Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Haut rettet des Kaninchens Fell

Biologie. – Die europäische Chemikalien-Richtlinie "Reach" verfolgt eine gute Absicht: Den Schaden an Mensch und Umwelt durch chemische Substanzen so gering wie möglich zu halten. Doch auf dem Weg zu diesem hehren Ziel sind zahlreiche Tierversuche nötig – Kenner sprechen von bis zu 50 Millionen. Daher ist die Suche nach Alternativen intensiv im Gange.

Von Marieke Degen | 26.05.2008
    Schönheits-Operationen können Leben retten: Das Leben von Versuchskaninchen. Denn bei Schönheits-OPs wird in der Regel viel Haut weggeschnitten, Abfall, aus dem im Labor winzige Hautstückchen hergestellt werden können.

    "Das war ursprünglich mal gedacht, um Verbrennungsopfern zu helfen, das hat es bis heute nicht in die Klinik gebracht, aber es gibt eben Firmen, die quadratzentimetergroße Hautstückchen anliefern und dann kann man eben mit diesen Hautstückchen die Wirkung von Chemikalien testen."

    Die menschliche Haut könnte das Kaninchen überflüssig machen. Zumindest beim Hautreiztest, sagt Thomas Hartung, bis vor kurzem Leiter des europäischen Zentrums für Alternativen zum Tierversuch, kurz ECVAM in Italien. Hartung:

    "Und dann ist es uns gelungen, zu zeigen, dass dieses Modell keine Sicherheitslücke lässt, sondern dass wir vermutlich besser sind als das Kaninchen, um menschliche Schädigungen vorherzusagen."

    Alternativen zum Tierversuch sind zurzeit gefragt wie nie. Der Grund ist die neue EU-Chemikalienverordnung Reach. Wenn eine Chemikalie in Zukunft nicht ausreichend getestet worden ist, fliegt sie aus dem Handel. Deshalb müssen Tausende Alt-Chemikalien nachträglich überprüft werden. Doch die umfangreichen Tests werden Millionen von Versuchstieren das Leben kosten. Richard Vogel vom Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung:

    "Wenn wir praktisch, sagen wir mal drei oder vier Stoffe in der Vergangenheit getestet haben, so müssten wir jetzt drei- oder vierhundert testen. Und das kann man sich einfach an fünf Fingern abzählen, dass das nicht funktionieren wird."

    Es gebe zu wenig Labors und zu wenig Personal, um all die zusätzlich nötigen Tierversuche durchzuführen, sagt Vogel.

    "Wenn man das mit dem Maßstab macht, dass man also Tierversuche für jede Substanz machen muss, kommen wir in einen Bereich von 50 Millionen Tieren für Reach, für Altstoffe, wie sie vorgeschlagen wurden zu testen."

    50 Millionen Tiere in einem Zeitraum von fünfzehn Jahren. Das ist auch der Europäischen Union zu viel. Die Suche nach Alternativen ist in "Reach" deshalb gesetzlich vorgeschrieben. Heute schon können Toxikologen zum Beispiel die Zahl der Versuchstiere reduzieren, indem sie die Studien einfach anders aufbauen. Manchmal können die Forscher auch schon ganz auf Tiere verzichten. Sie nutzen stattdessen Computerprogramme oder Zellkulturen wie die Hautstückchen, um vorherzusagen, ob ein Stoff giftig ist. Bei den Zulassungsstellen, beim BfR oder bei ECVAM, werden die Methoden dann wissenschaftlich überprüft. Beide Institutionen erleben zurzeit einen regelrechten Boom. Thomas Hartung:

    "Wir haben in ECVAM im Augenblick 170 Methoden in der Validierung, wir rechnen damit, dass 40 weitere Methoden in den nächsten zwei bis drei Jahren für valide erklärt werden, das muss man vergleichen mit etwa 16 Methoden in den ersten zehn Jahren."

    Wenn Thomas Hartung oder seine Kollegen vom Bundesinstitut für Risikobewertung einen Test akzeptiert haben, müssen sie aber noch eine weitere Instanz überzeugen: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die OECD. Erst wenn die den Test in eine Testguideline umsetzt, darf er auch für gesetzlich vorgeschriebene Studien eingesetzt werden. Der Hauttest hat das geschafft. Aber es handelt sich auch um einen relativ einfachen Versuch. Komplizierter wird es, wenn geprüft werden soll, ob ein Stoff krebserregend ist, oder wie er sich auf Embryonen auswirkt. Das kann nur teilweise im Reagenzglas abgebildet werden. Und längst nicht alle Forscher vertrauen den Alternativen. Richard Vogel:

    "Die wissenschaftliche Gemeinde muss akzeptieren, dass bestimmte einfachere Tests beispielsweise eben einen Organismus modellieren können. Dass das kein Organismus ist, ist klar. Die Maus ist auch kein Mensch."

    Wenn man bei "Reach" die Alternativen einsetzen würde, die es heute schon gibt, dann könnte die Zahl der Versuchstiere deutlich sinken. Von 50 Millionen auf sieben Millionen Tiere, schätzt das Bundesinstitut für Risikobewertung.