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"Hauch des Unseriösen und des lediglich Aufgesetzten"

Die FDP kämpfe um die Rückkehr in den Bundestag. Dafür scheine "ihrer etwas kopfscheu gewordenen Führung fast jedes Mittel recht", so das Urteil des Politikwissenschaftlers Werner Patzelt. Die so häufig reklamierte Korrektivrolle hätten die Liberalen nie richtig erfüllt. Jetzt stehe sie als "eine herzlose Partei" da.

Fragen von Tobias Armbrüster an Werner Patzelt |
    Die FDP kämpfe um die Rückkehr in den Bundestag. Dafür scheine "ihrer etwas kopfscheu gewordenen Führung fast jedes Mittel recht", so das Urteil des Politikwissenschaftlers Werner Patzelt. Die so häufig reklamierte Korrektivrolle habe sie nie richtig erfüllt.

    Tobias Armbrüster: Wahlkampf-Endspurt also in den USA, wir haben es gerade gehört. Bei uns in Deutschland merkt man, dass der Bundestagswahlkampf so langsam ins Rollen kommt. Vor allem die Parteien in Berlin merken das. Für große politische Projekte bleibt eigentlich nur noch Zeit bis Weihnachten. Was bis dahin nicht beschlossen ist, das landet aller Wahrscheinlichkeit nach im Papierkorb. Die drei Partner in der schwarz-gelben Koalition müssen sich also beeilen und der Ton, der dabei zu vernehmen ist, der wird zunehmend gereizter. Das gilt vor allem für die FDP, die in den kommenden Monaten irgendwie wieder über fünf Prozent kommen muss, wenn sie es noch mal in den Bundestag schaffen will. Sie ist deshalb auch bereit, so klingt das zumindest, mehrere Abmachungen wieder in Frage zu stellen.
    Am Telefon ist jetzt Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Schönen guten Tag, Herr Patzelt.

    Werner Patzelt: Guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Patzelt, ist das hier das übliche Koalitions-Business, was man so erlebt in Berlin, oder stecken die drei Partner in der Koalition ein Jahr vor der Wahl in einer Krise?

    Patzelt: Einesteils hängt die Antwort vom Vergleichsmaßstab ab. Im Vergleich mit der auch in der Sache begründeten Harmonie der Großen Koalition, im Vergleich mit der mit Freundschaftsbekundungen einhergehenden Zeit des rot-grünen Projektes, ist das eine Rückkehr zur schon zur Kohl-Zeit beobachtbaren Streitlust von Koalitionsparteien aus dem bürgerlichen Bereich, wo man aber eigentlich Seriosität erwartet. Im Grunde sehen wir hier aber natürlich auch das Aufbrechen von Missverständnissen. Die FDP hat zu Beginn dieser Koalition unterschätzt, wie ernst es der Union damit war, ihre linke Flanke durch die sogenannte Sozialdemokratisierung abzusichern, und die Union hat überschätzt, wie seriös die FDP die in Oppositionszeiten getätigten Schwüre, man wolle auf seriöse stabilisierende wirtschaftsorientierte Politik hinwirken, wirklich gewesen ist. Und nun, kurz vor der Bundestagswahl, kämpft die FDP um die Rückkehr in den Bundestag, und da scheint ihrer etwas kopfscheu gewordenen Führung fast jedes Mittel recht – auch solche Mittel, die der Koalition wahrhaftig nicht förderlich sind.

    Armbrüster: Aber ist dieser Streit oder diese Streitlust, von der Sie da sprechen, ist so etwas nicht gerade gesund für die Politik?

    Patzelt: Einesteils ist es gesund für die Politik, sich zu streiten, denn im Unterschied zu dem, was die Kanzlerin häufig behauptet, ist in der Politik sehr selten etwas alternativlos. Es ist freilich der Ton, es ist auch der Zeitpunkt und es ist die Eindringtiefe des Streites, der verwirrt. Wenn die FDP Projekte, die dem Koalitionspartner CSU so sehr am Herzen liegen aufgrund ihres Familienverständnisses, wie das Betreuungsgeld, mit einer Vehemenz ablehnt, die jener der SPD kaum nachzustehen scheint, berührt man natürlich innere Zusammengehörigkeitsempfindungen in der Koalition, und das irritiert den Außenstehenden, denn eigentlich müsste die FDP ja ein Interesse daran haben, genau mit der Union den politischen Kurs weiter fortzusetzen. Das heißt, Tonfall und Tiefe des Streites irritieren.

    Armbrüster: Philipp Rösler bezeichnet seine FDP jetzt als Korrektiv. Erfüllt die FDP diese Rolle innerhalb der Koalition tatsächlich?

    Patzelt: Die Rollenbeschreibung als Korrektiv ist die traditionelle und sie hat auch einen guten Grund in der Sache, denn wenn schon der größte Koalitionspartner sozusagen sozialdemokratisiert ist, dann schadet es nicht, wenn der kleinere hier ein liberales, gutes oder schlechtes Gewissen ist. Nur dann hätte die FDP sich in dieser Korrekturrolle von Anfang an seriös aufstellen müssen. Es ist einfach ein Fehler gewesen, dass der Parteivorsitzende Westerwelle, der in Oppositionszeiten hier einen vernünftigen wirtschafts- und sozialpolitisch stabilen Kurs verlangte, dann statt die Kernarbeit des politischen Alltags zu machen, sich seinen Kindheitstraum vom Außenminister erfüllte und hier weder für die FDP, noch für das Land Herausragendes zu Stande brachte. Das heißt, die FDP hat ihre Korrektivrolle, die sie sich zuschreibt, nie personell so richtig untersetzt, und somit haftet der Selbstbeschreibung als Korrektiv der Hauch, ja eigentlich mehr als nur der Hauch des Unseriösen und des lediglich Aufgesetzten an.

    Armbrüster: Welche Möglichkeiten, wenn man da den Politikwissenschaftler mal so als eine Art Wahlkampfberater fragen darf, welche Möglichkeiten hätte denn die FDP, sich jetzt noch irgendwie glaubwürdig so zu präsentieren, in einer Rolle als Partei, von der man sagt, oh ja, die brauchen wir eigentlich im nächsten Bundestag wieder?

    Patzelt: Die FDP müsste es schaffen, den argumentativen Bogen so zu spannen, dass klar wird, dass eben Prinzipien einer liberalen Wirtschaftspolitik tatsächlich für das Gemeinwohl etwas Gutes bewirken. An einem konkreten Beispiel festgemacht: Natürlich ist es goldrichtig, dass die FDP darauf drängt, dass ein ausgeglichener Haushalt möglichst bald vorgelegt wird und folglich demonstriert wird, dass man einen freiheitlichen Staat auch ohne ständige Staatsverschuldung regieren kann. Es wäre der FDP aber an den Wahlurnen und für ihre Gesamtprogrammatik sehr hilfreich, wenn sie auch auf die Einnahmenseite des Staates achten würde und ihre Forderung nach einem ausgeglichenen Haushalt abrunden würde mit Forderungen nach Wiedereinführung von Vermögenssteuer und einem Steuersystem, das auch die zunehmenden sozialen Spannungen in unserer Gesellschaft abbaut. Indem die FDP genau darauf verzichtet, präsentiert sie sich als eine herzlose Partei, der lediglich ein ausgewogener Haushalt vor Augen steht, und das ist gerade nicht das, was die meisten Deutschen als eine runde politische Position empfinden.

    Armbrüster: Wir hören jetzt immer wieder, dass sich in den kommenden Tagen die Koalitionsspitzen zusammensetzen wollen, um mehrere Handel oder Kuhhandel, wie man so schön sagt, zu beschließen. Sind solche Runden das einzige Instrument, das dieser Koalition noch bleibt zur Entscheidungsfindung?

    Patzelt: Solche Koalitionsrunden sind ohnehin genau das wichtige Führungsinstrument, um in Koalitionen rechtzeitig die auf dem Wege liegenden Bomben zu entschärfen und den Kurs des Koalitionsschiffes nicht auf die allfälligen Untiefen auflaufen zu lassen. Eigentlich muss so etwas im Hintergrund und ohne großes öffentliches Bellen ablaufen. Wann immer man von Elefantenrunden, von Koalitionsausschuss-Sitzungen, von Telefonaten der Spitzenpolitiker allzu viel hört, ist im Vorfeld schon sehr, sehr vieles missraten. Es kommt natürlich entschuldigend hinzu, dass in Zeiten der Eurokrise wichtige Spitzenpolitiker zeitlich ganz anders gefordert sind als unter Normalumständen, aber dann müssten eigentlich die Mitarbeiter erst recht für ein Krisenmanagement im Hintergrund sorgen, und das unterbleibt offenkundig bei allen beteiligten Parteien.

    Armbrüster: Herr Patzelt, zum Schluss eine Frage zu Baden-Württemberg. Am Sonntag haben die Stuttgarter einen neuen Oberbürgermeister gewählt, Fritz Kuhn von den Grünen. Ist das ein Ergebnis, das über Baden-Württemberg hinaus Einfluss haben muss auf die Parteien, vor allem auf die CDU?

    Patzelt: Mir scheint schon, dass dieses Wahlergebnis ein Vorbote dessen ist, was die Union erwartet. Die Union wird gleichsam mehr und mehr zur Partei der einfachen Leute, während das gehobene städtische, akademisch gebildete, auch wohlbetuchte Bürgertum eher sich bei den Grünen zuhause empfindet. Die Union findet auch nicht die Persönlichkeiten, die in diesen neubürgerlichen, gutbürgerlichen Bereich überzeugend eindringen könnte, und das sieht man im Fall von Baden-Württemberg auf das Deutlichste. Ein Mappus ist einfach nicht jemand gewesen, der dieser neuen Bürgerlichkeit eine überzeugende Alternative hätte sein können.

    Armbrüster: Der Dresdener Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt heute live hier bei uns in den "Informationen am Mittag". Besten Dank, Herr Patzelt, für das Gespräch.

    Patzelt: Gern geschehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.