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Hauen und Stechen im Norden

Nach ihrem handfesten Streit um einen Steuerdeal haben Kiels Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke und ihre SPD-Parteifreunde Burgfrieden geschlossen. Gaschke bleibt im Amt - und Schleswig-Holstein verteidigt seinen Ruf als Land der Politaffären.

Von Dietrich Mohaupt | 10.10.2013
    Für manche ist sie schlicht die "Mutter aller Politskandale" – die Kieler Barschel/Pfeiffer-Affäre im Jahr 1987. Geradezu legendär ist die sogenannte Ehrenwort-Pressekonferenz von CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel, in der er versuchte, die Vorwürfe einer Bespitzelungs- und Schmutzkampagne gegen seinen SPD-Kontrahenten Björn Engholm zu entkräften.

    "Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind."

    Knapp einen Monat später war der Regierungschef tot – die Affäre aber noch lange nicht vorbei. Nach dem bis heute ungeklärten Tod Barschels war die Atmosphäre zwischen den beiden großen Volksparteien in Schleswig-Holstein vergiftet. Für Michael Kluth, Regionalchef der Kieler Nachrichten, zieht sich ganz deutlich ein roter Faden von 1987 bis zur jüngsten Affäre. Direkt nach der Barschel-Affäre hatte vor allem die CDU mit dem Machtverlust und den Folgen des Skandals schwer zu kämpfen.

    "Dann wähnte die CDU sich wieder obenauf, als die Schubladenaffäre auftauchte, über die dann Björn Engholm gestolpert ist. Dadurch kam Heide Simonis ins Ministerpräsidentenamt, die dann wiederum über den sogenannten "Heide-Mord", das heißt, einen Abweichler in den eigenen Reihen gefallen ist und das Ministerpräsidentenamt wieder verloren hat . So kann man eine Linie ziehen zwischen den Affären, für die Schleswig-Holstein berühmt geworden ist."

    Und am Ende dieser Linie sieht Michael Kluth den aktuellen Fall.

    "Das geht bis in die Zeit des Falles Gaschke jetzt, weil die tiefe Feindschaft zwischen dem SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner und Susanne Gaschke und ihrem Mann Hans Peter Bartels – SPD-Bundestagsabgeordneter – aus der Zeit der Schubladenaffäre rührt."

    Der fiel 1993 neben Björn Engholm auch der damalige Sozialminister des Landes, Günther Jansen, zum Opfer. Er hatte dem Auslöser der Barschel-Affäre, Reiner Pfeiffer, Bargeld geschenkt – angeblich als "milde Gabe". Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sah darin aber ein Schweigegeld der SPD-Spitze, die – wie sich später herausstellte – über die wahre Rolle Pfeiffers in der Barschel-Affäre sehr wohl Bescheid wusste. Einer der schärfsten Kritiker Jansens in diesem Untersuchungsausschuss war der ehemalige Kieler Oberbürgermeister Norbert Gansel – ein, sagen wir mal, guter Bekannter des SPD-Bundestagsabgeordneten Hans Peter Bartels, Ehemann der amtierenden Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke. Pressesprecher und politischer Ziehsohn von Günter Jansen war übrigens: der heutige SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner. Freund – Feind – Parteifreund: Dass diese unter Politikern übliche Steigerungsform in Schleswig-Holstein offenbar besonders intensiv ausgelebt wird, musste auch der CDU-Politiker Christian von Boetticher lernen. Er war gerade erst Landesvorsitzender geworden, sollte Spitzenkandidat für das Ministerpräsidentenamt werden – und dann das:

    "Ja, es ist wahr: Ich hatte mich im Frühjahr 2010 in eine junge Frau verliebt und bin mit ihr mehrere Monate zusammen gewesen. Es war schlichtweg Liebe."

    Im August 2011 verkündete er auf einer tränenreichen Presskonferenz seinen Rücktritt von allen Parteiämtern – offenbar waren gezielt Details über eine Beziehung zu einer 16-Jährigen an die Öffentlichkeit gelangt. Dabei waren diese Indiskretionen nur die Spitze des Eisbergs, berichtet der NDR-Landeshauskorrespondent Stefan Böhnke.

    "Lange bevor das mit der Affäre mit der Minderjährigen bekannt wurde, ist dem von seinen Gegnern mit einer unglaublichen Abneigung begegnet worden. Es ist ständig versucht worden – auch gegenüber Journalisten – den als unfähig darzustellen, sowohl fachlich als auch charakterlich. Man hat es nicht gewagt, mit offenem Visier zu kämpfen. Sondern man hat versucht, ihn über die Presse zu erledigen."

    Schleswig-Holsteins Skandal-Image
    Politik als richtig schmutziges Geschäft – beginnend mit dem "Urknall" Barschel-Affäre hat Schleswig-Holstein immer wieder Beispiele dafür geliefert. Stellt sich die Frage, ob das möglicherweise inzwischen mehr als nur ein paar Kratzer am Image des Landes verursacht hat.

    "Ist es vielleicht so, dass die Politik in Schleswig-Holstein mittlerweile ein so schlechtes Image hat, dass Menschen, die vielleicht über bessere Charakterzüge verfügen würden, abgeschreckt sind, überhaupt in die Politik zu gehen? Also – ich sage mal: Wir haben hier in der schleswig-holsteinischen Politik herausragende Köpfe, aber danach haben wir es vor allem in den Volksparteien inzwischen auch mit einem eklatanten – ich nenne es mal Fachkräftemangel zu tun."

    Das Hauen und Stechen in der aktuellen Affäre um die Kieler Oberbürgermeisterin Gaschke und ihren umstrittenen Steuerdeal geht derweil munter weiter – der Versuch von SPD-Landeschef Stegner, Anfang der Woche die Notbremse zu ziehen, war auch nicht sonderlich erfolgreich. Sein mühsam konstruierter Burgfriede hatte eine extrem kurze Halbwertszeit – nicht gerade überraschend, findet Zeitungsjournalist Michael Kluth.

    "Na ja, der Versuch einer Friedensstiftung innerhalb der SPD ist binnen 24 Stunden misslungen. Die Rechtsstreitigkeiten innerhalb der SPD gehen weiter."

    Im Raum steht zum Beispiel noch immer der Nötigungsvorwurf des Innenministers gegen das Ehepaar Gaschke/Bartels, mit dem sich inzwischen die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe befasst. Gegen den Innenminister wiederum hat Hans Peter Bartels eine gerichtliche Verfügung erwirkt: Der Minister darf nicht mehr behaupten, Bartels habe ihm mit der Veröffentlichung einer privaten SMS des Regierungschefs Torsten Albig an seine Frau gedroht. Außerdem ist da noch der Abwahlantrag der Kieler FDP, über den die Ratsversammlung am 31. Oktober abstimmen soll. Der Antrag benötigt allerdings eine Zweidrittelmehrheit und hat deshalb kaum Chancen. Und so wartet weiter alles auf Einsicht bei Susanne Gaschke – und auf ihren Rücktritt, den sie aber bisher immer vehement abgelehnt hat. So oder so – die neueste Kieler Affäre wird wohl bis zum bitteren Ende ausgefochten, vermutet Michael Kluth. Er sagt: So sind wir eben, hier oben im Norden.

    "Das ist ja vielleicht auch eine Frage des norddeutschen Naturells – wenn wir sauer sind, dann sind wir richtig sauer. Wir stehen ja nicht ganz zu unrecht in dem Ruf, Klotzköpfe zu sein."