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Hauptschüler ohne Chance

Warteschleifen sind der natürliche Aufenthaltsort für Hauptschüler– denn ein großer Teil von ihnen wird in Überbrückungs- und Qualifizierungsmaßnahmen "geparkt". So fordert der heute veröffentlichte Zweite Bildungsbericht von Bund und Ländern einmal mehr ein verstärktes Engagement für die Sorgenkinder des Systems.

Sandra Pfister im Gespräch mit Ludwig Eckinger | 12.06.2008
    Sandra Pfister: Hauptschüler finden nach ihrem Abschluss zum größten Teil keinen Ausbildungsplatz. Oft werden dann die 15-, 16-, 17-Jährigen geparkt in Überbrückungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Maßnahmen, das sagt schon alles. Denn die meisten sind hinterher keinen Schritt weiter. So steht es im Zweiten Bildungsbericht von Bund und Ländern, der in 20 Minuten in Berlin veröffentlicht wird. Das Wichtigste wissen wir schon vorher. Die Schulpolitik muss sich um die Sorgenkinder kümmern, und das sind nun mal die schwächsten Schüler, die Hauptschüler. Das ist Konsens unter Bildungsexperten schon seit dem ersten PISA-Bericht und eine stets wiederkehrende Floskel in bildungspolitischen Sonntagsreden. Was aber hat die Politik denn tatsächlich getan in den vergangenen Jahren? Das habe ich vor der Sendung Ludwig Eckinger gefragt, vom Verband Bildung und Erziehung.

    Ludwig Eckinger: Für die Schwächsten ist nach wie vor Bildungsungerechtigkeit die Überschrift. Und es gibt nur Notmaßnahmen, wie wir jetzt auch sehen, ein Recht auf den Hauptschulabschluss oder jetzt den beschlossenen Ausbildungsbonus. Das sind alles für die konkret Betroffenen möglicherweise letzte Hilfen. Aber es ist kein Maßstab, der angelegt wird, sondern es sind Notmaßnahmen. Da ist letzten Endes Flickschusterei und da müssen wir natürlich Einhalt gebieten. Und wenn es um Positives geht, dann fällt mir zurzeit eigentlich nur die Umsteuerung in der frühkindlichen Bildung ein. Aber das ist natürlich viel zu wenig, denn das nützt den direkt Betroffenen, den ohnehin schwer Benachteiligten überhaupt nichts, vielleicht ihren Kindern oder ihren Enkeln. Aber das ist ja kein Trost.

    Pfister: Was schlagen Sie ad hoc vor?

    Eckinger: Ich denke, dass wir dieses Wortpaar "fördern und fordern", das wir mit allen Lehrerorganisationen und der Kultusministerkonferenz voriges Jahr beschlossen haben, dass dieses Wortpaar in die Politik wirklich eingespeist werden muss, endlich und umgesetzt werden muss. Und das bedeutet, dass die Schulen fördern und fordern können, müssen und nicht etwa Betriebe noch unterstützt werden.

    Pfister: Aber die Hauptschullehrer fördern und fordern ja ohnehin schon die ganze Zeit, und zwar verzweifelt und alleine auf einsamen Posten?

    Eckinger: Ja natürlich. Das sind die Lehrerinnen und Lehrer, die man in der Zwischenzeit eher bedauern muss. Denn sie arbeiten in einem Maße, das nicht mehr menschlich ist, und dennoch können sie keine Perspektiven mehr aufzeigen. Wenn der Erfolg nicht mehr in Aussicht gestellt werden kann, dann schwindet jede Motivation. Das wissen wir längst, da brauchen wir überhaupt nichts von Psychologie verstehen. Also ist diese Arbeit, die ja ohnehin seit Jahren mehr sozialpädagogische Arbeit ist, manchmal fast umsonst.

    Pfister: Hilft denn am Ende doch nur die Radikalkur, die Abschaffung der Hauptschulen?

    Eckinger: Wir werden Hauptschülerinnen und Hauptschüler in Deutschland weiter haben. Ob die Abschaffung selber hilft, das könnte schon sein, weil der Name fast stigmatisiert ist. Aber ich denke, dass es wirklich darum geht, sich um die Kinder und Jugendlichen zu kümmern, dass der Eindruck vermittelt wird, dass jede und jeder wichtig ist.

    Pfister: Dann fallen ja standardmäßig solche Floskeln wie "Wir brauchen mehr Sozialarbeit", "Wir brauchen mehr Lehrer". Ist das nicht alles doch ein Herumdoktern an den Symptomen?

    Eckinger: Wenn das wirklich passieren würde, wenn wir ein Netzwerk hätten, dann bin ich fest davon überzeugt, dass wir Lehrerinnen und Lehrer uns auf unsere eigentliche Kernaufgabe, nämlich erziehen, den Unterricht zu halten, konzentrieren könnten. Aber Sie sehen ja selbst am Beispiel der Ganztagsschulen. Auch hier ist ja in manchen Politikerköpfen die Meinung noch immer vorherrschend, dass eine Suppenküche schon eine Ganztagsschule ist. Wir brauchen pädagogische Konzepte, und wir brauchen mehr Vertrauen durch die Politik. Wir dürfen nicht ständig, wenn irgendwelche Ergebnisse geworden sind, verantwortlich gemacht werden. Sondern wir wollen verantwortlich sein dürfen endlich.

    Pfister: Was könnten denn solche pädagogischen Konzepte beinhalten?

    Eckinger: In jedem Fall müssen wir versuchen, dass wir die Kinder und Jugendlichen auch ganz nah, diejenigen, die jedenfalls bedroht sind, an Betriebe heranführen, dass es eine viel eine engere Kooperation mit dem Berufsleben gibt. Ich denke, dass aber vor allem erreicht werden muss, dass die Qualifikationen, die man heute braucht, die Kompetenzen, die man braucht, Teamfähigkeit zum Beispiel oder die Bereitschaft, sich anzustrengen, lebenslang zu lernen, dass das eine quer liegende Dimension durch alle Fächer sein muss.

    Pfister: Bundesbildungsministerin Schavan, jetzt noch mal auf die große Ebene zu kommen, denkt einen Bildungsgipfel im Herbst an, und genau das hat das Handwerk ja auch jetzt gefordert. Was könnte der denn bringen?

    Eckinger: Ja, der könnte schon was bringen. Aber da bin ich auch sehr, sehr skeptisch. Denn das Hickhack zwischen Bund und Ländern treibt ja unglaubliche Blüten. Das heißt, wenn Sie heute den Bildungsbericht anschauen, da wird die Eifersüchtelei ganz offensichtlich, weil der Separatismus und Partikularismus der Länder, die Kleinstaaterei dominiert zurzeit. Man hat allergrößte Ängste, dass der Bund etwas tut, was er eigentlich nicht darf. Das heißt, es ist nahezu lächerlich, wenn man das als Außenstehender beobachtet, der ich ja leider aber nicht bin. Ich bin da hoch unzufrieden. Auch mit Blick auf den Bildungsgipfel gibt es mehr Hin- und Hergeschiebe als den Versuch, eine gemeinsame Bildungsstrategie vom Kindergarten bis zur Hochschule aufzulegen und Bildungspolitik aus einem Guss zu machen.

    Pfister:Der Zweite Bildungsbericht von Bund und Ländern erscheint in zirka einer Viertelstunde. Wir werden im Deutschlandfunk weiter darüber berichten. Ich sprach darüber mit Ludwig Eckinger vom Verband Bildung und Erziehung.