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Hebeldiskussion verdrängt eigenliche Probleme

Er habe von Anfang an im Haushaltsausschuss gesagt, dass 440 Milliarden für den Rettungsfonds nicht ausreichen werden, sagt der Bremer Finanzwissenschaftler Rudolf Hickel. Deshalb sei es nicht verwunderlich, dass man zum Hebelmechanismus greifen müsse. Völlig offen sei aber, ob der Mechanismus Wirkung entfalten werde.

Rudolf Hickel im Gespräch mit Dirk Müller | 20.10.2011
    Dirk Müller: Die Ereignisse überschlagen sich in dieser Woche, die Euro-Ereignisse. Erst wird Nicolas Sarkozy wieder einmal Vater, doch für die Familie ist nicht viel Zeit. Der französische Staatschef reist kurzerhand nach Frankfurt, um sich dort mit Angela Merkel zu treffen: Gespräche über die Euro-Krise, über die Hebelwirkung für den Rettungsschirm, über das Rettungspaket für Griechenland. Heute Nacht bekommen die Bundestagsfraktionen Richtlinien zugeschickt, die sie in Windeseile studieren müssen, um zu wissen, was der Rettungsschirm alles können soll. Dabei ist der Rettungsschirm längst beschlossene Sache.

    Die Berliner Perspektive auf das Euro-Geschehen, das haben wir eben gehört. Aber wie steht Brüssel zum Rettungsschirm, zur Hebelwirkung, zur Beteiligung der Banken?
    Mitgehört am Telefon hat nun der Bremer Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Rudolf Hickel. Guten Tag.

    Rudolf Hickel: Schönen guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Hickel, verstehen Sie die Euro-Welt noch?

    Hickel: Ich verstehe die ganz gut. Ich verstehe sie deshalb vor allem, weil ich im Haushaltsausschuss bei der Anhörung von Anfang an gesagt habe, der Garantierahmen von 440 Milliarden Euro wird nicht ausreichen, der ist schon verbraucht für 200 Milliarden, dann kommen eventuell die Risikokandidaten Spanien und Portugal dazu, das heißt, das Geld reicht nicht aus. Und nun ist man in dem Dilemma, dass man auf der einen Seite gesagt hat, es darf kein weiterer Cent mehr genehmigt werden, und jetzt wird natürlich versucht, mit dem Instrumentarium der Hebel, des Hebelns wird versucht, die Summe zu vergrößern. Ich habe dafür großes Verständnis. Ich hätte eigentlich von Anfang an mir gewünscht, dass man den Deckel einfach offen lässt, um den Spekulanten nicht das Signal zu geben, immer wieder zu testen, wer passt noch rein oder nicht.

    Bei der Hebeldiskussion – das ist ja nun in einigen Beiträgen zurecht gesagt worden -, vor allem bei dem Versicherungsmodell muss man ein Risiko sehen, das ist das größte Risiko: Wer garantiert eigentlich oder wer geht ernsthaft davon aus, dass wir Investoren finden, die beispielsweise eine griechische Staatsanleihe kaufen, sie voll kaufen und 20 Prozent des Risikos übernimmt der Rettungsfonds, und es könnte sein, dass die Investoren sagen, das ist uns zu unattraktiv.

    Müller: Also Sie sind kein Hebelfan?

    Hickel: Ich bin kein Hebelfan. Aber ich will es mal so sagen: In dem politischen Dilemma, in dem man sich befindet, wird es wohl keinen Ausweg geben. Weil natürlich die Alternative, die jetzt diskutiert wird in Frankreich, die sie jetzt ausführlich noch mal dargestellt haben, nämlich im Grunde genommen dem Rettungsfonds eine Bankenlizenz zu verpassen und damit eine Finanzierung über die Notenbank vorzunehmen, das halte ich für eine absolut nicht haltbare Vorgehensweise. Das würde übrigens auch bei der EZB zu einer Vertrauenskrise führen, und wir sind ja gerade in einem, wenn man so will, Emanzipationsprozess. Jean-Claude Trichet ist zurecht zwar gescholten worden, aber es gab keine Alternative. Helmut Schmidt hat das gestern Abend noch mal betont. Sie mussten die Stabilisierungspolitik machen, die gar nicht in ihren Statuten steht, um die Finanzmärkte zu beruhigen.

    Müller: Also die Staatsanleihen kaufen?

    Hickel: Die Staatsanleihen kaufen. Und jetzt haben wir ja gerade den Rettungsfonds gegründet, damit der das Geschäft übernimmt, damit die Geldpolitik wieder sozusagen abgeschirmt wird gegenüber solchen Krisenfinanzierungen. Deshalb ist die Vergabe einer Lizenz ganz falsch.

    Aber was mich am meisten irritiert ist, das ist so typisch: Die Komplexitätsreduktion, die wir jetzt heute, dieser Tage, diese Stunden erleben. Alle diskutieren jetzt nur noch über die Frage, gibt es die Hebelwirkung, wie kann man den Fonds besser ausschöpfen, den Rettungsfonds. Aber die entscheidende Frage ist, wie kommt man eigentlich vom Schuldenberg herunter. Die Diskussion natürlich auch über die Teilentschuldung beziehungsweise über den Haircut, über den obligatorischen Haircut, über die zwangsweise Rekapitalisierung der Banken, da wird offensichtlich schon nicht mehr drüber geredet. Und deshalb ist es im Grunde genommen ein Vertagen des Problems, das jetzt diskutiert wird im Vorfeld des Brüsseler Gipfels.

    Müller: Wir haben das, Professor Hickel, in den vergangenen Wochen, vor allen Dingen dann in den zurückliegenden zwei Wochen so verstanden, als sei der Schuldenschnitt in dem Sinne unausweichlich, als würde man den so lapidar quasi mitnehmen beziehungsweise in Kauf nehmen.

    Hickel: Ja, in der Tat, das ist natürlich die Frage. Die entscheidende Frage ist ja, wenn wir uns Griechenland anschauen: Wir haben 360 Milliarden Euro Schulden, das sind 160 Prozent des dortigen Bruttoinlandsprodukts, und wir wissen, dass das Bruttoinlandsprodukt eher noch sinkt, weil Griechenland durch die Sparprogramme auch in einer Rezession ist. Und dann stellt man sich die Frage, wie kommt eigentlich nachhaltig Griechenland sozusagen von der Schuldenlast runter. Und ich sage das nicht mit Euphorie, sondern ich sage das sehr pragmatisch, dass man den Schuldenschnitt braucht. Aber wir brauchen bei dem Schuldenschnitt eine klare Lösung. Es werden natürlich Banken dadurch betroffen sein, vor allem die französischen Banken, aber auch deutsche Banken, auch Versicherungen, und dafür muss es dann eine Zwangsrekapitalisierung geben. Das heißt also, es muss gesichert werden, dass die Mindesteigenkapitalstandards gehalten werden.

    Und jetzt ist aber etwas ganz Entscheidendes. Da können wir die Idee aus den USA übernehmen, die 2008 in der Finanzmarktkrise angewendet worden ist, nämlich zu sagen, in dem Ausmaß, in dem der Staat Finanzen zur Verfügung stellt, muss er auch beteiligt werden. Das heißt also, wenn die Banken dann wieder einigermaßen reüssieren, also Erfolg haben, dass dann der Steuerzahler im Grunde genommen per Dividende als Aktionär davon profitiert.

    Müller: Gehen wir noch einmal auf diese Hebelsituation, die Hebeloption ein. Da sind zwei Fragezeichen, wenn wir das richtig verstanden haben. Sie haben einen Punkt eben schon erwähnt. Es ist eben die Frage, gehen die Investoren dort rein und sagen, dieses Risiko ist überschaubar, wir können uns das leisten, dort zu investieren. Der zweite Punkt ist ja tatsächlich auch dieser Risikoausfall dann gegebenenfalls für die beteiligten Staaten am Rettungsschirm. Sind das zwei Punkte, die die ganze Sache zu einem ganz, ganz großen Vabanque-Spiel machen?

    Hickel: Also ich finde eines ganz richtig, das hat der Grünen-Abgeordnete Schick zurecht auch gesagt. Ich finde eines ganz wichtig. Jetzt wird ja diskutiert dieses 80- oder 70-Seiten-Papier zum Regelwerk, wie soll künftig der Fonds gestaltet werden, und da muss klipp und klar in der Öffentlichkeit kommuniziert werden, dass damit keine Risiken konstant gehalten werden, nämlich die bisherigen Risiken liegen ja bei 440 Milliarden für den Gesamtfonds. Das ist die effektive Garantiesumme, die zur Verfügung steht. Wenn man jetzt hebelt, wenn man also mit Versicherungslösung, beispielsweise indem man 20 Prozent sozusagen des Risikos für die Investoren, die Staatsanleihen kaufen, wenn man die dann übernimmt durch den Rettungsfonds als Versicherungsprämie, wenn man so will, dann hat man natürlich insgesamt in dem System höhere Risiken.

    Aber es ist auch eine gewisse Dilemmasituation. Nachdem man sich nun festgelegt hat, auch im Bundestag so energisch festgelegt hat, nämlich keinen zusätzlichen Cent mehr zur Verfügung zu stellen für den Garantiefonds, ohne genau zu fragen, ob das Geld richtig ausreicht, ist man jetzt in einem Dilemma und wenn man so ein Hebelmodell macht, dann muss man sehr genau die Risiken darlegen und die muss die Öffentlichkeit dann auch insgesamt wissen. Und dann braucht man eben noch eine Abschätzung: Lohnt sich das zusätzliche Risiko, gemessen daran, dass das Euro-Projekt gerettet wird.

    Müller: Aber jetzt argumentieren Sie, Herr Hickel, so ganz locker, warum hat der Bundestag im Grunde diese Summe, diese Garantiesumme, oder die Höchstsumme nicht erhöht. Wir reden ja von 211 Milliarden, dafür muss man ja auch gegebenenfalls einstehen. Reicht das nicht?

    Hickel: Nein, das reicht nicht. Das war klar, ich habe das auch in der Anhörung des Haushaltsausschusses gesagt, einige andere Kollegen aus der Wissenschaft haben das ähnlich formuliert. Wir brauchen doch nur mal aufzurechnen. Wie viel von dem Fonds, von den 440 Milliarden, sind ungefähr 220 Milliarden bereits verbraucht. Sie sind als Garantiezusagen für Irland, beispielsweise auch für Griechenland. Und nun wissen wir ganz genau – und darum geht es ja -, die Spekulanten nutzen jetzt sozusagen den beschränkten Fonds, um die Frage zu stellen, na passt denn jetzt eigentlich, wenn etwas passiert, wenn es zu einer Krise kommt, passt Italien noch darunter, passt Spanien nicht darunter. Wenn man das hochrechnet, dann ist der Fonds, dann liegt man sehr schnell bei Mitteln, die irgendwo 800 Milliarden Garantie ausmachen würden. Das ist jetzt das Dilemma, in dem man sich befindet. Der politische Kompromiss zu sagen, wir erhöhen auf 211 Milliarden, aber dafür gibt es keine weitere Erhöhung, fällt uns jetzt gleichsam auf die Füße, und aus diesem Dilemma heraus muss jetzt ein Weg gezeigt werden.

    Müller: Ist das Parlament aus Ihrer Sicht überhaupt noch dabei?

    Hickel: Das Parlament ist nicht richtig dabei, und ich kann nur sagen, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September werden nicht eingehalten, wobei ich da als Ökonom sehr vorsichtig bin. Das hat Regling, der Chef des Rettungsfonds, zurecht gesagt bei der Anhörung. Man muss natürlich sehen, dass man sehr schnell reagieren muss, beispielsweise mit Aufkaufmaßnahmen von Anleihen, um die Märkte zu stabilisieren. Deshalb ist meine Antwort, der EFSF braucht parlamentarisch abgesicherte klare Regeln, aber innerhalb der Regeln müssen ihm Spielräume zugestanden werden. Sonst ist das im Grunde genommen von Anfang an eine sehr ineffiziente Veranstaltung.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Bremer Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Rudolf Hickel. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hickel: Schönen Dank, Herr Müller.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.