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Haustürwahlkampf in NRW
Tür zu beim Klinkenputzen

Für die SPD ist ein Erfolg im "roten" NRW eigentlich Pflicht. Doch manche Sozialdemokraten fürchten eine ähnliche Pleite wie im Norden. Denn auch die rechtspopulistische AfD wirbt in NRW mit Arbeiter-Folklore um die Stimme des "kleinen Mannes". SPD-Wahlkämpfer versuchen nun, verunsicherte Nicht- oder AfD-Wähler an der Haustür zu überzeugen.

Von Manfred Götzke | 12.05.2017
    Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (M) und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD, 3.v.r) unterhalten sich bei einem Wahlkampfauftritt mit Bürgern.
    Auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Kanzlerkandidat Martin Schulz suchen den direkten Kontakt zu Bürgern (picture alliance / Marcel Kusch/dpa)
    "Guten Tag. Bovermann, ich bin Ihr SPD-Landtagsabgeordneter." - Bürgerin: "Nee, keine Zeit…" - Bovermann: "Keine Zeit für Demokratie!"
    Wieder kein Glück gehabt. Wieder kam Rainer Bovermann nicht ins Haus, um seine Botschaft an den Mann zu bringen. Wählen gehen - und zwar am besten SPD. Der 59-jährige Landtagsabgeordnete klingelt noch bei Horstkötter, Matuschlksy und Schmitz. Wartet eine knappe Minute und zieht dann weiter, zum nächsten Abschnitt des grauen Häuserblocks. Straßenwahlkampf im Ex-SPD-Land - eine gute Woche vor der Wahl.
    "Guten Tag, Bovermann, ich bin Ihr SPD-Landtagsabgeordneter. Haben Sie sich schon mit der Wahl beschäftigt?" - "Nein ich weiß ich nicht, ich muss…"
    Früher SPD-, heute eher Nichtwähler
    Wir sind unterwegs im Norden Hattingens. Hier reiht sich Häuserriegel an Häuserriegel. Einfache zwei bis drei Stockwerke, grauer Putz, viele zuletzt in den 70ern renoviert. Wohnungen, gebaut für die Arbeiter der Henrichshütte, deren rotgeziegelter Schlot über die Dächer ragt. Rauch kommt da seit 30 Jahren nicht mehr raus.
    Früher, als noch alle im Stahlwerk gearbeitet haben, wählte man hier wie auch sonst im Ruhrgebiet fast automatisch SPD - jetzt ist die Siedlung Problembezirk, für die Stadt Hattingen - und den Wahlkämpfer Bovermann. Ausgestattet mit roter SPD-Regenjacke, SPD-Kugelschreibern und einer Portion Frustrationstoleranz läuft er an diesem regnerischen Nachmittag von Haustür zu Haustür.
    "Wir sind hier jetzt in einem alten Arbeiterviertel, wo viele Arbeiter der Henrichshütte gelebt haben, die 1987 geschlossen wurde. Und hier gibt es sehr viele Nichtwähler, 60 Prozent Nichtwähler und auch die Sozialstruktur ist problematisch."
    Bovermann will Nichtwähler überzeugen
    Der Politikwissenschaftler sitzt seit 2005 im Landtag, sein Wahlkreis Ennepe-Ruhr I ist ihm eigentlich sicher. Doch er hat Siedlung für Siedlung ausgewertet, geschaut, wo es für die SPD schwierig geworden ist, Stimmen zu holen. Wo Bürger von der Sozialdemokratie, der Politik insgesamt enttäuscht sind. Die gar nicht mehr wählen, und wenn, die AfD. So wie hier im Norden Hattingens.
    "Man konnte schon bei der Kreistagswahl feststellen, dass in solchen Quartieren viele ehemalige Wähler der SPD, die früher auch schon mal zu Hause geblieben sind ins AfD-Lager übergewechselt sind. Reporter: "Und die wollen Sie jetzt zurückholen?"
    "Ich möchte eine Gegenmobilisierung machen. Die eingefleischten AfD-Wähler wird man nicht bekommen, aber wichtig ist: Gibt es auch noch Gegenpositionen. Wird nur noch über die AfD gesprochen und wie schlecht alles ist? Oder gibt es auch Leute, die sagen, ja die SPD kümmert sich doch auch um die kleinen Leute. Also ganz schlecht wäre es, diese Quartiere liegen zu lassen."
    Mühsames Klinkenputzen
    Eine Frau Mitte 30 kommt auf uns zu. Sie scheint nicht in Eile zu sein, Bovermann nutzt also die Gelegenheit: "Sie gehen nicht wählen oder doch?" - Reporter: "Ist das frustrierend?" - "Ja die letzten Meter sind frustrierend." - Reporter: "Die Frau ist ja regelrecht vor Ihnen geflohen." - "Ja, genau. Und das erlebt man auch oft an den Infoständen, dass die Leute einen Bogen um einen machen."
    "Das war noch harmlos", sagt Melanie Witte-Lonsing. Sie ist Bovermanns Mitarbeiterin im Wahlkreisbüro und sitzt außerdem im Rat der Stadt Hattingen. Bovermann hat sie an diesem Dienstagnachmittag mit auf seine Tour genommen, auch weil sie sich hier noch etwas besser auskennt als der Abgeordnete.
    Bei der letzten Kommunalwahl war sie ein paar Straßen weiter im Viertel mal allein Klinkenputzen. Das macht sie jetzt nicht mehr. "Wenn man da auf einen erzürnten Wutbürger trifft, dann ist das nicht lustig. Die sind dann auch sehr schnell übergriffig. Die werden körperlich dann auch schnell übergriffig. Das ist dann schon unangenehm. Ist mir jetzt zweimal da passiert."
    Hass und Misstrauen gegen Politiker
    Reporter: "Hat das zugenommen, der Hass gegen Politiker?" - "Die Leute sind distanzloser und die Hemmschwelle hat sich gesenkt, sich unverschämt zu benehmen."
    Bovermann nimmt sich den nächsten Häuserblock vor, diesmal hat er etwas mehr Glück: "Ich will nichts verkaufen, ich komm von der SPD." "Ah SPD - das ist gut. War Ihr Vater auch bei der SPD? Vorsitzender sogar, toll! Ganz wichtig, dass Sie wählen gehen…"
    Die Bürger, die er eigentlich ansprechen, immunisieren will, öffnen gar nicht erst. Sie gucken misstrauisch aus dem Fenster - und warten, bis der kleine freundliche Mann von der SPD wieder weg ist.