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Haus der Laizität
Vielfalt der Kulturen aufzeigen

Seit der Attentatswelle, die Frankreich vor einem Monat erschüttert hat, ist ein Begriff wieder in aller Munde: Laizität. Das Gesetz zur Trennung von Religion und Staat ist fast 110 Jahre alt und gilt als einer der Grundpfeiler der Französischen Republik. Doch was genau steckt hinter diesem politischen Prinzip?

Von Suzanne Krause | 10.02.2015
    Französische Flagge vor einer Frauenstatue vor Nachthimmel
    In Frankreich sollen laizistische Prinzipien am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum herrschen (JOEL SAGET / AFP)
    Inmitten des 15. Arrondissements, ein gutbürgerliches Viertel im Pariser Süden: Hier residiert die "Patronage Laique", das "Haus der Laizität". Ein schmucker dreistöckiger Neubau, im Erdgeschoss ein großzügiges Foyer, linker Hand hängen Texttafeln: ein historischer Abriss zum Laizitätsgesetz. Geradeaus geht es in den Veranstaltungssaal. Im Stock drüber findet sich die Bibliothek: Geschichtliches, Wissenschaftliches, viel Philosophisches rund ums Thema Laizität, aber auch Bilderbücher, die Kindern unterschiedliche Kulturen nahebringen. Neben dem Lesesaal liegen mehrere Arbeitsräume: Hier laufen Wissenschaftskurse, Sprachlehrgänge in Arabisch, Russisch, Japanisch, Kalligraphie, Tai Chi.
    Das Treppenhaus zieren Veranstaltungsplakate. Die Bilanz den ersten Jahres: 20 Vorträge und 50 Kultur-Veranstaltungen. Stéphane Gaulier, Direktor im Haus der Laizität, zeigt auf die Poster:
    "Wir wollen die Vielfalt der Kulturen aufzuzeigen. Das reicht über das Thema Laizität hinaus. Denn um in unserer kulturell vielfältigen Gesellschaft für einen Zusammenhalt zu sorgen, möchten wir ermöglichen, dass jeder andere Kulturen kennenlernen, auf sie zugehen kann. Paris ist eine kosmopolitische Hauptstadt, auf der Straße sieht man die unterschiedlichsten Kulturen. Sie vorzustellen – das liegt uns am Herzen: um Stereotype, Vorurteile abzubauen, um von ihrem Reichtum zu profitieren."
    Eine Arbeit – die natürlich politisch ist. Noch am Tag des Anschlags gegen die Macher des Satire-Blattes Charlie hat die Stadtverwaltung die Pforten im Haus der Laizität vorübergehend geschlossen – eine Sicherheitsmaßnahme. Einige Tage später wurde der Betrieb wieder aufgenommen.
    Stéphane Gaulier:
    "Auf unserer Fassade steht in Großbuchstaben der Name der Einrichtung: Patronage Laique. Das hat seit den Attentaten viele Passanten hereingelockt. Sie kommen und sagen: Derzeit ist überall von Laizität die Rede, mich interessiert, was Sie hier genau machen. Die Ereignisse der letzten Wochen haben uns einiges an Reklame beschert."
    Was Laizität genau bedeutet
    Das Interesse der Bürger an der Laizität ist seit einem Monat neu erwacht. Gilt der Begriff doch bei Politikern als eine Art Heilsversprechen gegen ein Auseinanderdriften der Gesellschaft. Umfragen besagen: 82 Prozent der Bürger sind dafür, laizistische Prinzipien am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum zu bewahren. Soll heißen: keine offensichtliche Zurschaustellung religiöser Symbole. Doch was Laizität genau bedeutet, darüber entbrennt regelmäßig heftiger Streit, gibt auch Stéphane Gaulier von der Patronage Laique zu:
    "Zuallererst ist die Laizität ein politisches Prinzip. Sie – als Einzelperson – können nicht laizistisch sein. Sie können tolerant sein oder die Glaubensfreiheit fördern. Aber Laizität hat nichts mit individueller Moral zu tun. Es handelt sich um ein politisches Prinzip, das nur auf einen Staat angewandt werden kann. Der Begriff ist sehr schwammig, deshalb ist er so vielen Interpretationen unterworfen."
    Im Foyer sammeln sich Besucher: für den Vortrag zu Laizität, Freiheit und Glaubensgemeinschaften - von Catherine Kintzler. Kintzler ist Philosophin, Uni-Professorin und Laizitäts-Expertin und eine der fünf französischen Intellektuellen, die 1989, anlässlich der ersten Kopftuch-Debatte, in einem offenen Brief verlangten, muslimische Schülerinnen sollten unverhüllt in den Unterricht kommen.
    Laizität immer wieder neu denken und anpassen
    Catherine Kintzler: "Wir müssen die Idee der Laizität überdenken. Sie muss klarer werden. Anfang des 20. Jahrhunderts haben die meisten dieses Konzept zunehmend verinnerlicht. Aber wie alles, was als selbstverständlich gilt, hat es an Schlagkraft verloren. Die Idee hätte angepasst werden müssen. Das ist nicht passiert. Und so ist die Idee von Laizität aufgeweicht. Wir brauchen eine Überarbeitung."