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Heilige im Islam
Verehrt und verboten

Auch der Islam kennt den Heiligenkult. Ein offizielles Verfahren - wie in der katholischen Kirche - gibt es nicht. Der Glaube an Wundertäter und Fürsprecher gehört eher zur Volksfrömmigkeit, gerade das macht Heilige für Islamisten verdächtig.

Von Hüseyin Topel | 13.02.2017
    Moscheen in Istanbul
    Moscheen in Istanbul. (AFP)
    Ein Imam in Istanbul spricht vor einem Mausoleum ein Bittgebet. Eine Menschenmenge aus Moschee-Gemeinde und reisenden Muslimen versammelt sich hinter dem Imam, um daran teilzunehmen. Sie heben die Hände und sprechen "Amin", so wie Christen ihr Gebet mit Amen schließen. Auf diese Weise wenden sich Muslime traditionell an Gott und äußern ihre Wünsche, beichten ihre Sünden und bitten um Vergebung.
    Im Istanbuler Stadtteil Eyüp soll Eyub al Ansari, ein Weggefährte Mohammeds, des Begründers der islamischen Religion, beigesetzt worden sein. Nach der Legende hat der osmanische Sultan Mehmed, kurz nach der Eroberung von Konstantinopel, die Begräbnisstätte ausfindig gemacht.
    Deshalb errichtete man dort nach der Eroberung der Stadt ein Mausoleum und gleich daneben die nach Eyub al Ansari benannte Eyüp Sultan Moschee. Den Beinamen Sultan gab man al Ansari als Ehrentitel. Er wurde von nun an als Heiliger verehrt und der Ort wurde zu einem spirituellen Zentrum, das seit Jahrhunderten viele Gläubige anzieht.
    Der Prophet Mohammed soll gesagt haben: "Meine Gefährten sind wie Sterne im Himmel. Wem ihr auch folgt, werdet ihr gerettet."
    Deshalb werden historische Persönlichkeiten aus dem Umfeld Mohammeds, wie Eyub al Ansari, besonders geschätzt und geachtet. Viele Muslime glauben, dass von diesen heiligen Personen über ihren Tod hinaus bis heute eine besondere spirituelle Kraft ausgehe.
    "Die Überzeugung dahinter ist, dass die Seele nicht sterbe und die Heiligen daher eine Brücke zu Gott seien. Die Gräber spielen eine große Rolle, sie gelten als Wunder, dass Verstorbene immer Macht haben und ihr Charisma immer lebt und weil sie bei Gott sind, diese Nähe zu Gott ermöglicht es ihnen, weiterzuleben", erklärt der marokkanische Soziologe Abderrahman Ammar.
    Bitten und Wünsche am Grab
    Wie im ersten Jahrtausend des Christentums waren es auch im Islam die Gläubigen aus dem Volk, die einem Verstorbenen und seinem religiösen Leben eine besondere Hochachtung entgegenbrachten, aus dem sich dann eine kultische Verehrung entwickelte. Heiligenverehrung war bei Christen und bei Muslimen immer ein Phänomen gelebter Volksreligion und oft auch auf eine bestimmte Region begrenzt. Doch während im Laufe des Mittelalters die kirchliche Hierarchie im Christentum die Entscheidung, wer als heilig verehrt werden durfte, an sich zog und ein offizielles Verfahren für die Heiligsprechung einführte, blieb die Verehrung heiliger Personen im Islam allein eine Angelegenheit der Volksfrömmigkeit. Der Islamwissenschaftler Arhan Kardas aus Berlin unterscheidet deshalb den Umgang mit heiligen Personen im Islam von der offiziellen Heiligsprechung im Christentum. Er zieht es vor, im Islam lieber von einem hervorgehobenen Respekt vor dem religiösen Leben einer verstorbenen Person zu sprechen:
    "Es gibt keinen besonderen Prozess, dass man zum Heiligen erklärt wird. Als Gottesfreund wird jemand bezeichnet, der Gott besonders nahe steht. Im Volksislam in der Türkei werden Personen wie Yunus Emre, Haci Bektas Veli, Mevlana Dschalaleddin Rumi besonders wertgeschätzt. Wenn jemand stirbt und im Auge des Volkes als heilig gilt, dann ist er ein Heiliger."
    Allgemein üblich ist es auch Personen für heilig zu halten, "die aus der Prophetenfamilie stammen sollen. Sie glauben, dass sie immer das Geheimnis des Propheten in sich tragen. Oder auch Leute, die ein Wunder machen können."
    Vor allem wegen solcher Wunder besuchen Muslime die Grabstätten von besonders verehrten religiösen Personen. Oftmals befinden die Gläubigen sich in einer verzweifelten Situation und tragen dort ihre Bitten und Wünsche vor, in der Hoffnung, dass die spirituelle Kraft, die von den verehrten Heiligen ausgeht, ihnen helfen könne. Der marokkanische Soziologe Abderrahman Ammar:
    Heiligenverehrung als Placebo-Effekt
    "Man glaubt, dass sie in der Lage sind, schwer erkrankte Leute zu heilen. Was aber nicht leicht zu prüfen ist, ob das stimmt, oder nicht. Es können Gerüchte und Behauptungen sein, die sich von Mund zu Mund verbreiten. Zu den Heiligen gehen aber auch reiche Leute, schwerkranke reiche Leute, die es vorher mit den besten Ärzten versucht haben. Die Heiligen sind für sie die letzte Hoffnung."
    Der marokkanische Soziologe Ammar sieht in dieser Form der Heiligenverehrung auch so etwas wie einen Placebo-Effekt.
    "Es hängt von der Person ab, ob das wirkt oder nicht. Wenn das etwas Positives bewirkt, dann ist es eine psychische Motivation und wenn nicht, dann ist es ein Versuch. Dadurch können viele arme Leute Kosten für Therapeuten sparen, oder auch die Heiligen ersetzen diese Therapeuten."
    Islamische Fundamentalisten wie etwa wahhabitische Saudis und auch Salafisten lehnen jede Form einer Heiligenverehrung kategorisch ab. Denn zwischen Gott und den Gläubigen dürfe es keine Zwischeninstanz geben. Dazu der Islamwissenschaftler Arhan Kardas:
    "Zwischen Gott und dem Mensch gibt es keine Fürsprecher. Der Mensch ist lediglich auf sich selbst angewiesen. Kein Prophet und kein Heiliger, kein Gottesfreund darf zwischen Gott und dem Menschen intervenieren."
    Heiligenverehrung gilt unter Islamisten nicht nur als unerwünscht, sondern als unislamisch."
    Das Grab Mohammeds wird von der Polizei bewacht
    "Fundamentalisten, wie die Salafisten haben diejenigen, die die Verehrung der Gottesfreunde ausüben als Polytheisten eingestuft. Damit haben sie sie auch so gewertet, dass sie vom islamischen Glauben abfallen und damit Apostaten sind. In der Hinsicht meinen Sie, wenn zwischen Gott und einer Person auch weitere Personen fungieren, das ist nichts anderes als die vorislamische Tradition der Polytheisten."
    Mit dieser Begründung geht man in Saudi Arabien am Grab Mohammeds auch konsequent gegen jeden Versuch vor, dort eine Bitte oder einen Wunsch vorzubringen.
    "Es gibt Polizei neben dem Grab des Propheten und sie verbieten denjenigen, die ihre Hände hoch heben und auf dem Grabmal des Propheten Bittgebete äußern."
    Arhan Kardas hält solche rigorosen Vorstellungen für verfehlt:
    "Solange man diese Person nicht anbetet, liegt kein Grund dafür vor, diese Menschen als Polytheisten zu bezeichnen."
    Tatsächlich gibt es in den mystischen Richtungen des Islams seit Jahrhunderten durchaus die Tradition sich einen Fürsprecher auszuwählen, wenn man sich an Gott wendet.
    "In den Traditionen des mystischen Islams gibt es zahlreiche Bände von Bittgebeten, in denen oft die Namen und Gebete der Gottesfreunde erwähnt werden. Das ist eigentlich auch eine Sitte, dabei immer wieder neue Menschen aussuchen, die als Fürsprecher vor Gott eintreten dürfen."
    "Eine Art Bescheidenheit und Demut"
    Kardas erinnert daran, dass selbst Propheten, einst Fürsprecher in ihren Gebeten angerufen haben.
    "Eigentlich, diese Art von Fürsprache während eines Bittgebets ist auch dem Propheten nicht fremd, weil es gibt gewisse Propheten, die selber auch andere Propheten als Fürsprecher halten. Darin liegt eigentlich auch eine Art Bescheidenheit und Demut."
    Während also in der Volksfrömmigkeit und in der islamischen Mystik die Verehrung von Heiligen gelebt, ja, sogar gefördert wird, wollen islamische Fundamentalisten den Muslimen die Heiligenverehrung grundsätzlich verbieten. Denn Muslime, die sich an der Verehrung heiliger Personen beteiligen, seien vom rechten Glauben abgefallen und müssten dafür bestraft werden.