel-Korrespondent mit indisch-pakistanischen Wurzeln hasserfüllte Leserpost bis hin zu Morddrohungen. Doch statt die Wutmails einfach wegzuklicken, hat er vor gut zwei Jahren beschlossen zurückzuschreiben. Heute erscheint das daraus entstandene Buch "Post von Karlheinz. Wütende Mails von richtigen Deutschen - und was ich ihnen antworte".
    "Ich komme dann mit meiner Großfamilie"
    Achim Hahn: Schönen guten Tag nach Wien, Hasnain Kazim.
    Hasnain Kazim: Guten Tag.
    Hahn: Warum haben Sie sich entschlossen, den Hass und den Schwachsinn, der in Ihrem Postfach landet, nicht unkommentiert zu lassen?
    Kazim: Ach, ich habe ihn viele Jahre unkommentiert gelassen - ich bekomme ja schon seit vielen Jahren Hassbriefe und wütende Mails. Und irgendwann, also vor zwei Jahren, hatte ich das Gefühl, es wird immer mehr und ich kann einfach nicht mehr das ignorieren. Man muss doch irgendwie reagieren, man muss auf diese Leute zugehen. Dann kam immer mehr auf diese Forderung: Man muss mit Rechten reden, man muss mit ihnen auf Augenhöhe reden, man muss die Sorgen und Nöte der Menschen wahrnehmen und ernstnehmen. Und da habe ich mir gedacht, okay, dann versuche ich das mal, auch auf Augenhöhe zum Teil, auch wenn das ein sehr niedriges Niveau ist. Und ich habe einfach beschlossen, ich schreibe denen zurück und suche den Dialog.
    Hahn: Haben Sie denn mal ein Beispiel für einen solchen Dialog, der sich aus einer Ihrer Antworten entsponnen hat?
    Kazim: Also, ein Beispiel ist der Titelgebende, das ist ein Karlheinz, der mir geschrieben hat. Der schrieb mir dann also, ich sei ein Schmierfink, der ständig nur anti-deutsch denke, ich wäre ein Ausländer und überhaupt solle ich Schreiberling mal zum ihm kommen, dann würde er mir mal beibringen, was ein echter Deutscher ist. Und da habe ich gedacht: Na ja, dem antworte ich auch, wenn er schreibt "komm Du zu mir, damit ich Dir zeigen kann, was ein echter Deutscher ist", dann habe ich das als Einladung aufgefasst. Ich habe gesagt: "Vielen Dank, ich komme sehr gerne - ich bin ohnehin mit meiner Großfamilie da. Und ich komme dann mit meiner Großfamilie, mit meinen drei Frauen - die vierte kann nicht, die ist im Kreißsaal und kriegt gerade unser sechstes gemeinsames Kind -, mit meinen Cousins und Cousinen und deren 22 Kindern - wir kommen also mit zwei Busladungen voll gerne zu ihm und dann hören wir uns gerne an, was ein echter Deutscher ist". Und da hat er natürlich Angst bekommen, hat das dann ernstgenommen, hat das nicht verstanden, dass das im Grunde genommen Ironie ist. Und fing dann an, so ein bisschen zurückzuweichen, also "das war ja nicht so ernst gemeint" und "wir sind außerdem gar nicht da" - und ich bin aber immer weiter darauf eingegangen. Ich habe gesagt: "Macht nichts, wir kommen, wir haben unser eigenes Zelt dabei - wir bauen das im Garten auf, wir schächten dann da ein paar Schafe". Und am Ende hatte er dann so viel Angst, dass er gesagt hat, es tut ihm leid, es war gar nicht so gemeint. Und er wäre zwar sauer gewesen auf mich und auf das, was ich schreibe, aber das wäre alles nicht so gemeint.
    "Ich möchte diese Leute politisch bekämpfen"
    Hahn: Wie kommt denn dieser ironische und auch individuell provozierende Umgang im Netz an?
    Kazim: Gemischt. Also, ich habe viele Fans, ich glaube, viele finden das gut, dass ich denen das mal so sage und sozusagen ihren Unsinn zurück spiegele. Es gibt aber auch viele, die mich dann natürlich weiter beschimpfen, die das überhaupt nicht lustig finden. Es gibt Leute, die mir auch sagen, ich würde damit ja im Grunde genommen keine Gräben zuschütten, ich würde die Mauer vielmehr erhöhen. Für mich ist das immer der erste Schritt, zurück zu antworten auf die gleiche Art und Weise. Wenn ich dann merke, okay, der spürt, dass ich das ja auch nicht ernst meine, dann kommt man manchmal auf eine inhaltlich gute, sachliche Ebene. Das sind also Dialoge, die dann wirklich gut funktionieren, davon habe ich auch einige in meinem Buch. Aber ich muss auch ganz ehrlich sagen: Es gibt zum Beispiel Leute, die mir schreiben, sie wünschten sich, dass die Deutschen mit den Muslimen das Werk fortsetzten, dass sie mit den Juden begonnen haben. Ich will zu diesen Leuten keine Nähe. Ich möchte gerne, dass der Graben da ist und dass die Mauer da ist. Und ich möchte diese Leute ausgrenzen und politisch bekämpfen und machtlos halten.
    Hahn: Manchmal werden Sie ja auch verständlicherweise richtig böse - streitlustig sind Sie ja sowieso. Aber was macht das mit einem persönlich, wenn man ständig hasserfüllte Post bekommt oder sogar Morddrohungen erhält?
    Kazim: Es nimmt einem ein Stück weit die Gelassenheit, vor allen Dingen, weil man ja oft auch Briefe bekommt, die wirklich haarsträubend sind, von Leuten, von denen man das nicht gedacht hätte. Ich habe einen Brief bekommen von einem Rechtsprofessor, Professor Doktor Sowieso, und der hat mir, wenn ich das ausgedruckt habe auf 20 Seiten, auf 20 Din-A4-Seiten versucht zu erklären, warum ich niemals Deutscher sein kann. Da kam dann unter anderem auch ein Satz wie "eine Ratte, die in einem Pferdestall geboren wird, wird niemals Pferd sein". Und das macht einen dann schon auch wütend. Und es macht einen auch misstrauisch. Und mittlerweile ist es halt so, dass ich, wenn ich Leuten begegne, mich immer schon frage: Wie tickt der eigentlich? Im Grunde genommen ist das eine Entwicklung an mir selbst, die mir nicht gefällt. Aber sie ist nun mal so.
    Wir haben noch länger mit Hasnain Kazim gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Hahn: Seit wann hat sich denn, Ihrer Wahrnehmung nach, das Klima in Deutschland so sehr verändert, dass Sie ja sogar eine "Erosion des Widerstands" befürchten?
    Kazim: Also, es gab diese Art von Zuschriften ja schon immer. Ich habe sie seit Anfang der 90er bekommen. Ich war damals Schüler und habe damals gegen diese Menschenjagden die es gab und brennende Flüchtlingsheime Anfang der 90er, Hoyerswerda, Rostock und so weiter, geschrieben als Schüler - und habe da schon wütende Post bekommen, anonym. Und das waren dann aber sieben Briefe, die mal kamen, und dann trudelte immer wieder mal einer ein. Es war ja mühsam: Man musste sich hinsetzen, ein Blatt Papier nehmen, das dann aufschreiben oder tippen, die Adresse herausfinden. Jetzt geht es sehr schnell und einfach per E-Mail, und anonym jedenfalls auch. Es ist so eine Stimmung da, dass Leute sich trauen, immer mehr auch zu sagen und mit ihrem Namen dazu zu stehen. Also, es gibt Morddrohungen, da steht dann der Name und die Adresse drunter - wo man sich fragt: Was ist da jetzt falsch im Kopf dieser Person? Und ich stelle fest, so in den letzten drei Jahren ist es noch mal mehr geworden. Und vor allen Dingen seit dem Einzug der AfD in den Bundestag ist noch mal ein Schub dagewesen.
    "Es gibt zu wenig Widerstand"
    Hahn: Fühlen Sie sich von der Mehrheitsgesellschaft im Stich gelassen?
    Kazim: Nein, also noch nicht. Und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Was mich aber schon stört und irritiert, ist das Schweigen vieler Leute, dass viele Leute sagen: "Na ja, die haben ja auch ihre Sorgen und Nöte" oder "man muss sie ja verstehen". Natürlich gibt es vieles, was man kritisieren kann. Und dass man beispielsweise nicht klar damit kommt, dass zu viele Leute aus anderen Ländern hierher kommen. Und ja, es gibt natürlich auch Leute, die solche Leute dann sofort in die rechte Ecke stellen - das tue ich nicht. Man muss sich schon Sorgen anhören, aber die Frage ist halt, wie formuliere ich das? Und wie argumentiere ich? Und welche Haltung habe ich?
    Wenn Leute auf die Straße gehen und sagen, man müsste Flüchtlinge, die an der Grenze sind, erschießen - das ist kein Problem und keine Sorge, die dieser Mensch hat. Das ist einfach ein Ding, das nicht geht. So was kann man nicht sagen, so was sollte man nicht denken und schon gar nicht erst tun. Da habe ich schon manchmal den Eindruck, es gibt zu wenig Widerstand, es wird einfach weggeschaut oder ignoriert oder gesagt: "Na ja, es geht mich ja eh nichts an."
    Hahn: Sie waren ja als Korrespondent von Spiegel Online in Pakistan und dann in der Türkei. Dort mussten Sie das Land verlassen, weil Sie sich mit Ihrer Berichterstattung unbeliebt gemacht hatten bei den Erdogan-Anhängern. Jetzt leben und arbeiten Sie in Wien. Wie erleben Sie dort das politische Klima nach dem Rechtsruck im Land - dazu noch als Piefke mit indisch-pakistanischen Wurzeln?
    Kazim: Es ist eine spannende Situation für mich persönlich, weil ich ja merke, dass gerade, wenn man hier mit rechtspopulistischen Politikern spricht, dass die überhaupt nicht so richtig wissen, wie sie mich einordnen sollen. Manchmal recherchieren die dann auch und stellen fest, wie Sie sagten, ich sei aus der Türkei rausgeflogen, hätte also das Land verlassen müssen, weil ich Ärger hatte mit AKP-Anhängern und mit Erdogan. Und dann denken die, ich müsste automatisch auf ihrer Seite stehen, sozusagen anti-türkisch sein, auch Anti-Ausländer und so weiter. Das bin ich aber nicht. Ich bin Journalist und versuche eben zu kritisieren, wo es was zu kritisieren gibt.
    Die Situation hier in Österreich ist natürlich bei Weitem nicht so harsch wie in manchen islamischen Ländern, wo wirklich Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, stark eingeschränkt ist. Aber man merkt schon, dass hier auch versucht wird, Einfluss zu nehmen. Also, wenn man sich anschaut, wie die FPÖ versucht, Medienpolitik zu machen; wie sie versucht, auch den ORF, den sie nicht mag, weil der ORF so berichtet, wie es ihr nicht gefällt, da Einfluss zu nehmen, auch personelle Veränderungen vorzunehmen, das ist schon bedenklich und das sollte man auch kritisieren.
    Hahn: Hasnain Kazim, vielen Dank für dieses Corsogespräch.
    Hasnain Kazim: "Post von Karlheinz. Wütende Mails von richtigen Deutschen - und was ich ihnen antworte"
    Penguin Verlag 2018, Taschenbuch, 272 Seiten, 10 Euro
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.