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Havel erhob Politik "zu einer fast hohen Kunst"

Vaclav Havel sei ein Meister des Wortes gewesen, der interessante ästhetische Normen in die öffentliche Rede gebracht habe, findet der Sprachwissenschaftler Peter Kosta. Von seiner brillanten Rhetorik hätten Tschechen und Deutsche profitiert.

Peter Kosta im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 18.12.2011
    Burkhard Müller-Ullrich: In einem Interview mit der New York Times hat Havel gesagt, dass seine Erfahrungen als politischer Häftling ein gutes Training für die Macht des Präsidentenamts gewesen seien. "In erster Linie lernte ich, von nichts mehr überrascht zu werden. Zweitens schärften sich bei mir gewisse Instinkte, die ich in dieser Funktion", also als Präsident, "brauche. Und drittens fällt es mir leichter, mit einem Problem unter den vielen, die wir haben, umzugehen – und zwar dem der Staatssicherheit und der dunklen Kräfte in unserem Land." Das war 1990.

    Peter Kosta, Sie sind Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Potsdam. Lassen Sie uns zunächst das literarische Werk Vaclav Havels betrachten. Da gibt es ein hervorstechendes Merkmal, und das ist der beißende Humor, die grelle Komik. War Havel eigentlich ein Spaßvogel?

    Peter Kosta: Ja. Um das genauer zu sagen: Er steht in der Tradition des absurden Theaters. Das heißt, seine Stücke, mit denen er besonders berühmt wurde, das ist "Das Gartenfest" zum Beispiel, das ist ein Stück, das wirklich mit dem absurden Moment spielt, und er hat natürlich diese Absurdität der Gesellschaft auch erkannt.

    Müller-Ullrich: Ja. Weil Sie "Das Gartenfest" erwähnen, wir können es ja mal ein bisschen vertiefen.

    Kosta: Genau.

    Müller-Ullrich: In dem Stück geht es ja um jemanden, der Karriere macht, Karriere als Leiter eines, wie es so schön heißt, Amtes für Eröffnung und Auflösung.

    Kosta: Genau, ja.

    Müller-Ullrich: Richtiger Quatsch eigentlich.

    Kosta: Ja!

    Müller-Ullrich: Aber er macht diese Karriere, indem er sprachartistisch den anderen Leuten immer das Wort im Munde herumdreht.

    Kosta: Ganz genau! Ganz genau! Ja das ist im Grunde genommen ein linguistisches Verfahren. Das kann man im Grunde genommen schon bei den antiken Philosophen, die er durchaus auch kannte, feststellen. Das ist die Verballhornung oder auch die Travestie. Das alles, diese ganzen Traditionen kannte er natürlich als ein sehr gebildeter Dichter und Philosoph besonders gut und er hat sie sehr schön im wortspielerischen Sinne auch angewandt.

    Müller-Ullrich: Wie kommt es denn, dass ein solcher Dramatiker, wir haben ja jetzt in die 60er- und 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückgegriffen, dass er sich so politisiert, dass er zunächst mal Sprecher einer wichtigen Bewegung, nämlich der Charta 77, wird und dafür dann auch viel persönliches Leiden in Kauf nimmt?

    Kosta: Ja ich denke, dass zwei Momente eine ganz wichtige Rolle spielen. Das eine ist: Er kommt ja aus einer sehr bourgeoisen Familie. Er entstammt einer einflussreichen Prager Großbürgerfamilie. Sein Großvater, der ebenfalls Vaclav hieß, der war ja der berühmte Lucerna-Vergnügungskomplex-Begründer, er hat praktisch diese ganzen kulturellen Einrichtungen in der Nähe des Prager Wenzelsplatzes, sein Onkel war praktisch der Begründer der Prager Filmstudios Barrandov. Also er hatte in einer Tradition der großbürgerlichen sozusagen Intelligenz gelebt, und dann wurde er natürlich in diese kommunistische Zeit hineingeboren. Er ist ja geboren am 5. Oktober '36 in Prag und hat da sozusagen dann all das mitgekriegt, was dieses kommunistische Regime da an totalitären Maßnahmen gegenüber vor allem bourgeoisen, also nicht den Mitgliedern der Arbeiterfamilien, ergriffen hat – Enteignung und alles das.

    Müller-Ullrich: Ein ganz wesentlicher Meilenstein war natürlich das Jahr '68.

    Kosta: Ganz genau.

    Müller-Ullrich: Das bei uns im Westen immer mit dem studentischen Aufbruch assoziiert wurde.

    Kosta: Ja.

    Müller-Ullrich: Aber das natürlich in Tschechien oder damals in der Tschechoslowakei eine ganz andere Bedeutung hatte. Da wurde nämlich der Prager Frühling erstickt.

    Kosta: Genau. Also da bin ich jetzt auch schon mit betroffen, weil ich damals 13 Jahre alt war, und ich entstamme auch einer so ähnlichen Familie wie Vaclav Havel, allerdings mit einem jüdischen Element noch, deutsch-jüdisch-tschechisch, und mein Vater ist ja auch einer der doch berühmten Ökonomen unter Ota Šik, Jirí Kosta. Er hat praktisch diese Dubcek-Ära mitgeprägt. Von daher weiß ich auch so ein bisschen mehr über den Prager Frühling als nur aus den Büchern, ich habe es selbst mitgekriegt.

    Müller-Ullrich: Es hatte ja zunächst mal einen großen Braindrain zur Folge. Das heißt, alle, die irgendwie intellektuell waren und konnten, die sind ins Ausland abgewandert.

    Kosta: Ganz genau. Havel nicht!

    Müller-Ullrich: Havel nicht. Warum nicht?

    Kosta: Ja das ist natürlich… Ich denke schon, dass er sicherlich eine Vorstellung hatte, wenn jeder jetzt rausgeht, wer soll denn da überhaupt noch etwas ändern. Eine Sache ist natürlich klar, dass Vaclav Havel durch seine moralische sozusagen Vorbildfunktion… Leben in der Wahrheit, das ist ein ganz wichtiger Satz, der auch eine ganz lange Tradition hat. Er wurde dann in der Zeit der nationalen Wiedergeburt wiederbelebt durch Leute wie Palatzky, aber er geht eigentlich zurück noch auf die Hussitenbewegung, obwohl Havel selbst, glaube ich, kein Evangele war. Er war, glaube ich, katholisch, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, aber er war sozusagen eine der Leitfiguren dieser moralischen Verpflichtung gegenüber der Wahrheit, dass man sich nicht von der Gewalt der Machthaber unterdrücken lassen darf, dass man trotz der wenigen Einflussmöglichkeiten als Dissident trotzdem alles mögliche unternehmen muss, um die Menschen wieder in die Richtung zu führen, die früher auch Tradition der ersten tschechoslowakischen Republik war unter Masaryk.

    Müller-Ullrich: Havel hat ja selbst versucht, ein bisschen an Masaryks Tradition anzuknüpfen.

    Kosta: Ganz genau.

    Müller-Ullrich: Unter anderem, indem er ein Jour fixe einrichten wollte auf dem Radschin, wo sich Intellektuelle treffen, und solche Dinge. Was mich noch interessiert ist: Wie kommt es, dass er keine Rachegefühle hatte? Er hat ja nun wirklich sehr gelitten durch Gefängnisaufenthalte, von einem halb irren Gefängnisleiter wurde ihm sogar das Schreiben verboten. Er hat sich aber trotzdem, kaum dass er im Amt des Präsidenten war, immer für Versöhnung eingesetzt.

    Kosta: Das ist ja nicht nur wichtig für die innerpolitische Auseinandersetzung, die sogenannte Lustration. Er war ja auch einer der Begründer dieser sogenannten Lustration, heißt so viel wie Beleuchtung eigentlich, und schon dieser Name zeigt, dass es ja nicht irgendwie so was war, wie das dann in anderen postkommunistischen Staaten war, mit Macht, sondern eher mit Nachfragen und durchaus auch mit moderaten Mitteln. Ich glaube, dass er einfach Demokrat ist.

    Die Geschichte mit dem Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen müsste in diesem Zusammenhang wirklich erwähnt werden, denn da hat er sich besonders stark eingesetzt. Vaclav Havel war ja einer, der auf den Ausgleich setzte. Es geht um die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, als die Deutschen aus den Sudeten vertrieben wurden, und dabei passierten ja auch viele ganz schlimme Sachen. Ich will jetzt noch auch an das Stichwort Beneš-Dekrete anknüpfen. Aus dieser Zeit stammen auch ganz berühmte Filme, die später verfilmt wurden, zum Beispiel dieses berühmte Stück von Juraj Herz, "Habermanns Mühle".

    Also man sieht, dass sozusagen beide Seiten sich eigentlich schuldig gemacht haben in Bezug auf, wenn man jetzt Gerechtigkeit sozusagen als Stichwort nimmt, und ich glaube, das war ihm ganz wichtig, dass man sieht, dass wir auch als Tschechen eine gewisse Verpflichtung gegenüber den Deutschen haben. Immerhin war ja die damalige Tschechoslowakei unter Masaryk zu einem Drittel von Deutschen besiedelt. Das waren mehr als Slowaken. Die Tschechoslowakei war ja eine Föderation nach dem amerikanischen Vorbild. Aber ich wollte nur sagen, dass wirklich er eigentlich eine Vorbildfunktion in diesen ganzen Diskussionen um die Ungerechtigkeit in der Zeit der Vertreibung der Deutschen aus der damaligen postfaschistischen Tschechoslowakei war, dass er sich da sehr stark eingesetzt hatte…

    Müller-Ullrich: Also haben nicht nur die Tschechen großes Glück mit Vaclav Havel gehabt, sondern auch die Deutschen?

    Kosta: Ja! Das kann man durchaus sagen.

    Müller-Ullrich: Er fühlte sich aber ein bisschen im Stich gelassen, und zwar in der Zeit, als es bei uns noch chic war, durch Annäherung und Freundlichkeit gegenüber dem kommunistischen Regime irgendwie zu zeigen, dass man einen gemeinsamen Weg irgendwie gehen möchte.

    Kosta: Ich möchte an diesen berühmten Besuch von dem damaligen Präsidenten, Staatspräsidenten Richard von Weizsäcker erinnern. Da gibt es eine längere Rede von Vaclav Havel. Es ist einfach brillant, wie er da sozusagen diese Antonymie zwischen dem beschreibt, was Hitler damals gemacht hat, mit der Annexion von Böhmen und Mähren, mit dem Protektorat, und was dann letztendlich uns die Deutschen geschenkt haben oder uns sozusagen ermöglicht haben, weil sie sich eben klar positioniert haben im positiven Sinne. Er hat praktisch Richard von Weizsäcker als eine Lichtfigur bezeichnet und die dunkle Gestalt eben Hitler, und das ist eine wunderbare Rede, die auch diese Meisterschaft, diese Rhetorik von Havel wunderbar unter Beweis stellt.

    Havel ist einfach ein Meister des Wortes, und das ist, glaube ich, eigentlich sein Hauptverdienst, dass er die Politik auch zu einer fast hohen Kunst erhoben hat – durch die rhetorische Kunst, die eigentlich auch schon mal da war unter Cicero und anderen berühmten Rednern. Also er ist eigentlich ein Humanist und er ist ein Mensch, der sozusagen die Gesellschaft wieder dahin bringt, wo sie sozusagen neue Impulse und interessante ästhetische auch Normen in die Redekunst einbringt.

    Müller-Ullrich: Vielen Dank, Herr Kosta, für diese Auskünfte. Das war Professor Peter Kosta, Sprachwissenschaftler an der Universität Potsdam, und so viel zum Gedenken an Vaclav Havel, der heute Morgen in seinem 76. Lebensjahr gestorben ist.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.