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Heiligster Ort der Stadt

Ein Sonntag in Eyüp, der Muezzin ruft zum Mittagsgebet. Frauen mit bunten Kopftüchern ziehen schreiende Kinder hinter sich her, neben ihnen schlendern Männer mit Gebetsketten. An einem prächtigen Springbrunnen posieren Hochzeitspaare für Fotos, die Brautkleider glitzern in der Sonne wie Zuckerwatte.

Von Claudia Hennen | 10.04.2011
    Ein Besuch der Eyüp-Sultan-Moschee vor der Trauung bringe Glück, erklärt dieser junge Bräutigam:

    "Wir sind hier, um zu Allah zu beten für unsere zukünftige Ehe!"

    "So Gott will werden sie für immer ein glückliches Paar!"
    Fügt seine Mutter seufzend hinzu.

    Wenige Meter entfernt präsentiert ein Ehepaar stolz seinen fünfjährigen Sohn. Der Junge sieht aus wie ein kleiner Sultan. Er trägt ein weiß glänzendes Kostüm mit Goldborte und eine turbanähnliche Mütze. In wenigen Tagen wird er "Sünnet" feiern, die türkische Beschneidungszeremonie. Vor dem pompösen Fest aber zeigen ihm die Eltern die Eyüp-Sultan-Moschee:

    "Wir gehen vor der Beschneidung beten, so lehrt es unser Prophet."

    "Es ist unsere Tradition, dass jeder Junge ein solches Kostüm vor der Beschneidung erhält."
    Über Besuchermangel könne man wirklich nicht klagen, sagt Irfan Çalışan. Der 51-jährige Theologe mit breitem Schnauzbart leitet die kulturellen und sozialen Angelegenheiten im Stadtteil Eyüp:

    "Im Jahr kommen drei bis vier Millionen Besucher hierher, bis zu eineinhalb Millionen allein im Fastenmonat Ramadan. Normalerweise haben wir etwa 3000 bis 4000 Tagestouristen, aber an besonders religiösen Tagen wie dem Opfer- oder Zuckerfest oder zu den Freitagsgebeten können es auch mal 100.000 Besucher am Tag werden."

    Doch nicht nur zu Feiertagen, zur Hochzeit oder Beschneidung pilgern Muslime nach Eyüp, erklärt Irfan Çalışan. Seit Jahrhunderten erweisen türkische Muslime einmal im Leben dem Fahnenträger des Propheten ihre Ehre. Die Legende besagt, dass Eyüp El Ensari im 7. Jahrhundert während der Belagerung Istanbuls in Eyüp starb. Sein Grab wurde erst wenige Jahre nach der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen entdeckt. Der damalige Sultan Mehmet II. baute ihm dann jene prachtvolle Grabstätte, die sich heute im Innenhof der Moschee befindet.
    Irfan Çalışan:

    "Viele Mekka-Pilger machen auf ihrer Reise einen Zwischenhalt in Eyüp. Diese Tradition aus osmanischer Zeit wird auch 'Kleine Hadsch' genannt. Die Pilger berichten dann dem Propheten in Mekka, dass sie zuerst seinen engen Freund Eyüp El-Ensari besucht haben. Nach türkischem Brauch kommen aber auch unverheiratete oder kinderlose Frauen hierher, die für ihre Verheiratung oder um Nachwuchs bitten, oder auch Kranke, die auf Heilung hoffen oder sogar Schüler vor Prüfungen, die für gute Noten beten."

    Für diese Bitten gibt es am Eingang des Mausoleums Eyüp El Ensaris ein sogenanntes Wunschfenster. Gläubige stehen davor und murmeln Koranverse.

    Innen ist die Grabstätte mit wertvollen Teppichen und Iznik-Kacheln verziert. Der Sarkophag Eyüp El-Ensaris steht in einem separaten Raum, hinter einer Gittertür.

    Ausnahmsweise bittet uns der Mufti von Eyüp, Isa Gürler, dort hinein. Eigentlich ist der Zutritt nur dem Hafiz, einem Koran-Rezitator, gestattet. Isa Gürler erklärt uns, warum Eyüp El Ensari eine solche Verehrung zuteilwird:

    "Als der Prophet Mekka verließ und nach Medina zog, verbrachte er sieben Monate im Haus seines Fahnenträgers. Nach dem Tod des Propheten wurde Eyüp El-Ensari dann zu einem führenden Islamgelehrten – er übermittelte den Muslimen die Taten und Aussprüche des Propheten - da er auch einer der wenigen war, die zu der Zeit lesen und schreiben konnten."

    Am Ausgang der Grabstätte spenden viele Besucher etwas Geld; ein alter Mann händigt ihnen dafür Quittungen aus. Wohltätigkeit ist die Pflicht aller Muslime, gibt uns der gelehrte Mufti mit auf den Weg:

    "Der Prophet hat gesagt: Wenn Du satt bist, während dein Nachbar hungern muss, dann gehörst Du nicht zu uns. Und dabei ist es völlig egal, welcher Religion dein Nachbar angehört. Jeder fromme Muslim sollte den Armen helfen!"

    Nicht nur wegen dieser Mildtätigkeit, auch wegen der Geschäftstüchtigkeit seiner Einwohner ist Eyüp ein wohlhabendes Stadtviertel. In den Geschäften im Umkreis der Moschee gibt es alle erdenklichen Gebetsutensilien. Von Teppichen über Pilgergewänder bis hin zu sogenannten Gebetskompassen, den "kiblename". Diese zeigen nicht nur die Gebetsrichtung an. Sie haben auch einen Knopf, den man drückt, um die Gebete zu zählen, erklärt uns Aykup, Verkäufer in der "Eyüp Sultan Buchhandlung":

    "Das ist besonders hilfreich bei Wunschgebeten. So können sie mitzählen, wie oft Sie 'Allah' rufen oder 'Bismillah'. Bismillah bedeutet: 'Ich entsage dem Bösen und begebe mich in die Obhut Gottes.' Viele unserer Kunden, auch aus dem Ausland, finden das hilfreich und kaufen dieses Produkt."
    Auf dem jahrhundertealten Friedhof hinter der Moschee entfliehen Besucher dem heiligen Trubel. Es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben. Verwitterte Grabsteine mit arabischen Inschriften ziehen sich den Hügel hinauf. Rund 7000 Gräber gibt es hier, einige sind mehrere Hundert Jahre alt. Schon immer war es der Wunsch der frommen Muslime, hier eine letzte Ruhestätte zu finden. Auf dem Hügel erwartet Spaziergänger ein Café mit einem traumhaften Blick über das Goldene Horn. Benannt ist es nach dem französischen Orientreisenden Pierre Loti. Ein romantischer Ort, findet dieser frisch verheiratete junge Mann:

    "Ich komme mit meiner Frau fast jeden Sonntag hierher. Wir erleben ein paar schöne Stunden und trinken einen Tee."

    Die spirituelle Atmosphäre von Eyüp zieht eben alle in ihren Bann – Glückliche wie Trauernde gleichermaßen, verrät uns der Theologe Irfan Çalışan und lächelt weise:

    "So ist nun mal das Leben. Glückliche und traurige Momente liegen nah beieinander, und so ist das auch in Eyüp."