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Havanna-Biennale in Kuba
Politische Kunst und staatliche Zensurversuche

Auf der Kunst-Biennale in Havanna gibt es in diesem Jahr vor allem politische Kunst zu sehen. Auf den Versuch der Regierung, die Kunstwerke im Vorfeld zu zensieren, reagierten die Künstler mit einer ironischen Performance.

Von Werner Bloch | 27.04.2019
Der Künstler Duvier del Dago Fernández
Der Künstler Duvier del Dago Fernández (Deutschlandfunk/Bloch)
So klang das, wenn Fidel Castro vor der UNO sprach. Vor fast 60 Jahren drohte er damit, kubanische Kämpfer könnten die Revolution in die ganze Welt tragen. Auch Kubas Gegenwartskunst ist in hohem Maße politisch. Zum Beispiel der Maler Onay Rosquet, 32 Jahre alt. Seine bunte, poppige Landkarte Kubas ist überhäuft mit Schlüsseln aller Art, gelben, roten, blauen Haustür- und Wohnungsschlüssel. Der Künstler stellt die Frage nach der Öffnung Kubas. Aber welche Öffnung?
"Ich habe dieses Werk Stampede genannt, das bedeutet die panische Flucht einer Rinderherde, ein alles überwältigender Ansturm. Die Idee kam mir, als Obama 2016 Kuba besuchte und unserem Land, wie er sagte, die Hand ausstreckte. Aber was passiert, wenn amerikanische Investoren nach Kuba strömen, oder wenn etwa Exil-Kubaner aus Miami unsere Bevölkerung aus ihren Wohnungen verdrängen, indem sie alles aufkaufen?"
Keine beliebige Kunstveranstaltung
Sollten die Amerikaner tatsächlich kommen, militärisch, wie Trump schon angedroht hat, würden sie in Kuba auf massiven Widerstand stoßen. Selbst Dissidenten haben angekündigt, sie würden im Falle einer amerikanischen Invasion bis zum Letzten kämpfen. Resistir – also Widerstand leisten – das ist nicht nur bis heute eine Pathosformel in der Propaganda des Regimes. Auch auf der Biennale von Havanna spürt man, dass dies keine beliebige Kunstveranstaltung ist.
Gleich neben der Kathedrale von Havanna hat die Biennale ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Im Innenhof zeigt die Künstlerin Alexia Miranda riesige weiße Skulpturen, die von der Decke schweben. Sie sind federleicht. Denn was man nicht bemerkt: diese Skulpturen sind aus Mullbinden zusammengebunden. "Tejido colectivo", "Kollektives Gewebe" nennt das die Künstlerin. Geknüft werden diese Gebilde von meist jungen Freiwilligen in einem sozialen Akt. Die Künstlerin Alexia Miranda aus El Salvador:
"Ich bin Performancekünstlerin. Seit 2011 arbeite ich im öffentlichen Raum mit Mullbinden. Diese Verbände sollen heilen, wir brauchen sie, weil es so viele Wunden gibt auf der Welt. Und die Politiker sind ja oft krank, sie schaffen immer neue Wunden. Schauen Sie sich diesen 3 Meter hohen Kronleuchter an, der von der Decke schwebt, seine Form soll an das Haar, die Dreadlocks der Menschen in Afrika und der Karibik erinnern. Indem wir gemeinsam diese Kunst machen, werden wir zu einer Familie."
Kritik am Kapitalismus und der US-amerikanischen Politik
Es ist eine Biennale für ganz Lateinamerika. Zahlreiche Arbeiten sind kapitalismuskritisch und richten sich gegen die Politik und Gesellschaft der USA. Auch der im Westen hochgeschätzte erste Präsident George Washington gerät unter Beschuss. Washington besaß 300 Sklaven, was kaum jemand weiß. Der amerikanische Künstler Ryan Mendoza lässt es nun auf der Biennale richtig krachen. Er hat eine Vielzahl von Washington-Büsten aus Keramik hergestellt. Diese Büsten werden dann von einer schwarzen Bürgerrechtlerin mit einem Baseballschläger nach Herzenslust zertrümmert. Der Film darüber, den seine Ehefrau Fabia Mendoza drehte, fand in Havanna großen Anklang.
"Kunst ist für die Kubaner immer an die Wirklichkeit gebunden"
Kurator Nelson Herrero Ysla:
"Kunst ist für die Kubaner immer an die Wirklichkeit gebunden, an die soziale, politische und wirtschaftliche Realität. Bei uns bestimmt nicht der Kunstmarkt, was für Kunst entsteht. Kubanische Künstler handeln auf Grund der Weltlage, durch die amerikanische Einmischung und den Boykott stehen wir immer unter Druck. Aber wir haben auch sehr viel Humor in der Kunst und sogar in der Kunstkritik. So ernst wir auch sein mögen, am Ende kommt immer ein Scherz, eine Wendung ins Komische oder Absurde, sonst sterben wir einfach vor Langeweile."
Zeichnung einer gefesselten Frau des Künstlers Duvier del Dago Fernandez
Die Republik als gefesselte Frau gezeichnet von Duvier del Dago Fernández (Deutschlandfunk/Bloch)
Die kubanische Republik als Frauenstatue
Im Untergeschoss des Hotels Kempinski, des ersten Luxushotels in Havanna, das vor zwei Jahren eröffnet wurde, denkt der Künstler Duvier del Dago Fernández über die Zukunft nach, ein 43-Jähriger mit Kinn- und Oberlippenbart, schulterlangem Haar und Hipster-Bun. Es geht ihm um eine 22 Meter hohe Frauenstatue, die im Parlament steht, und die die frühere republikanische Verfassung Kubas verkörpert. Diese Frauenstatue hat der Künstler in die Horizontale gelegt, entkleidet und gefesselt; es entsteht so ein merkwürdig ambivalentes Bild.
"Kuba wird immer als eine Frau dargestellt, sie heißt La República und wird als das dargestellt, was wir hier eine Mulattin nennen. Sie steht im Parlament und ist von der französischen Figur der Marianne inspiriert. Als die erste kubanische Verfassung von 1940 in Kraft trat, war sie eine der besten und freiheitlichsten in ganz Lateinamerika.
Und an diese wunderbare alte Verfassung, die ein wenig in Vergessenheit geraten ist, können wir anknüpfen. Fidel Castro hat schon 1959 versprochen, dass diese Verfassung als Vorbild genommen werden sollte, weil sie damals schon ihrer Zeit voraus war."
Staatliche Kunst-Zensur im Fokus
Den Zensoren bereitete dieses Werk Bauchschmerzen. Der neue Paragraf 349 des Strafgesetzbuches versucht, die Kunst stärker an die Kandare zu nehmen. Er sieht vor, dass Künstler ihre Werke vor der Veröffentlichung einem staatlichen Zensor vorlegen müssen. Die Künstler reagierten auf ihre Art, mit einer Persiflage: Bei der Eröffnung der Biennale schlurften Gruppen von Künstlerinnen und Künstlern herum, die sich das Schild "Inspector" um den Hals gehängt hatten.
Warten auf ein Goethe-Institut in Havanna
Deutschland ist auf der Biennale durch den deutsch-syrischen Künstler Manaf Halbouni vertreten, den das Goethe-Institut unterstützt; ein offizielles Kulturabkommen und ein Goethe-Institut in Havanna gibt es bis heute nicht, obwohl Deutschland viel Geduld investiert hat. Gegenwärtig wird alles getan, um die Zustimmung der kubanischen Regierung zur Gründung eines Goethe-Instituts zu gewinnen.
Manaf Halbouni hat in Havanna ein Autowrack vorgefunden und mit Pritsche und Fensterblumen zu einem provisorischen Wohnraum umgestaltet, eine Arbeit, die wohl viel über die gegenwärtige Situation in Kuba aussagen soll. Besucher waren davon allerdings unbeeindruckt, sie meinten, sie könnten an dem Kunstwerk gar nichts so Besonderes finden. So etwas sehe man in Kuba doch schon lange.