Dienstag, 19. März 2024

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„Heilige Treppe“ in Rom
Freie Sicht auf Jesu Blut

Vor seinem Tod soll Jesu Blut auf eine Marmortreppe getropft sein. Die befindet sich inzwischen in Rom. Seit 300 Jahren ist sie nun erstmals wieder ohne Abdeckung zu sehen. Um auf der Treppe Blutflecken zu erkennen, braucht es allerdings viel Fantasie – oder den entsprechenden Glauben.

Von Thomas Migge | 18.04.2019
"Le Saint Escalier" von James Tissot (1899)
"Le Saint Escalier" von James Tissot (1899) (imago stock&people/ Whiteimages/ Leemage)
Nein, wie richtige Stufen sehen sie nicht unbedingt aus. Sie sind uneben und an ihren Rändern irgendwie schief. Der weiß-graue Marmor, das wird auf den zweiten Blick deutlich, ist ziemlich ausgetreten. Zahllose Gläubige sind zwischen dem 4. und 18. Jahrhundert über diese Stufen gegangen oder haben sich auf Knien hinaufgeschleppt. Das hat dem Marmor sichtlich zugesetzt.
Menschen knien auf der mit Holz überbauten Scala Santa in Rom
Die Scala Santa wurde seit 1950 nicht mehr von ihrer hölzernen Bedeckung befreit (imago/ZUMA Press)
"Benvenuto alle Scala Santa, scoperta", steht auf einem Schild am Eingang des Gebäudes: Willkommen bei der nicht bedeckten Heiligen Treppe. Francesca Cencia von den vatikanischen Restaurierungswerkstätten ist mit Kollegen gerade dabei, die 28 Stufen gründlich zu reinigen:
"Die Treppe wurde seit 1950 nicht mehr von ihrer hölzernen Bedeckung befreit. Seitdem hat sich unter dieser Holzschicht eine Staubschicht angesammelt, die auch Mikropartikel von Autoabgasen enthält, die die Oberflächenstruktur des Marmors beschädigen. Diese Staubschicht war richtig dick."
Münzen und Votivbilder
Cencia und ihre Kollegen reinigen mit Spezialstaubsaugern die einzelnen Stufen. Dabei gehen sie Zentimeter für Zentimeter vor. Aber nicht nur Staub entdeckten die vatikanischen Restaurierungsexperten unter der Holzschicht:
"Wir fanden auch viele Votivbilder, Münzen und andere kleine Objekte, die die Gläubigen hier hinterließen."
Alle diese Gegenstände wurden, so wird versichert, in jene Räume gebracht und dort aufbewahrt, in denen traditionellerweise die ex-voti der Gläubigen archiviert werden.
Auf Knien die Treppe hinauf
Um diese Räume und um das Gebäude, in dem sich die Heilige Treppe befindet, kümmern sich die "Frati del Santuario della Scala Santa", die "Ordensbrüder des Heiligtums der Heiligen Treppe". Marcello Cortese ist einer von ihnen:
"Die Heilige Treppe ist das Heiligtum der Passion Christi. Wer hier hinaufsteigt, oder genauer, denn so sieht es der Ritus eigentlich vor, hinaufkniet, tut das, um in der Tradition des Gottessohnes dessen Passion nachzuempfinden. Auf jeder erklommenen Stufe sollte ein Gebet gesprochen werden. Aber das ist heute keine streng einzuhaltende Vorschrift mehr. Man kann auch schweigen."
"Le Saint Escalier" von James Tissot (1899)
"Le Saint Escalier" von James Tissot (1899) (imago stock&people/ Whiteimages/ Leemage)
Der im Mittelalter entstandenen Legende zufolge stammt die Heilige Treppe aus Jerusalem. Kaiser Konstantin der Großen machte das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich. Und seiner Mutter Helena wird zugeschrieben, die Stufen von einer Pilgerreise mit nach Rom gebracht zu haben.
Treppe zur Privatkapelle der Päpste
Die Treppe wird dort seit dem vierten Jahrhundert als eine der wichtigsten Christusreliquien verehrt. Es heißt, dass Jesus sie beschritten hat, als er zum Verhör bei Pontius Pilatus, dem römischen Statthalter in Palästina, erschienen ist.
Oberhalb der Scala Santa befindet sich das Sancta Sanctorum, das Heiligste des Heiligen – die ehemalige Privatkapelle der Päpste. Dort wird eine vor allem in früheren Jahrhunderten vom römischen Volk sehr verehrte Christus-Ikone aufbewahrt. Sie soll vom Evangelisten Lukas geschaffen worden sein - unter der Beihilfe von Engeln.
Martin Luther Die Scala Sancta im Lateran in Rom. The Holy Stairs at the Lateran palace in Rome. UnitedArchives01581708

Martin Luther the Scala Sancta in Lateran in Rome The Holy Stairs AT The Lateran Palace in Rome UnitedArchives01581708
Eine undatierte Aufnahme der Scala Santa im Lateran in Rom (imago stock&people)
Gläubige schleppen sich auch deshalb die Treppe hinauf, um einen Blick auf diese Ikone und in die reich verzierte Kapelle werfen zu können. Die Römerin Marta Tarantina kommt in der Regel einmal pro Woche zum Beten zur Treppe:
"Dieser Ort gibt mir die Möglichkeit, einige Minuten innezuhalten, mich zu besinnen, die Stille hier zu genießen."
"Viel zu sehen gibt es nicht"
Die Marmorstufen der Treppe waren bis 1723 begehbar. Bis Papst Innozenz XIII. darauf hingewiesen wurde, dass die vielen Pilger aus aller Herren Länder den Marmor abnutzen. Also ordnete der Papst an, Holzplanken auf den Stufen anzubringen.
Auf der zweiten, elften und achtundzwanzigsten Stufe wurden kleine Sichtfenster in die Holzabdeckung eingelassen. Sie geben den Blick frei auf drei mehr oder weniger undeutlich zu erkennende Flecken im Marmor. Dabei soll es sich um Blutspuren Christi handeln.
Marcello Cortese: "Die Tradition besagt, dass Jesus die Treppe beschritt, nachdem er gegeißelt worden war. Und so soll er Blut verloren haben, dass auf den Marmor tropfte und den Stein verfärbte. Man muss schon daran glauben, denn viel zu sehen gibt es nicht. Es ist mein Glaube, der die Treppe heilig macht. Die Treppe an sich ist nicht mehr als Marmor."
Noch bis Pfingsten kann Roms Heilige Treppe ohne Holzabdeckung besichtigt werden. Vielleicht sind die angeblichen Blutflecke Jesu so auch für Menschen zu erkennen, die nicht an sie glauben.