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Hayfa Al Mansour
Ein Fahrrad als Freiheitssymbol

Die Geschichte des elfjährigen Mädchens Wadjda, das in Saudi-Arabien lebt und sich sehnlichst ein Fahrrad wünscht, war bereits als Film ein großer Erfolg. Jetzt hat die saudische Regisseurin Hayfa Al Mansour ein Kinderbuch aus ihrem Filmplot gemacht. Entstanden ist eine tiefgründige und zugleich feinsinnig humorvolle Geschichte aus dem modernen Saudi-Arabien für Kinder ab zehn Jahren.

Von Maria Riederer | 16.01.2016
    Zwei Frauen, voll verschleiert mit der traditonellen Abaya, tippen in Riad in Saudi-Arabien auf ihren Handys.
    In "Das Mädchen Wadjda" werden Probleme und Sehnsüchte eines Mädchens in Saudi-Arabien ehrlich und authentisch erzählt (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Das Fahrrad, in das sich Wadjda in Hayfa Al Mansours Geschichte verliebt hat, ist grün. Grün wie die Hoffnung. Mit Bändern an den Außenseiten des Lenkers, die im Wind fliegen würden, wenn sie damit fahren dürfte. Aber daran ist nicht zu denken. Mit einem Fahrrad durch die Straßen von Riad zu rasen, zusammen mit ihrem Freund Abdullah, und mit den flatternden Bändern die Passanten zu verblüffen – davon kann Wadjda nur träumen. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
    "Der Verkäufer kam aus dem Laden. Er machte große Augen, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass Wadjda immer noch da stand. Dann wies er mit einer Kopfbewegung auf das Schild: 'Es kostet achthundert Ryal. Ich glaube, das ist zu teuer für dich.' Wadjda reckte das Kinn vor – bei ihr gab es kein Lächeln, nur Entschlossenheit. Sie sah das Fahrrad an: Teuer oder nicht – das grüne Fahrrad würde ihr gehören."
    "Hast du schon mal ein Mädchen Radfahren sehen?"
    Der Preis schreckt das Mädchen nicht. Sie ist geschäftstüchtig, verkauft auf dem Schulhof heimlich Kassetten und selbstgemachten Schmuck. Das Problem liegt woanders. Wadjdas Mutter bringt es auf den Punkt:
    "Diesen Fahrradkauf kannst du dir aus dem Kopf schlagen! Was für ein aberwitziger Plan! Hast du schon mal ein Mädchen Radfahren sehen?"
    Die Idee, an einem Fahrrad die Hoffnung eines selbstbewussten saudischen Mädchens festzumachen, das als Heranwachsende immer stärker die Auswirkungen einer religiös-patriarchalen Gesellschaft zu spüren bekommt, ist genial. Denn in ihm bündelt sich Wadjdas Wunsch nach Eigenständigkeit, nach Freiheit, nach Anerkennung ihrer Person als Mädchen und werdende Frau. Martina Imkeller hat das Buch für cbt lektoriert und erzählt von der Entscheidung des Verlages für einen Titel, der als Film - für Erwachsene - schon bekannt war.
    Vom Dreh- zum Kinderbuch
    "Zu dem Zeitpunkt, als wir es eingekauft haben, gab es das Buch noch nicht. In unserem Fall war es eben so, dass dieser Film schon erschienen war, und der wurde dann in den USA gesehen von einer Agentin, und die hat dann Hayfa Al Mansour kontaktiert und sie dazu überredet, ein Buch draus zu machen."
    Der Kauf einer Geschichte, die es als Drehbuch für einen Erwachsenenfilm schon gab, die aber zum Kinderbuch werden sollte - war ein Risiko, das einzugehen sich gelohnt hat, findet Martina Imkeller.
    "Das hat mich sehr bewegt, die Geschichte, muss ich sagen. Das ist ja eine Geschichte, die sehr ernste Themen behandelt, aber mich hat sehr überzeugt, wie leicht die umgesetzt wurden und wie unbeschwert."
    Leichtigkeit schildert Schlagfertigkeit
    Die Leichtigkeit, mit der die Autorin nicht nur im Film, sondern gerade auch im Buch Wadjdas Schlagfertigkeit, ihren Mut und ihre tiefen Gedanken schildert, täuscht nicht über die Probleme hinweg, die das Mädchen und ihre Mutter täglich zu bewältigen haben. Der Vater ist auf der Suche nach einer Zweitfrau, weil die erste ihm keinen Sohn schenken konnte, und Wadjda muss erkennen, dass ein Mädchen in ihrer Heimat nicht den gleichen Wert besitzt.
    "Dieser Familienstammbaum, der bei ihnen zuhause in der Wohnung hängt, wo eben nur die männlichen Familienmitglieder aufgeführt werden, und bei ihrem Vater, da ist diese Verzweigung des Astes halt so leer, und eines Tages geht sie ja dann hin und klebt einfach selber so ein Post-it hin mit ihrem Namen."
    Der Vater entfernt den Zettel wieder und demonstriert damit - bei aller Liebe zu seiner Tochter - dass auch er Zwängen unterlegen ist. Bei alledem verliert Wadjda ihr Ziel, das grüne Fahrrad, nicht aus den Augen. Der Zufall kommt ihr zu Hilfe - die Schule veranstaltet einen Koranrezitationswettbewerb mit einem Preisgeld von 1000 Ryal.
    Auf den Koran einlassen
    "Wadjda zog die Augenbrauen hoch. Das war ein enormes Preisgeld. Es würde für ihr Fahrrad reichen und dann wäre sogar noch etwas übrig. Schnell blätterte sie den Koran auf ihrem Tisch durch und versuchte sich auszurechnen, wie viele Seiten sie lernen müsste."
    Das Ziel, den Koranwettbewerb zu gewinnen, kann Wadjda nur mit Kalkül erreichen. Sie muss dafür Freundschaften aufs Spiel setzen und mit der Gunst der verhassten Rektorin jonglieren - ohne sich selbst dabei zu verlieren. Suren und islamische Regelungen haben Wadjda bis dahin eher behindert als begeistert. Jetzt muss sie sich auf die Texte einlassen und ihre persönliche Melodie dazu finden.
    "Wadjda rezitierte so schnell sie konnte - ihr blieb kaum Zeit zum Luftholen, so schnell kamen die Worte ihr aus dem Mund: 'Und wenn ihr fürchtet, ihnen nicht gerecht werden zu können, heiratet nur eine oder diejenigen, die ihr von Rechts wegen besitzt. Dies schützt euch vor Ungerechtigkeit."
    Auf Höhe des kindlichen Blicks
    Al Mansour führt die koran-unkundigen Leser so langsam an die sperrigen Texte heran wie Wadjda selbst. Während die Rezitation unter dem strengen Blick der Lehrerin nur mühselig vorangeht, eröffnet Wadjdas Mutter ihr den Blick auf die poetische Schönheit der Koranrezitation.
    "Versuch es mal so: Mit ihrer schönen Stimme begann sie den Text in einem Singsang vorzutragen - wie die Strophen eines Liedes: 'Zu Seinen Zeichen gehört auch, dass Er euch Gattinnen aus euch selbst schuf, damit ihr bei ihnen ruht. Und er hat zwischen Euch Liebe und Barmherzigkeit gesetzt. Darin sind fürwahr Zeichen für nachdenkliche Leute."
    Obwohl in dem Buch von der Vielehe des Vaters und den beruflichen und seelischen Konflikten der Mutter die Rede ist, bleibt die Autorin immer auf der Höhe des kindlichen Blicks, der möglicherweise manches nicht versteht, aber dadurch nicht abgeschreckt, sondern neugierig gemacht wird.
    Eine feinsinnig humorvolle Geschichte
    "Wir glauben, dass das total spannend ist, mal zu sehen, wie ein Mädchen an einem ganz anderen Ende der Welt so lebt, was die für einen ganz anderen Alltag hat. Wir suchen da schon gezielt nach solchen Geschichten, von denen wir glauben, dass sie unsere Leserinnen und Leser stark machen."
    Wer seinen Kindern eine ehrliche und tiefgründige und gleichzeitig feinsinnig humorvolle Geschichte aus dem modernen Saudi-Arabien bieten möchte, dem sei "Das Mädchen Wadjda" dringend empfohlen.
    Hayfa Al Mansour: "Das Mädchen Wadjda"
    Cbt, 302 Seiten, 12,99 Euro, ab 10 Jahre