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Hauptstadt des Fisches

Ob auf dem Teller, im Museum oder bei der Auktion: In Bremerhaven hält man den Fisch in Ehren. Denn auch wenn Windkraft und Tourismus heute als Industrien wichtiger werden - ohne die Flossentiere und die Geschichten der Fischer wäre die Stadt bedeutend ärmer.

Von Franz Lerchenmüller | 12.05.2013
    Gleichförmig rasselt das Förderband. Fisch auf Fisch poltert aus einem stählernen Trichter auf die Transportstraße, Eiskörner spritzen zu Boden. Einer der fünf Männer, die heute Morgen noch nicht viel reden, steht daneben und sortiert aus: Alle über zwei Kilo schweren Rotbarsche kommen in einen Extra-Behälter, andere Fischarten in einen zweiten. Am Ende des Bandes entscheidet sein Kollege noch einmal: Fische zwischen ein und zwei Kilo gehören zur Sorte zwei, alles, was leichter ist, zur dritten. Ist eine Kiste voll, wird sie gewogen: 50 Kilo Rotbarsch sollen es sein. Sechs bis sieben Tonnen Fisch werden heute Morgen so sortiert.
    Auktionator Bernd Ahrens verschafft sich einen ersten Überblick.

    "Heute haben wir nur ungefähr 130 Kisten Rotbarsch und einige Kisten Limandes und Seeteufel. Die Ware ist heute Nacht per Container hier eingetroffen. Die Behälter werden ausgeladen, werden in diese Eisbandmaschine gekippt, damit das alte Eis, was in den Behältern ist, rausfällt. Dann geht es hier auf dieses Förderband und heute, weil die Menge nicht so groß ist, sortieren wir mal per Hand, also jeder einzelne Fisch wird angefasst. Und zwar sortieren wir nach Größe und nach Arten."

    Fast aller Fisch, der hier sortiert und versteigert wird, kommt aus Island.

    "Der wurde letzte Woche Freitag angelandet, auf Island, wird dann per Linienschiff nach Rotterdam verbracht und von da aus per LKW hierher. Wir haben eigentlich 90 Prozent Rotbarsch, aber es kommen auch andere Sorten, Katfisch, Seelachs, etwas Kabeljau - die ganze Palette des Nordatlantik ist teilweise hier in kleineren Mengen."

    Allmählich trudelt ein halbes Dutzend Männer ein und versammelt sich in Ahrens` Büro. Punkt sieben setzt der Auktionator ein Headset auf, für Kunden, die am Telefon mitbieten, und beginnt die Versteigerung.

    "Guten Morgen alle zusammen."

    "Fangen wir mal mit den Riesen an. Zwei Euro? 2.10., 2.15 ... für eine Fischkiste. So, die zweite muss ich limitieren auf zehn Kisten ... zweite Sorte. Zwo Euro 2.1, 2.2 ... 2.45, Bruhns. Zehn Stück."

    Die Bremerhavener Fischauktions GmbH gibt es seit 1998. Fisch versteigert wird in Bremerhaven aber schon seit über hundert Jahren. 1885 lief hier mit der "Sagitta" der erste hochseefähige Fischereidampfer Deutschlands vom Stapel, 1896 wurde der erste Fischereihafen eingeweiht.
    Ein Modell im Historischen Museum zeigt, wie sich im Jahr 1936 Schuppen und Schornsteine, Slipanlagen und ein eigener Verladebahnhof entlang der Weser reihten. Zahlreiche Fischdampfer lagen vor Anker, es gab Fabriken für Rollmops, für Bücklinge und Fischmehl. Aber wer im Hafen arbeitete, hatte wahrlich kein leichtes Leben, erklärt Anja Benscheid, die Museumsdirektorin.

    "Es gab Schichtarbeit. Es waren in den Fischhallen sehr harte Arbeitsbedingungen, waren übrigens hauptsächlich die Arbeitsplätze von Frauen, die sehr schlecht bezahlt wurden. Die wenigen Männer hatten meistens Kontrollfunktionen, wurden besser bezahlt. Und natürlich hat es im ganzen Fischereihafen stark nach Fisch gerochen. Mir haben sehr viele Bremerhavener erzählt, dass man zu bestimmten Zeiten nicht mit bestimmten Straßenbahnlinien fahren konnte, weil dann die Fischarbeiterinnen Schichtende hatten und obwohl die sich geschrubbt haben wie verrückt, haben die den Fischgeruch nicht losbekommen."

    Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Bremerhaven mehr Fisch angelandet als irgendwo sonst in Deutschland. 200 Trawler waren im Einsatz, Fischfänger wie die "MS Gera", die heute als Museumsschiff im Alten Fischereihafen liegt. Michael Schultz-Brummer, der selbst fünf Jahre als Matrose auf einem solchen Schiff gearbeitet hat, erklärt, warum es ein sogenannter Seitentrawler, ein Seitenfänger ist.

    "Seitenfänger deshalb, weil das Netz über die Verschanzung auf der Seite ausgesetzt worden ist. Wir sehen hier die große Fischnetzwinde, die dazu dient, die Kurrleine, an der das Netz hängt, einzuholen und auszusetzen. Wir sehen Luken, die in den Fischraum hinunterführen und wir sehen auch das Geschirr, das Netz an der Seite liegen, klar zum Aussetzen."

    Oben auf der Brücke saß der Kapitän auf seinem "Jagdsitz" und starrte stundenlang auf seine Instrumente, um den Fisch zu finden.

    "Wir haben hier ein Lot, das schreibt auf ein kohlebeschichtetes Papier die Tiefen. Und wenn er zwischendurch, der Schall, auf einen Fischschwarm trifft, schreibt er dies auch auf dieses Papier. Da drübersteht die Lupe, die eine Braunsche Röhre ist, die darstellt Form und Dichte des Schwarmes."

    Unten an Deck verrichtete die Besatzung ihre Arbeit - eine sehr gefährliche Arbeit.

    "Das Netz ist ein sehr schweres Gerät und sehr beweglich und schlecht kontrollierbar. Wenn Sie z.B. am Boden des Meeres gehakt haben mit ihrem Geschirr, und holen dieses kaputte Geschirr an Deck, bedeutet das häufig gerissene Drähte, gerissenes Netz. Sie müssen das in den Mast hochhieven und dann kann es passieren, dass Teile herunterfallen. Oder die See schlägt zu. Die Wellen sind ja so hoch unter Grönland, dass sie das Schiff überrollen und dann passiert es schon mal, dass es den einen oder anderen Unfall gibt."

    Und manchmal erlebten die Männer dabei Geschichten, die immer noch kaum zu glauben sind.

    "Was ich selbst erlebt habe, ist, dass durch solch einen massiven Wasserschwall ein Seemann, ein Steuermann außenbords getragen worden ist. Wir ihn verloren gegeben haben, weil wir fuhren. Der Kapitän das gar nicht gemerkt hat. Nur: Mit der nächsten See ist er hinten auf dem Achterschiff wieder hineingewachsen worden. Und kam pitschnenass und frierend von achtern nach vorne gelaufen: Könnt beruhigt sein, könnt beruhigt sein, ich bin da. Können Sie sich vorstellen, dass wir darauf einen genommen haben?"

    Das ist Geschichte. Anfang der 80er-Jahre schützten die Küstenanrainer ihre Fanggründe mit der 200-Meilen-Zone vor ausländischer Konkurrenz. Und die neu erfundenen Fabrikschiffe plünderten die Meere draußen leer.
    Heute fischt Bremerhaven nicht mehr selbst. Aber es bleibt das Zentrum der Fischverarbeitung. 5000 Menschen verdienen damit ihr Geld.

    Im alten Hafen liegt das moderne "Schaufenster Fischereihafen". In dieser sogenannten "maritimen Erlebniswelt" gibt es Matjesbrötchen und frischen Butt, Geschäfte bieten Gewürze und Kaffee und im Großaquarium lassen sich Gelbstriemen, Steinbutt und Dorsch bestaunen. Mittendrin erhebt sich ein geweißtes Backsteingebäude, das eigenartig fehl am Platz wirkt. Die Räucherei Herbert Franke wurde 1924 gegründet, und im dämmerigen Verkaufsraum scheint die Zeit seitdem stehen geblieben zu sein. Wie schwarzes Glas hat sich der Teer in glänzenden Schlieren an den Wänden abgesetzt. Chef Jürgen Franke ist stolz auf seine sozusagen schon historische Anlage.

    "Wir haben hier fünf alte Räucheröfen, die sind auch von 1924, und die werden eigentlich nur mit Holz befeuert. Vorne haben wir diese großen Holzscheite, das ist das Buchenholz, damit wird der Fisch gegart und getrocknet, das dauert ca. zwei Stunden."

    Danach ist der Fisch gar. Aber nun braucht er noch Farbe und Geschmack.

    "Und das machen wir jetzt mit Erlenholzspänen. Das Feuer ist runtergebrannt, wir haben nur noch heiße Glut im Ofen, nehmen eine Schaufel Erlenholz, und die kommt auf die heiße Glut. Das macht einen schönen, dicken Qualm, wir sagen immer "Stüm" dazu. Ordentlichen dicken Stüm, damit wir ne schöne Farbe in den Fisch bekommen."

    Jeder Fisch wird verschieden geräuchert. Forelle etwa braucht ganz viel Hitze, um saftig zu werden. Makrele dagegen würde bei solchen Temperaturen platzen.

    "Wenn man fünf Öfen hat und die alle verschieden bestückt hat, hat man ne Menge zu tun. Da haben wir im Ofen diese Klappen. Da kann man mal reingucken: Wie verhält sich das Feuer, wie ist die Flamme? Müssen wir Holz nachlegen? Müssen wir ein bisschen mit Wasser ablöschen? So wird das dann immer kontrolliert."

    Für die meisten Touristen steht im alten Hafen auch ein Besuch im "Seefischkochstudio" auf dem Programm.

    "Machen Sie mal Seelachs gedünstet mit einer Mango-Paprika-Mousse, dazu leichte Senfsoße. Beispiel. Wir können selber Zuhause entscheiden, was für ein Niveau Sie mit in die Küche Zuhause einbringen, wie Sie Ihren Fisch zubereiten, Sie können mit Fisch machen, was Sie wollen ..."

    45 Minuten lang zeigt der Koch Murat Kirhan, wie ein Lachs filetiert wird, er spricht über Garzeiten und Frische, packt eine Forelle in Salzteig und rät davon ab, Fisch vor dem Braten mit Zitronensaft zu behandeln.
    Das Seefischkochstudio gibt es schon seit 1927. Aufgabe dieser "Mutter aller Kochshows" war und ist, den Menschen zu zeigen, wie einfach und vielfältig Fisch zubereitet werden kann.

    "Im Vordergrund ist unser Ziel dass die Gäste, wo sie Schwierigkeiten mit Fisch haben, wo sie sagen: Okay, ich hab mir das jetzt in meiner Show angeguckt und würde jetzt in Zukunft auch meinen Fisch komplett Zuhause selber zubereiten."

    Ob auf dem Teller, im Museum oder bei der Auktion: In Bremerhaven hält man den Fisch in Ehren. Denn wenn auch Windkraft und Tourismus sich heute immer mehr zu bedeutenden Industrien entwickeln - ohne den Fisch würde der Stadt ein wichtiges wirtschaftliches Standbein fehlen. Und ohne Rotbarsch, Kabeljau und Hering wäre Bremerhaven nie zu dem geworden, was es ist: die einzige deutsche Großstadt an der Nordsee.