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Heidelberger Stückemarkt
Abgründe ohne Apokalypse

Ein promisker Architekt, eine tote Krabbenkönigin und ein paar Touristen kommen in einem Restaurant auf einer Nordseeinsel zusammen. Klingt wie das Setting eines durchschnittlichen Fernsehkrimis, ist aber die Rahmenhandlung von "Drift" - dem Theaterstück von Ulrike Syha. Verworren und nicht lustig.

Von Christian Gampert | 27.04.2019
Die Darsteller Olaf Weißenberg, Daniel Noël Fleischmann, Nicole Averkamp, Christina Rubruck und Elisabeth Auer (v.l.n.r.) in der Aufführung von Ulrike Syhas "Drift" in der Regie von Gustav Rueb beim Heidelberger Stückemarkt
Ulrike Syhas "Drift" in der Regie von Gustav Rueb beim Heidelberger Stückemarkt (Sebastian Bühler)
Schon das Stück mit dem schönen Titel "Autofahren in Deutschland", mit dem Ulrike Syha 2002 zum ersten Mal am Autorenwettbewerb in Heidelberg teilgenommen hat, war handlungs-technisch leicht überinstrumentiert. Seitdem ist es nicht unbedingt besser, eher noch komplizierter geworden.
Ausgehend von einem Krimi-Plot – Mord oder Selbstmord – schreibt Ulrike Syha immerhin richtige Figuren und nicht nur Textflächen, oder sie versucht es wenigstens. Allerdings ist der Aufbau von "Drift" so vielschichtig oder anders gesagt: ein rechtes Durcheinander, dass weite Teile des Stücks ins Video ausgelagert werden müssen.
Textmassen ohne Aussage
In einem kleinen Nordsee-Dorf frisst das Meer an den Klippen herum. Also Achtung: Häuser drohen abzustürzen, irgendetwas ganz Schlimmes ist im Anzug, die Naturgewalten oder auch fremde Menschen, von denen sich manche hier ein Ferienhaus bauen möchten. Der Bürgermeister, mit nervender Jovialität gespielt von Olaf Weißenberg, verscherbelt über ein Maklerbüro aber vor allem Grundstücke, die in der Nähe der ortseigenen Kläranlage liegen. Das stinkt, und niemand ist glücklich.
Auch Ulrike Syhas Text hätte dringend einer Klär-Anlage bedurft; leider ist das beim letztjährigen Stückemarkt niemandem aufgefallen. Und so dürfen wir das Werk nun in voller Schönheit und mit allen Geschwätzigkeiten zur Kenntnis nehmen, die ein Dorfleben so mit sich bringt.
Ulrike Syha wollte ein Stück über die Provinz schreiben – aber sie hat keine Sprache dafür. Die Leute in ihrem Nordseekaff reden so, wie eine ICE- Reisende, stipendiengestählte Theaterautorin sich das halt vorstellt. Man müsste den Menschen mal zuhören. Zum anderen: diese Figuren reden viel zu viel.
Wer je eine Dorfkneipe besucht hat, der weiß, dass ein bestimmendes Element dort das Schweigen ist. Wenn nicht gerade der Stammtisch die Lufthoheit hat – aber auch da herrscht dann eine ziemlich laute Sprachlosigkeit.
Volksfeind aus der Vorabendserie
Man möchte ja nicht gleich Horváthsche Beobachtungsgabe und dialektalen Künstlichkeits-Jargon erwarten. Aber ein bißchen Mühe sollte man sich mit der Sprache schon machen. Syha aber lässt laufen, ganze Wassermassen von Text. Liegt wohl an der Nordsee. Im Dorfkrug sitzen saturierte ältere Damen und reden Reaktionäres, manchmal auch über Lyrik – das sind so die Nebenwirkungen der Quote: keine alten Säcke mehr am Stammtisch, sondern dicke Damen.
Eine "Frau, die eigentlich nicht hier sein sollte" , so heißt die wirklich, hübscher Einfall, – diese Frau erkundet als heimkehrende verlorene Tochter die örtlichen Verhältnisse, angetan mit einem Ostfriesen-Nerz, ihr Gesicht sieht man nie. Ein gewisser Friedrich, von dem alle ständig reden, Architekt aus der Großstadt, in der Provinz gestrandet, hat nacheinander drei Frauen des Dorfes geheiratet, mit der zweiten einen Sohn gezeugt, die erste, eine Hotel-Erbin, wurde gerade ermordet oder hatte einen Unfall, jedenfalls ist sie tot, die dritte ist die berichterstattende Friesennerz-Trägerin. Undsoweiter.
Friedrich ist ein Mahner in der Wüste oder vielmehr am Wasser, er sieht den Meeresspiegel steigen und die Klippen ebenso abdriften wie die öffentliche Meinung, das Weltenende naht, aber keiner will es hören - ein "Volksfeind" für die Vorabendserie, der endlos monologisiert.
Langweiliges Stammtischtrio
Regisseur Gustav Rueb nimmt die große Palette zur Hand und trägt richtig dick auf, vom effeminierten Kellner bis zum jugendlichen Sohn und zum Stammtisch-Trio aus alten Schachteln; aber richtig lustig ist es nicht. Eher verworren und langweilig.
Sechs Jungautoren bewerben sich in diesem Jahr um den Heidelberger Autorenpreis. Und, ja, vier von ihnen sind weiblichen Geschlechts. Hoffen wir, dass sie etwas zu sagen haben. Ulrike Syha ist mit diesem Stück jedenfalls ziemlich vom Thema abgedriftet. In der Aufführung laufen, schreiten, schleichen übrigens, in regelmäßigen Abständen, bunt angezogene Jogger durchs Bild, Großstädter, die sich offenbar ins Theater verirrt haben. Will sagen: es ist zum Davonlaufen. Oder Davon-Joggen.