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"Haushaltskonsolidierung muss sein"

Der EU-Fiskalpakt sorge für neue Ernsthaftigkeit in Sachen Konsolidierung der Staatsfinanzen, sagt der luxemburgische Ministerpräsident und Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker. Wer aber denke, dass man allein durch Haushaltskonsolidierung die Euro-Krise lösen könne, "der irrt sich fundamental".

Jean-Claude Juncker im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 31.01.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Wer gedacht hatte, dass das neue Jahr anders beginnt, als das alte aufgehört hat, der sieht sich getäuscht. Auch das Jahr 2012 beginnt mit einem EU-Sondergipfel, und natürlich ist bei dem Treffen gestern die Schuldenkrise in Europa das beherrschende Thema gewesen. Griechenland kommt nicht von der Stelle, immer lauter wird der Chor derer, die den Euro-Rettungsschirm massiv aufstocken wollen.
    Am Telefon begrüße ich jetzt den Premierminister Luxemburgs und Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker. Schönen guten Morgen!

    Jean-Claude Juncker: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Juncker, der alte Euro-Stabilitätspakt, der hat versagt, weil sich keiner an seine Bestimmungen gehalten hat. Nun soll es also der Fiskalpakt bringen. Wirklich automatische Sanktionen allerdings auch hier Fehlanzeige. Ihr Außenminister, Jean Asselborn, der hatte im Vorfeld schon gesagt, die Beschäftigung mit dem Fiskalpakt sei Energie- und Zeitverschwendung. Hat er recht?

    Juncker: Ich glaube, er hat in der von ihm wie gewohnt gewählten etwas brutalen Ausdrucksform nicht auf der ganzen Linie recht. Es war wichtig, in diesem Moment dafür Sorge zu tragen, auch in unserem Dauerdialog mit den Finanzmärkten, dass wir uns endgültig auf den Weg in eine Stabilitätsunion aufgemacht haben. Deshalb musste dieser Fiskalpakt in der jetzt beschlossenen Form verabschiedet werden.

    Heckmann: Aber was spricht denn dafür, dass dieser Fiskalpakt schärfere Zähne hat als der alte Euro-Stabilitätspakt, wenn man sich anschaut, Sanktionen können auch jetzt wieder mit zwei Drittel Mehrheit abgewendet werden, die EU-Kommission bekommt kein Klagerecht, wie von Berlin aus gefordert? Also was spricht dafür, dass das diesmal funktionieren soll?

    Juncker: Dafür spricht der zu Protokoll gebrachte Wille aller Mitgliedsstaaten der Euro-Zone, in Sachen Stabilitätsunion jetzt eine dauerhafte Lösung anzustreben. Wer sich vertraglich dazu verpflichtet, A Schuldenbremsen in seine nationale Gesetzgebung einzuführen und B auf Dauer einen ausgeglichenen Staatshaushalt anzustreben, der wird sich diesem eingegangenen Versprechen nicht mehr entziehen können.

    Heckmann: Woraus schließen Sie das nach diesen jetzigen Erfahrungen?

    Juncker: Ich schließe das aus den vorgebrachten Wortmeldungen, ich schließe dies aus der Einsicht, dort eine neue Ernsthaftigkeit in Sachen Konsolidierung der Staatsfinanzen von jedem als Selbstverpflichtung und als vertraglich festgelegte Verpflichtung einzugehen.

    Heckmann: Es bleibt allerdings, Herr Juncker, den Mitgliedsländern dann überlassen, Klage einzureichen vor dem Europäischen Gerichtshof. Was spricht denn für Sie aus Ihrer Sicht für die Wahrscheinlichkeit, dass das wirklich passiert, denn eine Krähe hackt der anderen bekanntlich nicht gerne ein Auge aus?

    Juncker: Das sehe ich nicht so, wie Sie das jetzt zusammengefasst haben. Dadurch, dass jedem Mitgliedsland die Möglichkeit einberaunt wird, andere Mitgliedsländer zu verklagen, falls diese anderen Mitgliedsländer die Schuldenbremse nicht in ihr nationales Recht einführen, setzen wir uns eigentlich selbst unter Druck, dafür zu sorgen, dass in Sachen Schuldenbremse ernsthaft zu Werke gegangen wird. Ich war nie der Auffassung, dass man es dem Europäischen Gerichtshof überlassen sollte, dafür Sorge zu tragen, dass die Haushaltsdisziplin auch von jedem eingehalten wird. Dies ist nicht Sache eines Gerichtes. Das hat man von deutscher Seite her wahrscheinlich etwas zu schnell ins Auge gefasst. Aber dadurch, dass jeder jeden verklagen kann, entsteht der notwendige Druck, mit der Schuldenbremse wirklich ernsthaft umzugehen.

    Heckmann: Herr Juncker, wir haben die Mitgliedsländer der Europäischen Union, wir haben die Euro-Gruppe, wir haben jetzt den Fiskalpakt, wo Großbritannien und Tschechien nicht mitmachen werden. Fraglich ist es auch, ob dieser Fiskalpakt in allen anderen 25 Staaten ratifiziert werden wird. Dazu die Frage: Fällt Europa immer weiter auseinander?

    Juncker: Nein, das sehe ich nicht so. Dieser Vertrag wird dann in Kraft treten, wenn zwölf Mitgliedsstaaten ihn ratifiziert haben werden. Dann tritt er für diese zwölf Mitgliedsstaaten, die dies getan hätten, in Kraft. Ich sehe hier nicht die Gefahr einer Spaltung innerhalb der Euro-Zone oder innerhalb der Europäischen Union.

    Heckmann: Glauben Sie denn, dass dieser Fiskalpakt in der Tat von allen anderen 25 Staaten dann ratifiziert wird?

    Juncker: Das muss er nicht. Er kann auch in Kraft treten, falls wie gesagt 12 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihn ratifiziert haben werden. Aber ich gehe davon aus, dass, wenn das Ratifizierungsverfahren in Gang gekommen ist, alle, die diesen Fiskalpakt unterzeichnet haben, ihn dann auch in die Tat umsetzen werden.

    Heckmann: Kommen wir mal zur Lage in Griechenland, Herr Juncker. In Europa wurde ja heftig über den deutschen Vorschlag diskutiert, einen sogenannten Sparkommissar für Griechenland einzusetzen. Das hat heftige Kritik auch ausgelöst, gestern auch in Brüssel. Muss Deutschland also aufpassen, nicht den Hass der EU-Partner auf sich zu ziehen?

    Juncker: Also Hass ist ein böses und ein gleichzeitig großes Wort. Die deutsche Sorge – und das ist ja nicht nur eine deutsche Sorge -, die darin besteht, Griechenland unter verschärfte Haushaltsüberwachung zu stellen, ist ein Vorschlag, der sich auf dem Boden des gesunden Menschenverstandes bewegt. Jeder weiß, dass das griechische Konsolidierungsprogramm aus der Spur geraten ist, und jeder weiß auch, dass es hier eines erhöhten Druckes der anderen Mitgliedsstaaten auf Griechenland bedarf, damit Griechenland wieder in die Spur seines laufenden ersten Hilfsprogrammes zurückkehrt. Aber zu Hass führt das nicht, aber man sollte sich schon überlegen, bevor man Vorschläge in Richtung europäische Öffentlichkeit in die Welt setzt, wie diese Vorschläge von anderen empfunden werden können.
    Das wir einen Sparkommissar speziell und spezifisch für Griechenland bräuchten, diese Notwendigkeit sehe ich nicht. Aber unsere griechischen Freunde müssen auch wissen, dass sie unter erhöhter Beobachtung stehen.

    Heckmann: Das griechische Programm ist aus der Spur, haben Sie gerade eben gesagt. Angela Merkel hat gemeint, es gäbe eine gewisse Frustration über die Entwicklung in Griechenland. Was folgt daraus? Folgt daraus aus Ihrer Sicht auch, dass nicht nur die Banken und Versicherungen auf Teile ihrer Schuldtitel verzichten müssen, sondern auch die Staaten?

    Juncker: Es kommt jetzt darauf an, dass wir nach Möglichkeit bis Ende der Woche zu einer Vereinbarung zwischen Griechenland und den Privatgläubigern kommen. Man wird sich dann angesichts des dann eingetretenen Ergebnisses überlegen müssen, ob andere auch noch zu weiterer Hilfestellung bereit sein müssen. Aber in der Summe gilt, dass Griechenland seinen Verpflichtungen gerecht werden muss. Den Eindruck hat man nicht immer, dass dieser feste Wille in Athen bestehen würde, und dem griechischen Kollegen wurde gestern deutlich gemacht, dass die Erwartungshaltung der anderen Europäer doch die ist, dass Griechenland in Sachen Haushaltskonsolidierung jetzt Nägel mit Köpfen macht.

    Heckmann: Das heißt aber, Herr Juncker, dass wir uns darauf einstellen können, dass die europäischen Steuerzahler auf Geld verzichten müssen?

    Juncker: Das ist nicht unbedingt der Fall. Das wird von der Ausgestaltung und Verfeinerung der einzusetzenden Instrumentarien abhängen.

    Heckmann: Herr Juncker, zum Thema Wachstum/Beschäftigung. Das war ja auch ein Thema gestern auf dem Gipfel. Es soll die Wirtschaft in Europa angekurbelt werden, gerade auch in den Not leidenden Ländern. Dazu sollen 82 Milliarden Euro benutzt werden, Mittel, die bisher nicht verwendet worden sind. Aber das sind ja keine neuen Mittel. Also was soll das zusätzlich bringen?

    Juncker: Das eigentliche Thema gestern in Brüssel war ja das Thema Wachstum und Beschäftigung. Über Griechenland haben wir nicht sehr intensiv geredet. Die Debatte über Wachstum und Beschäftigung hat fünf Stunden gedauert, die Debatte über den Fiskalpakt hat zwei Stunden gedauert. Es ist wichtig – und ich denke, dass dies auch gestern deutlich wurde -, dass man nicht nur auf Haushaltskonsolidierung setzt (die ist alternativlos wichtig), sondern dass man auch die Themen Wachstum und Beschäftigung mehr ins Augenmerk nimmt. Haushaltskonsolidierung muss sein, sie ist wie gesagt optionslos, aber wer denkt, dass wir nur via Haushaltskonsolidierung die Krise, die aktuell die Euro-Zone auszeichnet, bewältigen können, der irrt sich fundamental. Die Themen Wachstum und Beschäftigung sind gleichrangig wichtig und die 82 Milliarden Euro, die Sie angesprochen haben, sind 82 Milliarden ungenutzte Euros und die werden jetzt konzentriert in jene Länder abfließen können, die eine besonders hohe Jugendarbeitslosigkeit verzeichnen. Die durchschnittliche Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union beläuft sich auf 22 Prozent und die Länder, die mehr als 22 Prozent Jugendarbeitslosigkeit haben, werden die Nutznießer dieser Restgeldmittel, die noch in den EU-Töpfen stecken, sein.

    Heckmann: Der Premierminister Luxemburgs und Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, live hier im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Gespräch!

    Juncker: Ich bedanke mich.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.