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Haut als Tarnkappe

Tarnen und täuschen – das gehört in der Tierwelt zu den gängigen Überlebensstrategien. Eindrucksvolle Beispiele sind Insekten, die haargenau so aussehen wie Blätter und Zweige. Wie sich Heringe für ihre Feinde unsichtbar machen, hat ein britisches Forscherteam nun im Detail entschlüsselt.

Von Frank Grotelüschen | 22.10.2012
    Neulich im offenen Ozean: Geduldig lauert der Raubfisch auf Beute. Da taucht gar nicht weit von ihm ein Schwarm atlantischer Heringe auf. Doch der Räuber reagiert nicht. Es sieht so aus als würde er die silbrig glänzenden Fische schlicht nicht wahrnehmen. Und tatsächlich: Die Heringe verfolgen eine geschickte Täuschungsstrategie. Ihre Haut nämlich fungiert als eine Art Tarnkappe, sagt Nicholas Roberts, Biologe an der Universität Bristol.

    "Stellen Sie sich vor, Sie halten einen Spiegel in einen Wassertank. Dieser Spiegel reflektiert das Licht. Wenn er nun genauso viel Licht reflektiert wie hinter ihm ist, lässt er sich kaum noch erkennen, er verschmilzt quasi mit seiner Umgebung. Und genau deshalb gibt es im Ozean so viele silberne Fische. Sie können wie ein Spiegel agieren und sich damit so gut tarnen, dass sie von ihren Fressfeinden kaum gesehen werden."

    Schon länger wussten die Forscher, dass die Fischhaut deshalb spiegelt, weil sie wie ein Sandwich aus mehreren Schichten besteht: Immer eine Lage aus Kristallen des Biomoleküls Guanin, gefolgt von einer Trennschicht aus Zytoplasma, der Grundsubstanz einer jeden Zelle. Die Guanin-Schichten fungieren als die eigentlichen Lichtreflektoren. Die Trennschichten sind gerade so dick, dass sich das reflektierte Licht der Guanin-Schichten genau addiert – was die Spiegelwirkung verstärkt. Doch als Roberts dieses Spiegel-Sandwich genau unter die Lupe nahm, entdeckte er etwas Überraschendes:

    "Mit einer Holografie-Methode konnten wir einzelne Guanin-Kristalle, jeder wenige Mikrometer groß, präzise untersuchen. Und dabei stellten wir etwas Aufregendes fest: Die Fischhaut enthält zwei verschiedene Strukturen von Guanin-Kristallen!"

    Und zwar sind die Guanin-Kristalle in verschiedenen Schichten anders ausgerichtet. Jede der beiden Ausrichtungen reflektiert das Licht vereinfacht gesagt unter unterschiedlichen Winkeln. Für den Fisch ein Vorteil: Denn ohne diesen Trick würde seine Haut jenes Licht nur schlecht reflektieren, das von der Seite einfällt, mit Winkeln von mehr als 50 Grad. Würde der Hering einem Räuber aus einer seitlichen Perspektive ins Auge fallen, würde er sich dunkel abzeichnen – und wäre eine leichte Beute. Genau das, sagt Roberts, verhindern die beiden Kristalltypen in der Haut.

    "Die beiden Kristalltypen entschärfen die Winkelabhängigkeit und sorgen dafür, dass die Fischhaut auch schräg einfallendes Licht gut reflektiert. Egal, aus welchem Winkel ihn ein Räuber anvisieren will – der Hering ist immer gut getarnt."

    Damit hat Roberts nicht nur ein biologisches Rätsel gelöst. Sondern er könnte auch die Ingenieure inspirieren.

    "In der Technik finden Mehrschicht-Spiegel schon heute Verwendung – etwa in LED-Lampen, um deren Licht möglichst gut auszunutzen. Bislang aber sind diese Schichten nicht einfach zu fertigen, denn sie bestehen aus unterschiedlichen Materialien. Der Hering hat nun eine Möglichkeit gefunden, denselben Trick mit einem einzigen Material zu schaffen."

    In der Technik würde man zwar keine Guanin-Kristalle nehmen wie der Hering. Aber man könnte denselben Trick auch mit speziellen Kunststoffen schaffen. Dann hätte man Mehrschicht-Spiegel, die einfacher zu fertigen wären als heute und zudem noch stabiler und hitzebeständiger. Aber darum wird er sich nicht kümmern, meint Nicholas Roberts. Schließlich sei er Biologe, kein Ingenieur.

    "Wir interessieren uns jetzt für andere Tiere, die Licht auf ungewöhnliche Weise reflektieren. Als nächstes wollen wir Tintenfische untersuchen, und spezielle Krebse."