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"Hauptsache, die Katholische Kirche ist nicht Schuld"

Laut Medienberichten soll der Augsburger Bischof Walter Mixa die Missbrauchsfälle an Kindern in katholischen Einrichtungen mit der sexuellen Revolution von 1968 in Zusammenhang gebracht haben. Die katholische Theologin Uta-Ranke Heinemann wirft der Katholischen Kirche totale Justizbehinderung vor - ausgehend vom Vatikan.

Uta Ranke Heinemann im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 18.02.2010
    Stefan Koldehoff: Kaum ein Tag der letzten Wochen verging, ohne dass neue Missbrauchsfälle an Kindern in katholischen Einrichtungen bekannt wurden. Die irischen Bischöfe berichteten dem Papst in Rom, und die Jesuiten bemühten sich um Aufklärung. In Berlin wurde heute ein von ihnen in Auftrag gegebener Bericht vorgestellt, der allein für Deutschland bislang 115 Missbrauchsfälle benennt. Während also auf der einen Seite wenigstens ein Schuldbewusstsein vorhanden ist, scheint es auf der anderen nach wie vor zu fehlen. Für diese Verbrechen durch katholische Amts- und Würdenträger sei auch die sexuelle Revolution von 1968 verantwortlich, hat der Augsburger Bischof Walter Mixa erläutert. Damit machte er Täter zu Opfern, und bog eine Diskussion über tatsächliche Ursachen wieder einmal ab. Meine Frage geht an die katholische Theologin Professor Uta Ranke-Heinemann, die zwei Jahre nach '68 als erste Frau überhaupt eine Professur für katholische Theologie erhielt. "Eunuchen für das Himmelreich - Katholische Kirche und Sexualität" heißt eines ihrer bekanntesten Bücher. Frau Ranke-Heinemann, war denn damals nach '68 die sexuelle Revolution ein Thema in der katholischen Kirche?

    Uta Ranke-Heinemann: Also, ich habe mein Gehirn zerbrochen, ob ich das Wort Kindesmissbrauch, Pädophilie überhaupt gehört habe, nie. Natürlich nie, ich weiß also ehrlich gesagt nicht, wie Bischof Mixa auf die Idee kommt, einen Zusammenhang zu sehen zwischen den 68-ern und Pädophilie.

    Koldehoff: Wie bewerten Sie denn dann so eine Aussage?

    Ranke-Heinemann: Och, ich meine, ich erwarte von Bischof Mixa überhaupt nichts anderes. Er schiebt die Schuld auf andere, nun haben es mal eben die 68er. Was anderes ist ihm nicht eingefallen. Aber es wird ihm sicher noch viel anderes einfallen, Hauptsache, die Katholische Kirche ist nicht Schuld.

    Koldehoff: Worauf führen Sie das zurück? Es gibt ja nun beispielsweise bei den betroffenen Orden durchaus Stimmen, die sagen, wir müssen so was aufklären, und wir müssen da ganz offen mit umgehen. Warum ist das der Amtskirche offenbar nicht möglich?

    Ranke-Heinemann: Die Geheimschreiben 1962 von Kardinal Ottaviani und 2001 von Kardinal Ratzinger, die liegen bei allen Bischöfen weltweit im Tresor, verpflichten die Bischöfe, unter Androhung von Exkommunikation, ausschließlich alles dem Vatikan zu melden. Gemeint ist totale Justizbehinderung für die staatlichen Gerichte.

    Koldehoff: Frau Ranke-Heinemann, auf der einen Seite diese Schrift, die Sie gerade angesprochen haben, die "De delictis gravioribus", über schwere Verbrechen von 2001, damals noch durch Kardinal Ratzinger, den heutigen Papst, verfasst. Auf der anderen Seite die Anschuldigungen von Bischof Mixa, eigentlich sei die sexuelle Revolution von '68 Schuld an allem. Die Katholische Kirche lebt davon, dass ihre Gläubigen sich in einem Schuldbewusstsein befinden, kann sie selbst keine Schuld eingestehen?

    Ranke-Heinemann: Nein, gesteht überhaupt nie Schuld ein. Und unfehlbar ist der Papst in Moral und ... Nein, das ist es.

    Koldehoff: Sie haben früh schon in Ihrem Buch "Eunuchen für das Himmelreich - Katholische Kirche und Sexualität" auf dieses krasse Missverhältnis zwischen Körperlichkeit und Geistlichkeit hingewiesen, hat sich denn seit dem überhaupt nichts getan in der katholischen Kirche?

    Ranke-Heinemann: Im Gegenteil, die beiden letzten Päpste haben die 2000-jährige Vertreibung der Frauen zum Abschluss gebracht, die Kirche ist sozusagen in ihrem Kern jetzt völlig monosexuell. Ein Junggesellenreferat, wo nur noch die Jungfrau Maria Zutritt hat, und das Problem der Kirche ist jetzt, so steht es auch im Weltkatechismus von 1992, Nummer 23575859: die Erziehung der Homosexuellen zur Keuschheit. Das wird wohl noch einige Zeit dauern, also im Moment haben wir eben diese Katastrophe der verheimlichten Fälle seit 1962, dass Schwerverbrecher dauernd versetzt werden, es ist also eigentlich so unglaublich, diese Komödie, diese Tragödie, die uns da vorgespielt wird.

    Koldehoff: Jetzt haben wir über den Klerus gesprochen, es gibt ja auch die Laien in der katholischen Kirche und deren Pflicht ist es sogar, zumindest wenn sie verheiratet sind, Sexualität auszuüben. Rechnen Sie denn damit, dass eventuell aus der Laienbewegung in der katholischen Kirche mal ein anderes Verhältnis zur Sexualität entstehen könnte?

    Ranke-Heinemann: Nein, ich habe das beobachtet 2000 Jahre, wie Sexualität und Liebe total getrennt werden.

    Koldehoff: Das heißt, Sie haben nicht die Hoffnung, dass es irgendwann mal eine sexuelle Revolution innerhalb der katholischen Kirche geben könnte?

    Ranke-Heinemann: Nein, nein. Jesus war sozusagen der erste und letzte Freund im Christentum der Frauen.

    Koldehoff: Die Theologin Uta Ranke-Heinemann war das, vielen Dank, über die Reaktion der katholischen Kirche auf die Missbrauchsfälle in ihren Einrichtungen.

    Zum Interview von Bischof Mixa in der Augsburger Allgemeinen Zeitung