Donnerstag, 28. März 2024

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Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages
"Ein Impfplan hilft mir nur dann, wenn er auch konkret wird"

Nach Ansicht des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, hat die Bundesregierung mit Blick auf die Impfgeschwindigkeit in Deutschland zu hohe Erwartungen geschaffen. Bund und Länder seien nun in der Pflicht, die Kommunikation über diese Verzögerung zu übernehmen, sagte er im Dlf.

Helmut Dedy im Gespräch mit Philipp May | 02.02.2021
Senioren warten in einer Impfstraße des Impfzentrums auf dem Messegelände. Wegen der Impfstoff-Knappheit sind im Impfzentrum nur vier von acht Impfstraßen in Betrieb. Am 1. Februar starten hier die Corona-Impfungen für Menschen im Alter von über 80 Jahren, die noch zu Hause leben.
"Wir haben Erwartungen geschaffen, vor allem jetzt in der Gruppe der ersten Impfkategorie bei den Menschen über 80, und mit diesen Erwartungen müssen wir vor Ort umgehen", kritisiert Helmut Dedy. (dpa)
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach den gestrigen Beratungen zwischen Bund, Ländern, EU und Pharmaindustrie das Vorhaben bekräftigt, bis zum Ende des Sommers jedem Bürger ein Impfangebot zu machen. Mehrere Ministerpräsidenten haben sich nach dem Treffen positiv über Lieferzusagen der Hersteller geäußert.
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städtetag
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städtetag (imago / biky)
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, sagte im Deutschlandfunk, man müsse nun genau wissen, was mit den Herstellern verabredet worden sei. Es sei klar, dass man in einer Pandemie auf Sicht fahre, aber man habe Hoffnungen und Erwartungen geschaffen - vor allem bei den über 80-Jährigen. Mit diesen Erwartungen müsse man jetzt vor Ort umgehen. Bund und Länder müssten die Kommunikation über diese Verzögerung übernehmen, das solle nicht bei den Städten abgeladen werden, so Dedy.
Zeitnahe Lockerungen unwahrscheinlich
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Das Interview im Wortlaut:
Philipp May: War das auch für Sie bla bla, oder haben Sie die Antworten, die Sie wollten?
Helmut Dedy: Weder das eine, noch das andere. Bla bla war das nicht; es war wichtig, sich zusammenzusetzen. Und es ist vor allem wichtig, jetzt mit einer Zunge zu sprechen und zu sagen, wann können wir was tatsächlich tun. Für uns ist das Thema ja ein rein operatives. Das was wir machen, das ist ein handfestes Geschäft. Wir sollen in den Impfzentren Menschen impfen, und das machen wir gemeinsam mit den Kassenärzten, die die Impfungen selbst durchführen. Wir organisieren die Geschichte. Aber wir brauchen Impfstoff und wenn aus gestern jetzt ein Impfplan resultiert, dann muss ich natürlich wissen, was bedeutet das denn konkret, und das ist mir gestern nicht so richtig klar geworden.
"Ich muss wissen, wann kann ich im Impfzentrum X tatsächlich über Impfstoff verfügen"
May: Wo haben Sie denn noch Fragezeichen?
Dedy: Na ja. Ich habe Fragezeichen bei den beiden Fragen noch, die Sie eben angesprochen haben. Wann kommt welcher Impfstoff in welchem Maß und wann kann welches Impfzentrum beliefert werden. Da wird der Bund jetzt sagen, das ist nicht unser Job, das müssen die Länder machen. Das stimmt dann wahrscheinlich auch. Aber ich muss wissen, wann kann ich im Impfzentrum X tatsächlich über Impfstoff verfügen, denn nur dann kann ich da Termine vergeben.
May: Aber ein bisschen Antwort haben Sie ja bekommen, unter anderem die Antwort: Bis in den April hinein kommt so gut wie nichts.
Dedy: Ja, die Antwort haben wir. Das wird auch für Frustration sorgen. Das heißt, wir müssen jetzt in den Impfzentren sagen, da kommt in einem bestimmten absehbaren Zeitraum erst mal wahrscheinlich nichts – heißt: Termine einstellen oder Terminvergabe einstellen. Das bedeutet dann natürlich auch, dass es von Seiten des Bundes und der Länder eine klare Kommunikation geben muss, eine klare Kommunikation, wir haben euch in Aussicht gestellt, geimpft zu werden, das wird sich jetzt verzögern. Das möchte ich nicht in den Rathäusern abgeladen wissen. Das müssen dann auch Bund und Länder übernehmen.
"Wir könnten jeden Tag 250.000 Menschen im Minimum impfen"
May: Jetzt halten Sie die Impfzentren im Prinzip schon seit Mitte Dezember vor. Wie viele Impfzentren haben wir in Deutschland?
Dedy: Wir haben um die 440, 450 Impfzentren. Wir könnten jeden Tag 250.000 Menschen im Minimum impfen.
May: Die hätte man bisher gar nicht gebraucht, oder? Die hätte man auch im April aufbauen können?
Dedy: Na ja. Jedenfalls hätte man zu der Zeit, als man uns gesagt hat, baut bitte Impfzentren – das war Anfang Dezember oder Ende November -, da hätte man sich natürlich über diese Frage schon verständigen können, wieviel Impfstoff bekomme ich wann. Deshalb kommt dieser Impfgipfel ein klein wenig spät, aber das ist Schnee von gestern. Mir ist jetzt wichtig: Wir müssen wissen, wann können wir impfen, und dazu müssen wir von Bund und Ländern ganz konkret wissen, was habt ihr mit den Herstellern verabredet, wieviel Impfstoff bekommen wir und wann bekommen wir den.
May: Aber das wurde doch zumindest in Aussicht gestellt von den Impfherstellern, dass es ab April dann sukzessive deutlich und schneller besser werden soll und dass dann auch was kommt und deutlich mehr kommt. Hat Ihnen das nicht gereicht?
Dedy: Nein, das reicht mir deshalb nicht, weil das nicht unbedingt praktikabel ist. Das heißt doch jetzt: Wenn Sie anrufen beim Impfzentrum und sagen, ich möchte einen Termin haben, dann können wir Ihnen jetzt nur sagen, wahrscheinlich bis April nichts. Wenn es dann danach weitergeht, dann müssen wir auch da wissen, in welchem Umfang es weitergeht. Terminvergabe ist ja keine politische Geschichte, sondern das ist eine ganz handfeste Geschichte, und dafür brauche ich die Eckdaten. Das, was gestern verabredet worden ist, wir machen einen Impfplan, das hilft uns dann, wenn der Impfplan konkret ist und in jedem Bundesland gesagt wird, das und das kommt dann und dann in den Impfzentren. Nur dann kann ich es umsetzen.
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"Ich habe nicht die Erwartung, dass das Leben jetzt ganz einfach wird"
May: Aber ist das nicht möglicherweise auch die Herausforderung, die so eine Pandemie an Sie stellt, dass Sie, weil die Impfhersteller gesagt haben, alles was wir produzieren können, das wird nicht gelagert, sondern das geht sofort auf die Laster und wird ausgeliefert, dass Sie dementsprechend auch einfach flexibler sein müssen?
Dedy: Ja! Wir fahren schon seit Monaten auf Sicht, wie alle anderen auch. Das ist mir schon klar. Ich habe nicht die Erwartung, dass das Leben jetzt ganz einfach wird und sich die Probleme in Luft auflösen. Das nicht!
Worum es mir geht: Wir haben Hoffnungen geschaffen. Wir haben Erwartungen geschaffen, vor allem jetzt in der Gruppe der ersten Impfkategorie bei den Menschen über 80, und mit diesen Erwartungen müssen wir vor Ort umgehen.
May: Wenn Sie sagen, wir haben Hoffnungen geschaffen und wir haben Erwartungen geschaffen, meinen Sie damit sich? Oder wen meinen Sie damit?
Dedy: Ich meine damit, dass es in der Corona-Pandemie Erwartungen gibt. Im November/Dezember hat es geheißen, ihr baut jetzt die Impfzentren auf. Das haben wir getan. Wir haben unseren Job gemacht. Und dann sollte geimpft werden. Diese Erwartungen, die sind in der Gesellschaft geschaffen worden, natürlich nicht von uns, sondern man hat uns gesagt, ihr baut die Impfzentren auf, also bitte, macht euren Job. Wir wollen unseren Job machen. Dazu muss ich wissen, wann kommt wieviel Impfstoff. Ich sage jetzt nicht, das Leben ist ganz einfach und der Bund kann mir sagen, welches Impfzentrum morgen beliefert wird. Ich sage aber, ein Impfplan hilft mir nur dann, wenn er auch konkret wird, und diese Konkretheit, die sehe ich bisher noch nicht.
"Wir müssen den Menschen erklären, es kommt später"
May: Ich übersetze das mal ein bisschen. Sie sagen, der Bund hat im Prinzip zu viel versprochen im November?
Dedy: Jedenfalls kann das so sein, dass er zu viel versprochen hat. Für mich klingt das so, dass er gesagt hat, das und das Ziel wollen wir jetzt erreichen, und das Ziel wird sich jetzt verzögern – aus welchen Gründen auch immer. Damit müssen wir umgehen. Wir müssen den Menschen erklären, auch wir, der Bund aber auch. Wir müssen den Menschen erklären, es kommt später. Es wird nicht so funktionieren, wie ihr das gedacht habt. Und bitte, geduldet euch noch. Das ist ein schwerer Job!
May: Jetzt will die Kanzlerin, jetzt will die Bundesregierung von einem Versprechen nicht abrücken, und zwar, jeder soll ein Impfangebot bis Ende des Sommers bekommen. Nehmen Sie die Kanzlerin da beim Wort?
Dedy: Ja, natürlich tun wir das. Natürlich nehmen wir sie da beim Wort. Sie kann das Ziel vorgeben und wir müssen mit den Ländern, mit dem Bund darüber sprechen, wie wird dieses Ziel ganz praktisch umgesetzt. Das ist die Erwartungshaltung.
May: Gehen wir mal ein bisschen weg von den Impfstoffen. Es gab ja jetzt nicht nur Fehler bei der Impfstoffbeschaffung. Viele fragen sich ja, warum es in einem Land wie Deutschland offenbar nicht möglich ist, Hotlines für Impfstoffvergaben so einzuführen, dass sie auch funktionieren, dass man anruft und dann auch durchkommt, einen Termin kriegt, dass man aus dem Internet nicht geschmissen wird. Wie kann das sein?
Dedy: Na ja. Das hatte mit dem Ansturm zu tun. Es war schon zu Beginn der Impfungen oder des Beginns der Impfzentren klar, es wird eng werden. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen gleich am ersten Tag auf die Hotline gegangen sind. Und dann sind da sicherlich auch Fehler passiert, wahrscheinlich auch von uns. Man muss sowieso die Frage stellen, ob es für die Zielgruppe der über 80jährigen so ganz problemlos ist, mit Hotlines und vielleicht mit Internet zu arbeiten. Ich hätte mir vorstellen können, dass man zum Beispiel auch die mobilen Pflegedienste mit ins Geschäft holt und sagt, ihr macht für die Menschen, die ihr in der häuslichen Pflege betreut, die Termine. Da werden wir sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle nachjustieren müssen. Auch wir sind lernende Systeme.
"Ich glaube nicht, dass wir ein Verwaltungsproblem haben"
May: Zeigt sich gerade, Deutschland, der angebliche Effizienz-Weltmeister, hat möglicherweise ein Verwaltungsproblem?
Dedy: Na ja. Wir haben jedenfalls in Teilen ein Digitalisierungsproblem. Das ist ja kein Geheimnis mehr. Das ist nicht nur im Bereich der Pandemie-Bekämpfung. Das gilt ja auch im Bereich der Schulen. Ich glaube nicht, dass wir ein Verwaltungsproblem haben. Ich glaube, dass es eher darum geht, das was Sie eben gesagt haben: Wir fahren in der Pandemie alle auf Sicht und wir lernen alle jeden Tag wieder neu. Das würde ich sowohl uns als auch dem Bund zugestehen.
May: Aber was ja auch klar ist: Es wird jetzt in den nächsten Wochen auch eine riesen Belastung für die Städte kommen – aus ganz anderer Sicht. Wenig impfen heißt ja auch, die Fallzahlen gehen nicht runter. Wir haben die Mutante. Das heißt, der Lockdown, der wird noch Dauerzustand bleiben, auch für die Städte oder gerade für die Städte, bis weit in den April hinein. Rechnen Sie damit auch?
Dedy: Ich bin jedenfalls zurückhaltender, was Öffnungen angeht, als ich das noch vor drei, vier Wochen gewesen bin.
May: Können die Städte das schultern?
Dedy: Ja, sie werden es schultern müssen. Wir werden es in den Gesundheitsämtern, in den Ordnungsämtern schultern müssen. Es geht ja nicht anders. Das Problem ist vielleicht gar nicht so sehr unsere Sicht, sondern die Sicht von Handwerk, von Wirtschaft, von Gewerbe. Da ist noch ein ziemlich schwerer Weg, glaube ich, vor uns. Ich sehe nicht, dass wir Mitte Februar sagen, wir gehen jetzt mal in die Öffnung.
Handel "hat ein ernstes Problem"
May: Was sagen die Ihnen denn, Handwerk, Wirtschaft und Gewerbe?
Dedy: Na ja. Die sagen natürlich auch, dass wir gemeinsam Probleme haben. Wenn Sie sich in unseren Innenstädten umgucken, dann sind die teilweise lebensleer. Da passiert nichts im Moment. Wenn Sie mit Friseuren sprechen, wenn Sie mit Einzelhändlern sprechen, die Mode zum Beispiel verkaufen, und das Zeug liegt da schon seit einem halben Jahr, dann haben die ein ernstes Problem. Nur ich sehe noch nicht, dass wir deshalb zu Lockerungen kommen können. Dafür ist mir die Geschichte zu unsicher. Und die Tatsache, dass wir jetzt nicht so impfen können, wie wir das eigentlich gedacht haben, das wird uns sicherlich auch ein Stück zurückwerfen.
May: Herr Dedy, wir haben eigentlich nicht mehr viel Zeit. Zum Abschluss noch eine letzte persönliche Frage. Wann glauben Sie, wann werden Sie geimpft?
Dedy: Na ja, bis Ende des Sommers, hat Frau Merkel gesagt.
May: 21. September wahrscheinlich.
Dedy: Ja!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.