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Heike Fink: "Mein Jahr mit dem Tod"
Vom Versuch, mit dem Tod Bekanntschaft zu machen

Heike Finks Buch "Mein Jahr mit dem Tod" ist der sehr persönliche Versuch, dem Tod näher zu kommen. Am Ende ihrer Erkundung hat die Autorin sich selbst besser kennengelernt. Statt Angst empfände sie nun Wut. Für sie selbst sei das eine Befreiung.

Von Peter Henning | 24.07.2018
    Buchcover: Heike Fink: "Mein Jahr mit dem Tod"
    Gedenken auf dem Friedhof (Buchcover: Gütersloher Verlagshaus, Foto: picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    Der deutsche Philosoph Ernst Bloch nannte den Tod die "größte Gegen-Utopie", und der österreichische Logiker und Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein konstatierte 1921 im Rahmen seiner berühmten logisch-philosophischen Abhandlung "Tractatus Logico Philosophicus" mit Blick auf das Verlöschen eines Menschenlebens: "Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht. Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt. Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld grenzenlos ist."
    Und auch der 341 v. Christus geborene Grieche Epikur fand dereinst Trost in der Vorstellung, "dass der Tod für uns ein Nichts ist. Beruht doch alles Gute und alles Üble nur auf Empfindung, der Tod aber ist Aufhebung der Empfindung. Darum macht die Erkenntnis, dass der Tod ein Nichts ist, uns das vergängliche Leben erst köstlich. Dieses Wissen hebt natürlich die zeitliche Grenze unseres Daseins nicht auf, aber es nimmt uns das Verlangen, unsterblich zu sein, denn wer eingesehen hat, dass am Nichtleben gar nichts Schreckliches ist, den kann auch am Leben nichts schrecken. Sagt aber einer, er fürchte den Tod ja nicht deshalb, weil er Leid bringt, wenn er da ist, sondern weil sein Bevorstehen schon schmerzlich sei, der ist ein Tor; denn es ist doch Unsinn, dass etwas, dessen Vorhandensein uns nicht beunruhigen kann, uns dennoch Leid bereiten soll, weil und solange es nur erwartet wird!"
    Der Tod ist kein Ereignis des Lebens
    Eine Sicht der Dinge, der sich die Wuppertaler Autorin Heike Fink, Verfasserin des Buches "Mein Jahr mit dem Tod. Wie ich den großen unbekannten besser kennenlernte", nur bedingt anschließen mag. Denn während Epikur im Tod den Anlass zur Feier des Lebens und des Augenblicks sah, sieht die 1968 in Schwaben geborene Autorin im Tod unverändert die große alles, überstrahlende Bedrohung, sodass sie auch jetzt noch, nachdem sie sich schreibend mit ihm und dem, wie er auf andere wirkt, auseinander gesetzt hat, im persönlichen Gespräch bekennt:
    "Ja, ich wollte etwas entdecken, und etwas lernen, wollte Erkenntnisse gewinnen. Ich wollte mehr wissen, und von anderen Leuten etwas wissen, die näher am Tod sind als ich bisher dran war. Ich denke mal in drei Jahren wird ein anderes Gefühl vorherrschen, vielleicht Gleichgültigkeit, dass ich den Tod gleichgültiger gegenüber bin. Und dann kommt auch vielleicht irgendwann die Annahme. oder das Verständnis. Verdrängen muss man einüben, und dann wird man aber oft hinterrücks überfallen vom Tod."
    Im Gespräch mit "Todeshandwerkern"
    Heike Fink führten in ihrem Bekanntenkreis hautnah erlebte Todesfälle zu einem tieferen Nachdenken über den Tod. Sie suchte daraufhin Menschen auf, die sie in ihrem Buch "Todeshandwerker" nennt - und für die der Tod zum Alltag gehört. Sie wollte wissen, was genau hinter dem Tod steckt, suchte nach Erklärungen bei ihren Interviewpartnern für das, was sie sich selbst nur schwer erklären - und noch schwerer ertragen kann: Den Tod als am Ende alles auslöschenden großen Zerstörer. So fahndete sie nach Antworten auf die sie umtreibenden Fragen unter anderem bei der Leiterin eines Hospizes, suchte einen Friedhofsgärtner und einen Physiker auf, um sich deren Sicht auf das Sterben und den Tod anzuhören. Wirklich umstimmen in ihrer Sicht auf beides aber konnten auch die von ihr sogenannten "Todeshandwerker" sie nicht. Sie sagt:
    "Also ich hab festgestellt, mit gibt die Beschäftigung mit dem Tod nichts. Und die Menschen, die ich getroffen habe, müssen sich entweder notgedrungen damit auseinandersetzen, weil sie sterben, wie beispielsweise meine alte Gesangslehrerin, die wirklich ein sterbender Mensch war, oder die sich dafür entschieden haben, ja, ich möchte mit Leuten zu tun haben, die zwar sterben, aber ich bin am Leben! Also fühlen sie sich vielleicht im Angesicht des Todes besonders lebendig.
    Nachdenken über das Leben
    Offen und mit dem Blick der Fragenden hat Heike Fink sich im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit dem "großen Unbekannten", wie sie den Tod nennt, ihrem Thema genähert. Und sie zeigt: ein Nachdenken über den Tod ist zuletzt immer auch ein Nachdenken über das Leben. Sie sucht in ihrem Buch nach Möglichkeiten, den Tod besser zu verstehen – um ihn auf diese Weise für sich zu ent-dämonisieren. So erklärte ihr der im Buch zu Wort kommende Physiker, der die Erfahrung machen musste, mehrere Minuten lang klinisch tot gewesen zu sein:
    "Manchmal denke ich darüber nach, mich unter Hypnose zu begeben, um meinen Tod noch einmal bewusst erleben zu können. Für mich als Wissenschaftler wäre das eine Bereicherung... Ich habe damals angefangen Physik zu studieren, weil es ein Versprechen nach Geheimnisaufdeckung verströmte. Dabei hatte ich weder die Erwartung, noch eine wie auch immer geartete Vorstellung, um welche Geheimnisse es sich handeln könnte."
    Trotzdem bleibt für die Autorin der Tod auch nach all den intensiv zum Thema geführten Gesprächen abstrakt und irrational, was sie zu der Frage führte:
    "Was am Tod ist denn rational? Außer der Tatsache, dass es ihn gibt? Physikalisch gesprochen bin ich ein instabiler, radioaktiver Atomkern, der mit Sicherheit zerfallen wird, ohne dass der Zeitpunkt des Verfalls vorausbestimmt werden könnte. Aber wer oder was ist der Tod? Warum ist der Zerfall naturgegeben und der Moment des letzten Zerbröselns ein absoluter, erbarmungsloser Zufall?"
    Grenzbezirke des Seins
    Fragen, auf die ihr Buch naturgemäß keine abschließenden Antworten liefern kann. Wie auch? Es führt uns vielmehr auf tastende Weise hinein in jene unbestimmten Zonen und Grenzbezirke menschlichen Seins und Fühlens, in denen die Antworten auf die sie umtreibenden letzten Fragen verborgen liegen. Und so liefert sich die Autorin eine halbwegs nachvollziehbare Erklärung für das Unerklärliche, indem sie sich selbst Mut machend formuliert:
    "Um die Angst vor dem Tod zu verlieren, muss ich begreifen, dass ich zerfalle, dass ich sterblich bin, dass es allem Lebendigen so ergeht und sterben also völlig normal und natürlich ist. Doch es bleibt der unerträglichste Gedanke meines Lebens, die schrecklichste Erkenntnis, die mich je heimgesucht hat: ich kann mir nicht vorstellen, NICHT zu sein."
    Wut statt Angst
    Heike Fink ist mit ihrer Erkundung in Sachen Tod am Ende weniger ein Antwort- als vielmehr ein Trostbuch geglückt, in dem es uns mit seinen gestellten Fragen nach den "Letzten Dingen" ins selbst Leben zurücklenkt, und uns geradenwegs an Albert Camus und dessen Diktum verweist, demzufolge "leben mit-leben" heißt - auch und gerade im Teilen unserer Ängste und unserem Nicht-Wissen und Nicht-Verstehen-können. So kann sich die Autorin am Ende wenigstens teilweise damit arrangieren, nicht wirklich weitergekommen zu sein in ihrem versuchten Kennenlernen des großen Unbekannten, indem sie im Gespräch bekennt:
    "Doch es hat mir ganz viel gebracht, nämlich dass die Angst weg ist, und ich jetzt ein lebendiges Gefühl habe, nämlich Wut! Und das ist viel motivierender als Angst. Angst ist etwas extrem Lähmendes."
    Heike Finks Buch folgt in seinen Fragenstellungen einem radikal-egozentrischen Ansatz. Das kann man mögen – oder nicht. Doch hier schreibt eine Autorin nicht, um etwas zu verkünden, sondern um etwas zu erfahren. Ihr Buch ist eine Spurensuche, ein zögerliches sich Herantasten an das nur schwer Fassbare. Wer auf tiefergehende philosophische Erleuchtungen zum Thema Tod aus ist wird hier enttäuscht werden. Denn anders als hochkomplexe Werke von Vladimir Jankélévitch oder Jean Améry oder die zahllosen Ratgeber zum Thema, hält sich die Autorin ihre Ängste, die auch die unseren sind, weder mit vorgeschobenen Theorien noch mit billigen Trost- oder Kalendersprüchen vom Leib, sondern offenbart uns diese bisweilen geradezu kindlich-naiv. Und eben das ist es, was ihr Buch zu einer interessanten, gewinnbringenden Lektüre macht.
    Heike Fink: "Mein Jahr mit dem Tod. Wie ich den großen Unbekannten besser kennenlernte". Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2018. 318 Seiten, 20 Euro.