Freitag, 19. April 2024

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Hass im Netz
"Wir müssen uns wehren"

Die Grünen-Politikerin Renate Künast ist oft Zielscheibe von Hass im Internet und setzt sich dagegen ein. Sie sagt: Wer angegriffen wird, sollte das öffentlich machen. Man müsse laut darüber reden, um die Hetzer zu demaskieren - aber auch um Politik und Polizei darauf aufmerksam zu machen.

Renate Künast im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 21.06.2019
Renate Künast im Bundestag am 22.5.2015
Renate Künast (picture alliance/dpa/Rainer Jensen)
Das Ziel der Hetzer sei, eine Person fertigzumachen oder das demokratische System zu zersetzen, sagte Künast im Deutschlandfunk. Damit das nicht aufgehe, müssen man laut über Angriffe sprechen. Zudem könnten so auch Netzwerke aufgezeigt werden, etwa von Rechtsradikalen.
Das im Herbst 2017 eingeführte Netzwerkdurchsetzungsgesetz alleine reiche nicht, um dem Hass im Netz zu begegnen, sagte die Grünen-Politikerin. Es brauche eine Vielzahl an Maßnahmen. Unter anderem müsse die Polizei besser geschult und ausgestattet werden. Die Social-Media-Plattformen müssten zudem dazu angehalten werden, selbst Hass aufzuspüren und nicht nur auf Meldungen zu reagieren.

Das Gespräch in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Beleidigungen gegen Politikerinnen, Drohungen gegen Politiker, Morddrohungen – all das gehört für viele Amtspersonen in Deutschland inzwischen zum Alltag, gerade auch im kommunalen Bereich. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat dieses Problem nun in den Fokus gerückt und eine Diskussion darüber entfacht, wie mit so etwas umzugehen ist, gerade auch mit Blick auf digitale Räume, soziale Netzwerke, wo so eine Drohung schon mal schnell unter einem anonymen Namen abgesetzt ist und auch tatsächlich zum Alltag gehört.
Um Netzwerke zu verpflichten, strafrechtlich relevante Postings zu löschen, hat die Bundesregierung das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz geschaffen, das seit Herbst 2017 gilt. Dadurch sollen Nutzer(innen) geschützt werden und Transparenz geschaffen werden. Dass das passiert, bezweifeln viele. Erst im Mai gab es eine Sachverständigenanhörung im Bundestag, bei der viele skeptische Stimmen zu Wort kamen. Trotzdem will man im Justizministerium das Gesetz jetzt weiterentwickeln, auch beeinflusst von der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion. Wie man es weiterentwickeln könnte, darüber möchte ich jetzt mit Renate Künast sprechen. Die grüne Bundestagsabgeordnete ist Juristin, Mitglied im Nationalen Kampagnenkomitee des No Hate Speach Movements und selbst immer wieder Ziel von Hass im Netz. Einen schönen guten Morgen, Frau Künast.
Renate Künast: Guten Morgen!
Büüsker: Das NetzDG, das gilt seit Herbst 2017. Seitdem haben wir jetzt nicht unbedingt weniger Hass im Internet. Taugt das Gesetz vielleicht gar nicht, um unseren Diskurs dort zu retten?
Künast: Vielleicht verspricht das Gesetz zu viel, weil das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz kann ja nur sagen, dass die Inhalte, die offensichtlich rechtswidrig sind, gelöscht werden innerhalb von 24 Stunden oder sieben Tagen. Und es ist nun mal so, dass die Meinungsfreiheit bei uns hochgehalten wird, und die will ja auch niemand einschränken. Viele von diesen Rechtsextremen haben sich durchaus selber geschult, schulen sich untereinander. Es gibt ja auch ein Medienhandbuch von denen, ein Guerilla-Handbuch, wie man sich da äußern soll, damit man immer um die Rechtsprechung und die Tatbestände des Strafgesetzbuches herumformuliert. Nicht konkret, ich werde, wenn ich den und den treffe, anspucken oder beleidigen oder so, sondern wenn das jemand tun würde, dann würde ich mich darüber freuen, oder ich würde gerne von Ihnen ein Enthauptungsvideo sehen und Ähnliches.
Die ganze Struktur dafür ist so aufgebaut bei denen, dass sie möglichst nicht bestraft werden. Deshalb ist der Teil dessen, was bestraft wird, auch relativ gering, was dann entsprechend gelöscht wird. Da sehen wir jetzt schon das Problem, dass wir nicht mehr allein mit einem Netzwerk-Durchsetzungsgesetz durchkommen, sondern dass es wirklich eine Vielzahl anderer Maßnahmen braucht und vor allen Dingen einen Aufbruch von Leuten, die sich wehren, die da gegenhalten, im digitalen wie im analogen Leben, damit das nicht hoffähig wird, was da jetzt passiert.
"Mehr Polizei, die dann mal hinschaut"
Büüsker: Über Maßnahmen gegen Hass würde ich gerne gleich noch mal ausführlich mit Ihnen sprechen. Aber bleiben wir vielleicht mal bei diesen Drohungen, die eher als Codes formuliert werden, wo nicht direkt die Drohung von der Person selbst ausgesprochen wird. Das ist dann ja letztlich auch was, wo man mit dem Strafrecht im Prinzip gar nicht mehr drankommt, oder?
Künast: Genau! Man kommt mit dem Strafrecht nicht dran. Und sie sind sehr klug darin, sich dazu vorzubereiten und die Dinge dann, sage ich mal, indirekt zu formulieren. Und wir sind mit dem Netzwerk-Durchsetzungsgesetz sowieso so, dass die "Betreiber" nur das machen müssen, was tatsächlich gemeldet wird. Sie müssen nicht selber suchen. Dann müssten sie mehr Personal einstellen und ich glaube, die Frage sollte man irgendwie auch stellen, dass sie auch selber suchen und sehen müssen und nicht nur auf Meldungen reagieren. Und ich glaube, wir müssten in dem Bereich – das hat auch gerade der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei gesagt – eigentlich auch ein bisschen mehr Polizei unterwegs haben, die dann tatsächlich bei entsprechender Hetze, bei Fakes und Verstößen im strafbaren Bereich tatsächlich mal hinschaut an der Stelle. Aber die sind auch hier komplett unterversorgt.
Büüsker: Aber soll denn tatsächlich die Polizei aktiv in soziale Netzwerke gehen und die Inhalte dort prüfen, ob sie strafrechtlich relevant sein könnten? Das klingt in meinen Ohren ein bisschen utopisch.
Künast: Na ja. Ich glaube, die Polizei wäre damit in jeder Hinsicht überfordert. Was Herr Malchow von der GDP sicherlich meinte war, dass es überhaupt eine Analysefähigkeit gibt und die Möglichkeit, dort mal zu verstehen, was eigentlich passiert. Mittlerweile gibt es ja auch einen anderen Bereich, der eigentlich mindestens so gefährlich ist, nämlich das Cyber-Grooming, das Anbahnen im Netz bei Kindern und Jugendlichen, wo dann von denen am Ende sexuelle Fotos und so verlangt werden. Sie sehen: Im Netz gibt es noch ein zweites großes Problem, und da muss die Polizei in dem Bereich sicherlich selber aktiv sein.
Offen über Hetze und Anfeindungen reden
Büüsker: Malchow fordert jetzt mehr Personal. Zeitgleich berichten aber auch viele, die von Hass und Drohungen betroffen sind, dass, wenn sie zur Polizei gehen, sie eigentlich dort gar nicht mit ihrem Anliegen durchkommen, dass dort gar nicht ernst genommen wird diese Drohungen, die im Netz passieren. Wird das in den Behörden tatsächlich einfach auch zu sehr unterschätzt?
Künast: Ich glaube, ja. Man kann sagen, unterschätzt. Auf der anderen Seite ist es auch schwer zu verstehen. Wer nicht selber viel im Netz unterwegs ist und sieht, was da passiert, hat ja das Problem, das überhaupt wahrzunehmen, was das eigentlich bedeutet, wenn systematisch Leute, die dort eigentlich kommunizieren wollen – das soll es ja sein, ein offener Kommunikationsplatz -, es ist schwer zu verstehen, was das eigentlich heißt, dass immer, wenn jemand kommuniziert oder was mitteilt, daraufhin dann Hass, Abwertung und und und praktiziert wird von der Methode her. Ich glaube, dass wir natürlich das trennen müssen. Polizei soll ja auch nicht auf einem analogen Marktplatz immer herumrennen und gucken, benimmt sich jemand daneben. Aber, dass Polizei schon noch, sage ich mal, das Personal hat, um zu verstehen, um andere zu schulen, damit auch eine normale Polizeidienststelle diese Anzeige aufnimmt und nicht abtut und so. das halte ich schon für einen wichtigen Punkt.
Dann gibt es natürlich eine Schnittmenge, die viel weiter geht, nämlich nicht für diesen Alltag, sondern Polizei muss ja auch lernen und sehen, wie der Rechtsextremismus sich dort vernetzt. Das ist ja noch viel schlimmer als die Frage, ob mir jemand bestimmte Posts und Tweets schickt. Aber dass Polizei sich ansieht, wo Vernetzungen sind – und das weiß man ja, dass der Rechtsextremismus sich teilweise sogar in der Spielszene bei den Games vernetzt und dort Gruppen bildet. Wenn Sie irgendwelche Spiele dort spielen und wo sich Gruppen bilden, dann fällt einem plötzlich auf, was da passiert.
Büüsker: Das weiß man, sagen Sie, und in der Tat gibt es ja Expertinnen und Experten, die darauf seit Jahren hinweisen, und auch auf das Problem des Hasses im Netz. Das ist jetzt auch nichts, was wir erst 2019 erleben. Sie selbst haben 2016 diese Erfahrung schon gemacht und in einer "Spiegel"-Reportage geschildert, wie Sie mit den Leuten, die Ihnen Hass entgegenbringen, umgehen. Haben Sie daraus was gelernt? Können Sie irgendwas von dem, was Sie 2016 selbst erlebt haben, 2019 weitergeben, anwenden? Wie sind Ihre Erfahrungen da?
Künast: Auf alle Fälle habe ich eins gelernt: Man muss offen darüber reden. Was die Leute gerne wollen ist, den Einzelnen, auch jemand, der irgendwo in einer kleinen Stadt sozial aktiv ist, wenn ihnen das nicht passt, wollen sie diesen Einzelnen richtig fertig machen. Laut darüber reden, die Sachen erzählen, die Sachen sichern und auch die Namen nennen, wer das jeweils ist. Warum? – Es geht nicht nur um Sie alleine. Sie sollten selber auch nicht alleine bleiben, sondern sich von anderen Unterstützung holen und ein bisschen das Backing. Es geht auch darum, andere dann zu demaskieren. Da soll man keine Scheu haben. Das war immer auch wichtig zu zeigen, zum Beispiel wie jetzt auch bei Herrn Lübcke, nachdem er ermordet wurde, wie da in welchen Kreisen bis rein in die AfD sich noch lustig darüber gemacht wurde und Häme hinterhergeschüttet wird. Man muss das sagen, damit die Menschen wissen, was los ist und nicht hinter denen herlaufen, einer der wichtigsten Punkte. Es ist ein wichtiger Punkt, offen und laut darüber zu reden, um sich selber zu schützen.
"Man muss man diese Netzwerke aufzeigen"
Büüsker: Aber das setzt ja auch voraus, dass man dann die Solidarität der anderen auch bekommt.
Künast: Ja! Ich glaube, man bekommt sie durchaus auch, weil selbst im Netz gibt es ja einige, zum Beispiel den Hashtag "ich bin hier", die dann wirklich agieren und unterstützen. Es gibt mittlerweile viele Gruppen, die Amadeu Antonio Stiftung und und und, die Menschen unterstützen und laut darüber reden und gemeinsam gegen die, die das tun, sage ich mal, durchaus vorgehen. Das ist ja der ganz persönliche Bereich.
Der andere des öffentlichen Sagens, auch Weitergeben an Politik, an Polizei, ist auch, damit das Wissen da ist, um, sage ich mal, eine Gesamtanalyse machen zu können, darstellen zu können, warum. Deren Ziel, Einzelpersonen fertig zu machen, oder auch das demokratische System zu zersetzen, damit sich möglichst niemand mehr engagiert, dieses Ziel geht dann nicht auf, wenn wir laut darüber reden. Umgekehrt heißt das auch: Da wo Straftaten sind, wo Vernetzung ist, ich sage, bis hin zu einem schweren Rechtsextremismus, der auch Gewalttaten begeht, muss man diese Netzwerke aufzeigen, damit Polizei, Staatsanwalt und Verfassungsschutz ihre Arbeit machen können. Es ist schon so, dass wir uns wehren müssen. Das kann nicht jeder alleine. Aber dazu müssen wir offen darüber reden, damit alle wissen, was passiert. Das ist der Ansatzpunkt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.