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Heavy Metal für den Dialog

Die israelische Band Orphaned Land tritt für ein friedliches Miteinander von Juden, Muslimen und Christen auf. Sie hat Fans in ganz Nahost, auch in den islamischen Ländern, in denen Heavy-Metal-Musik verboten ist.

Von Luise Sammann | 09.11.2012
    Thoratexte gemischt mit Koransuren und Kirchenglocken: Die Religion dient der Band als Inspirationsquelle. Weil in den meisten islamischen Ländern Heavy-Metal-Musik verboten ist, singt die Band regelmäßig im liberalen Istanbul. Viele Anhänger reisen ihr dorthin nach.

    "Wir sind für ein Wunder verantwortlich! Wenn Ihnen vor 21 Jahren jemand gesagt hätte, dass eines Tages Tausende Muslime einer Gruppe Israelis zujubeln würden, hätten Sie ihn zum Psychiater geschickt und gesagt, das ist eine totale Utopie."

    "Aber natürlich fühle ich mich im Nahostkonflikt auch manchmal wie Don Quijote, der gegen Windmühlen kämpft. Das ist die frustrierende Seite. Wir sind keine politischen Führer, wir können nur immer wieder aufzeigen, dass es einen anderen Weg gibt. Israelis, Libanesen, Palästinenser, Türken - ihr könnt etwas daraus lernen und danach leben."

    Seit 21 Jahren stehen Kobi Farhi aus Tel Aviv und seine Bandkollegen mit Nachrichten wie dieser auf der Bühne. Denn auch wenn die Abendnachrichten oft ein ganz anderes Bild vermitteln: Die Idee von einem Miteinander von Juden, Muslimen und Christen hat nach wie vor viele Anhänger im Nahen Osten. Dass die sich ausgerechnet in der Musik der Band Orphaned Land wiederfinden, überrascht Sänger Kobi Farhi dabei kaum.

    "Wir haben von Anfang an Motive aus den drei monotheistischen Religionen verwendet. Ich habe nie Lieder über meine Freundin oder mein Privatleben geschrieben. Es ging immer um die Situation im Nahen Osten - und deswegen kann jeder Einzelne in dieser Region sich im Herzen mit unseren Themen und unserer Musik verbunden fühlen."

    Kobi Farhi tritt bei seinen Konzerten im Jesuskostüm auf oder mixt Thoratexte und Koransuren mit Kirchenglocken und E-Gitarre. Die Religion, die in seiner Heimat Israel so allgegenwärtig ist, dient dem 36-Jährigen als ständige Inspirationsquelle.

    "Genauso, wie wir alte nahöstliche Instrumente einspielen, so nutzen wir auch Motive aus der Religion. Auf diese Weise erzeugen wir mit unserer Musik ein Klangbild Israels und des Nahen Ostens. Am besten lässt sich unsere Musik anhand der Stadt Jerusalem beschreiben, wo man gleichzeitig Synagogen, Moscheen und Kirchen sieht. Nichts auf der Welt ist mit Jerusalem vergleichbar, wo ständig diese Spannung in der Luft liegt und die ganze Atmosphäre aufgeladen und irgendwie heilig scheint. So ist unsere Musik."

    Immer wieder haben Künstler aus Nahost diese Spannung in ihren Werken aufgenommen. Keiner aber hat sie wie Kobi Farhi ausgerechnet mit Heavy Metal verbunden.

    Die Musiker von Orphaned Land laufen mit langen Haaren und Totenkopf-Tattoos herum, sie brüllen ins Mikrofon, bis die Ohren schmerzen - und nehmen dabei in Kauf, dass viele sie schlicht für Provokateure halten. Doch Kobi Farhi schüttelt den Kopf. In dem, was die Band tue, sagt er, stecke eine Nachricht.

    "Unser Name zum Beispiel, Orphaned Land, ist ein Wortspiel mit unserer Heimat, dem Heiligen Land. Wenn es tatsächlich vor Tausenden von Jahren versprochen wurde und damit heilig ist - warum wird dann wieder und wieder Blut darauf vergossen? Wie heilig kann es da noch sein? Wenn Sie eine Bibel nehmen und in die Toilette werfen - wie viel Heiligtum bleibt dann noch?"

    Vielleicht sind es Sätze wie diese, die Kobi Farhi bei seinen Fans weltweit beliebt machen - nicht aber bei religiösen und politischen Führern. Orphaned Land wird geliebt und gefürchtet. In den meisten islamischen Ländern herrscht ein generelles Heavy-Metal-Verbot, die Musik gilt als Satanswerk. Auftritte in Syrien, Iran, Ägypten oder Jordanien sind damit für die Band tabu. Wenn die dortigen Fans ihre Stars aus Israel live sehen wollen, dann reisen sie dafür ins liberale Istanbul - Kobi Farhis selbst gewählte zweite Heimat.

    "Araber, die einer israelischen Band hinterher reisen, Muslime, die Juden bejubeln. Ich meine, wir reden hier nicht über Bayern-München-Fans, die plötzlich Dortmund applaudieren. Das hier ist nicht Fußball, sondern Blutfeindschaft. Einige gehen sogar für uns ins Gefängnis. In Ägypten haben sie einen Fan sechs Monate eingesperrt, weil die Polizei unsere CD bei ihm gefunden hat und da Korantexte drauf waren. Sie warfen ihm Blasphemie vor. Dabei haben wir den Koran nie in anklagender Weise verwendet."

    "Stellen Sie sich also vor, sie sehen all diese Leute bei unseren Konzerten mit ihren Flaggen - Iran, Libanon, Ägypten, Tunesien, Bahrain. Und dann kommen wir auf die Bühne und rufen: Wir sind 'Orphaned' Land aus Israel - wie geht's euch, Leute?"