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Hauswirtschaft auf Verordnung

Das Pflichtjahr für Mädchen, eingeführt am 15. Februar 1938, war die größte Arbeitseinsatzmaßnahme im Nationalsozialismus. Es verkörperte das Staatsprogramm der NS-Herrschaft und gehörte unmittelbar zur Kriegsvorbereitung. Erzieherisch im nationalsozialistischen Sinne hat es jedoch nur sehr begrenzt gewirkt.

Von Annette Wilmes | 15.02.2008
    "Unser Dienst im Kleinen ist Dienst am Großen. Die Liebe zur Sache bringt erst das richtige Dienen."

    Die Karte mit diesem Spruch hat Ilse Müller, 83 Jahre alt, heute noch bei ihren Unterlagen. Sie erhielt sie zusammen mit einem Zeugnis von der Frau, für die sie vor 70 Jahren ein Jahr im Haushalt gearbeitet hatte.

    "Als ich entlassen wurde von der Volksschule - und ich wollte eine Lehre beginnen - da wurde ich vor die Wahl gestellt: entweder Pflichtjahr oder Arbeitsdienst. Und dann habe ich mich entschieden, dass ich lieber das Pflichtjahr machte, weil ich zu Hause bleiben konnte, weil ich da eine Familie gefunden hatte. Da musste ich den Haushalt lernen. Weil ich ja gar keine Ahnung hatte vom Haushalt. Putzen, Waschen, im Garten - überall so ein bisschen helfen."

    Ilse Müller war dreizehn Jahre alt, als sie im April 1938 ihr Pflichtjahr antreten musste. Sie war eines der ersten Mädchen, die zum Dienst gezogen wurden, denn erst wenige Wochen zuvor, am 15. Februar, hatte Ministerpräsident Hermann Göring die entsprechende Anordnung erlassen.

    Vor allem auf dem Land und in der Hauswirtschaft fehlten Arbeitskräfte. Junge Mädchen unter 25 sollten deshalb bei Bauern oder in kinderreichen Familien arbeiten, bevor sie eine Berufsausbildung beginnen durften. Darüber hinaus sollten sie auf das Leben als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Ähnliche Ziele hatte der weibliche Reichsarbeitsdienst schon seit 1935 verfolgt. Dessen "Arbeitsmaiden" wurden ebenfalls hauptsächlich als Hilfe für die Frauen und Mütter im Haus, im Stall und auf dem Feld eingesetzt:

    "Die Arbeitsmaid lernt erkennen, wie ihr kleiner Arbeitskreis eingebaut ist in die Aufgaben des ganzen Volkes. Sie sieht, dass dieses Ganze nur leben kann, wenn jedes kleine Glied an seiner Stelle die Pflicht so gut wie möglich erfüllt. Und sie wird stolz darauf, dass sie am Leben des Volkes mitverantwortlich ist."
    (Iffland, Abteilungsleiterin in der Reichsleitung des Reichsarbeitsdienstes)

    Bis zur Einführung des Pflichtjahres waren die Arbeitseinsätze der deutschen Jugend immer in Verbindung mit ideologischer Erziehung in Lagergemeinschaften durchgeführt worden. Das war bei den Pflichtjahrsmädchen nicht möglich, weil es zu viele waren: etwa 300.000 jährlich. Nur wenige hatten das Glück, zu Hause wohnen bleiben zu können. Die meisten mussten bei den Familien leben, in denen sie arbeiteten - oft weit weg von zu Hause auf dem Land. Um das Bewusstsein, Dienst an Deutschland zu leisten, auch ohne die Lagergemeinschaft wach zu halten, gab es so genannte Pflichtjahrtreffen, organisiert unter anderem vom BDM, dem "Bund Deutscher Mädel":

    "Wollen wir uns nicht freuen des weiten Feldes, das sich für uns auftut. Wollen wir uns nicht freuen, dass wir Kraft in uns fühlen, dass unsere Aufgabe unendlich ist."

    Die Pflichtjahrsmädchen waren Billigstarbeitskräfte, sie bekamen zwischen drei und 15 Reichsmark monatlich, ganz nach Belieben. Sie waren 13, 14 oder 15 Jahre alt, oft körperlich und psychisch durch die Arbeit überfordert. Beschwerden nützten jedoch in der Regel nichts.

    "Wie wir von unseren Soldaten erwarten, dass sie sich nicht vor Aufgaben drücken und fürchten, so können wir auch von jedem anständigen Pflichtjahrmädel erwarten, dass es sich nicht vor der Arbeit drückt, die das Vaterland von ihm fordert."

    Die Einführung des Pflichtjahres war Bestandteil von Görings Vier-Jahres-Plan und gehörte unmittelbar zur Kriegsvorbereitung. Nach Kriegsbeginn sollte es die so genannte "Nahrungsfreiheit" sichern helfen: Die Landwirte sollten weiterhin so viele Lebensmittel produzieren, dass Deutschland autark blieb und seine Soldaten versorgen konnte. Später wurde vor allem die "bevölkerungspolitische Bedeutung" des Pflichtjahres betont, zum Beispiel in der Zeitschrift "Völkischer Wille" vom 1. Februar 1943:

    "Dieses bevölkerungspolitische Moment wird im weiteren Verlaufe des Krieges mehr in den Vordergrund treten müssen. Wir brauchen nun einmal - abgesehen von allen anderen Gründen - für den Ausgleich der blutigen Verluste des Krieges, für den Ausgleich des Geburtenrückgangs, der durch die Trennung der Soldaten von ihren Familien bedingt ist, heute soviel erbgesunde Kinder wie eben möglich. Ja, das Pflichtjahr hat jetzt erst seinen eigentlichen Sinn bekommen."

    Von Anfang an sollte die Maßnahme dafür sorgen, dass die Mädchen in der Hauswirtschaft blieben, selbst Mütter wurden und viele Kinder bekamen. Doch viele begannen nach Ablauf der Zeit wie geplant ihre Ausbildung. Das Pflichtjahr war zwar die größte Arbeitseinsatzmaßnahme im Dritten Reich, erzieherisch im nationalsozialistischen Sinne hat es jedoch nur sehr begrenzt gewirkt.