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Heilmittel gegen Studentenschwund

Trotz der sinkenden Zahl von Studierenden in Ostdeutschland macht sich Hendrik Olbertz, Kultusminister von Sachsen-Anhalt, dafür stark, die vorhandenen Studienplätze zu erhalten. "Es schreit förmlich danach, einen Ausgleich zwischen alten und neuen Ländern zu organisieren, die Studienkapazitäten in den neuen Ländern zu erhalten und damit auch den Zusatzbedarf der alten Länder mit abzufangen", betonte Olbertz.

19.10.2006
    Sandra Pfister: Bei der Exzellenzinitiative gab es nur Geld für die Forschung. Da sagen die Hochschulen natürlich auch nicht Nein, aber das hilft ihnen nicht, marode Gebäude zu sanieren oder ihre Studenten besser zu betreuen. Mehr Geld für die Lehre, mehr Geld für Studienplätze: Der Hochschulpakt, um den seit Monaten gerungen wird, soll die Ergänzung sein zur Exzellenzinitiative und heute soll er unter Dach und Fach kommen. Der Bund will dazu knapp 600 Millionen geben. Das Geld ist bitter nötig, weil in den kommenden Jahren mindestens 500.000 Studenten mehr an die Hochschulen drängen. Allerdings - sie drängen nur in Westdeutschland. In den ostdeutschen Bundesländern geht die Zahl der Studienbewerber deutlich zurück. Eine schlechte Basis für den Hochschulpakt, denn die Ostländer können demnach als weniger bedürftig gelten. Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister von Sachsen-Anhalt, ist angesichts des Studentenschwunds nicht zu erwarten, dass die ostdeutschen Länder weniger Geld abbekommen aus dem Hochschulpakt?

    Jan-Hendrik Olbertz: Das kommt darauf an, wie dieser Hochschulpakt beschaffen ist. Wir haben im Westen den Studentenberg in den nächsten Jahren, und wir haben im Osten in der Tat durch die demografische Krise eine rapide sinkende Nachfrage. Das schreit förmlich danach, einen Ausgleich zwischen alten und neuen Ländern zu organisieren und die Studienkapazitäten in den neuen Ländern zu erhalten und damit auch den Zusatzbedarf, der in den alten Ländern ab 2010, 2012, 2014 ungefähr eintreten wird, mit abzufangen. Es ist somit das vernünftigste als gesamtstaatliche Aufgabe, was wir diesem Pakt zugrunde legen können.

    Pfister: Das ist das, was Herr Milbradt in Sachsen auch vorgeschlagen hat, dass nämlich keine Studienplätze in Ostdeutschland abgebaut werden, sondern dass sie erhalten bleiben sollen, um die Studierenden abzufangen, die in Westdeutschland ja eigentlich zuviel sind. Aber wie wollen Sie denn die Leute nach Sachsen oder Sachsen-Anhalt bekommen? Man kann sie ja nicht zwingen.

    Olbertz: Man kann sie nicht zwingen, und deswegen muss man es auch in einem Zusammenhang mit der Exzellenzoffensive oder –initiative zwischen Bund und Ländern sehen. Das haben wir ja ausdrücklich und gewollt in die Hände der Wissenschaft gelegt, um ein möglichst objektives Verfahren zu haben. Dahinter stehe ich übrigens voll und ganz und nach wie vor, aber dieses objektive Verfahren hat eben auch einen objektiven Tatbestand zu Tage gebracht, nämlich dass es dieses Forschungsinfrastrukturdefizit in den neuen Ländern gibt, sonst wären ja mehr als nur drei Prozent dieser Mittel in die neuen Länder geflossen.

    Deswegen muss man in diesem Hochschulpakt die Dinge miteinander versuchen zu verbinden, das heißt, das hat ja nicht nur Herr Milbradt vorgeschlagen, sondern es ist allgemein die Position der neuen Länder, Studienplätze erhalten, Forschungsinfrastruktur ausbauen und diese Dinge in einem Hochschulpakt so zugrunde zu legen, dass auch Anreize entstehen für junge Leute, diese vakanten Studienplätze in den neuen Ländern anzugehen, denn studieren kann man in den neuen Ländern sehr gut.

    Pfister: Das hört sich dann auch an, als würden Sie dafür viel Geld brauchen, um die Studienplätze in Ostdeutschland attraktiver zu machen. Wie kann das aussehen?

    Olbertz: Ja, ich kann Ihnen das verraten. Die neuen Länder haben eine gemeinsame Berechnungsbasis vorbereitet für die Diskussion heute, ich habe das selber koordiniert, wir können also den Nachweis führen, dass wir, wenn wir Studienplätze nicht abbauen, die wir durch die demografische Krise eigentlich abbauen müssten, rund 25 Prozent des zusätzlichen Bedarfs, der in den nächsten Jahren auf uns zukommt, nämlich ungefähr 16.000 Studienplätze ins Geschäft einbringen, die dann für Deutschland insgesamt zur Verfügung stünden, und das ist nicht eine politische Forderung mit diesen 25 Prozent an den Hochschulpaktmitteln, sondern das ist eine ganz rationale Ableitung.

    Pfister: Und für diese 16.000 Studienplätze, die Sie zur Verfügung stellen, wollen Sie dann vermutlich Geld, von den anderen Bundesländern oder vom Bund?

    Olbertz: Nein, natürlich vom Bund zur Hälfte und zur anderen Hälfte leisten wir oder würden wir nach diesem Vorschlag unseren Beitrag leisten, indem wir diese Studienplätze eben nicht abbauen, sondern weiterhin offen lassen, so dass also mehr Landeskinder aus anderen Bundesländern, wo die Nachfrage explodieren wird, in den neuen Ländern studieren können. Das setzt natürlich voraus, dass die Ministerpräsidenten zustimmen, denn wir würden ja dann sagen, unser Anteil besteht darin, die Studienplätze zu erhalten, die andere Hälfte geht als zusätzliche Förderung aus dem Hochschulpakt an die neuen Länder, und damit würden wir einen beträchtlichen Teil dieser gesamtstaatlichen oder nationalen Aufgabe mit lösen.

    Pfister: Stellt sich da eine neue Konfrontationslinie zwischen Osten und Norden, vielleicht im Verbund sogar gegen den Süden auf?

    Olbertz: Na ja, ich bin ja nicht so sehr auf Konfrontationslinien bedacht, sondern auf gesamtstaatliches Denken, und den Vorschlag, den wir hier gestern erörtert haben, den tragen jedenfalls die B-Länder-Kollegen mit. Wir haben bisher nur unter uns getagt, die Diskussion wird ja heute erst eröffnet, und natürlich haben wir nicht nur ein West-Ost-Problem, sondern auch ein Nord-Süd-Problem, aber es darf nicht als Neiddebatte geführt werden. Diese Exzellenzdiskussion ist in guter Weise verlaufen.

    Sie hat uns aber auf etwas aufmerksam gemacht, auf einen Tatbestand, den wir auch politisch offensichtlich unterschätzt haben, und dort ist jetzt die gesamtstaatliche Gestaltungsaufgabe, die ja zwei Seiten hat, einmal die Austarierung der Studienkapazitäten, übrigens müssen wir den Anteil der Studienberechtigten, derer, die wirklich studieren erhöhen. Wir haben ja mit 75 Prozent gerechnet, das haben wir nirgendwo in Deutschland bis jetzt erreicht, das müssen wir aber erreichen, wenn man den Akademikerbedarf der Zukunft sich anguckt oder die OECD-Studien und dergleichen, und der zweite wichtige Punkt ist eben eine weitergeführte Förderung der Spitzenforschung, und das soll ja auch die zweite Säule dieses Hochschulpaktes sein, was natürlich zunächst mal eine Kummulation wiederum in Richtung der südlichen Länder bedeuten kann, wenn man es aber eskortiert durch weitere Förderinitiativen für die Forschungsförderung in den neuen Ländern, dann ist das ein absolut vernünftiger Vorschlag.

    Pfister: Aber ist denn diese Förderung, diese Forschungsförderung, die Schawan über die Hintertür doch wieder in den Hochschulpakt reingebracht hat, überhaupt wünschenswert, denn eigentlich sollte er doch ausschließlich die Lehre fördern, und jetzt ist das wieder Forschungsförderung, ja, durch die kleine Hintertür?

    Olbertz: Na ja, ich finde, das ist gar nicht eine Hintertür, denn die Alternative wäre ein reines Studienplatzkapazitätsprogramm zu machen, also eine Lehrförderung. Das könnte aber daraus hinauslaufen, dass in den neuen Ländern und vielleicht auch im Norden nur noch Lehruniversitäten da sind, und sie werden nicht sehr reizvoll sein für junge Leute, die gerne in Forschungsnetzwerken ihre Ausbildung absolvieren, die gerne in Verbünden arbeiten und die insgesamt von Spitzenforschung, die ja in Einheit mit der Lehre an einer ordentlichen Universität verlaufen soll, etwas haben möchten. Deswegen bin ich so sehr dafür, das miteinander zu verquicken und eben nicht voneinander zu trennen, denn dann bleiben uns im Osten die Lehruniversitäten, und an diesen reinen Lehruniversitäten bleiben mit Sicherheit die Studenten aus, jedenfalls die anspruchsvollen.

    Pfister: Besteht aus Ihrer Perspektive eigentlich die Gefahr, dass einige Länder, besonders im Osten, die Bundesmittel für den Hochschulpakt gar nicht abrufen, denn der kleine Hasenfuß bei der Geschichte ist ja im Unterschied zur Exzellenzinitiative, dass eine Cofinanzierung angedacht ist, dass also die Hälfte der Mittel der Bund stellt, die andere Hälfte aber von den Ländern eingebracht werden muss und dass der Bund nur dann zahlt, wenn auch die Länder sich bereit erklären?

    Olbertz: Ja, das müssen wir zum Beispiel auch nachher weiter aushandeln. Ich darf und kann und will dem ja nicht vorgreifen, aber dieser Länderanteil würde in den neuen Ländern ja praktisch dadurch erbracht werden, dass sie mit öffentlichen Landesmitteln Studienplätze erhalten, für die sie im Land eigentlich keine Nachfrage haben. Das wäre also, wenn Sie so wollen, nicht Bargeld, sondern eine Leistung, die einfach aufrechterhalten wird. Wenn die anerkannt würde als Cofinanzierung eines solchen Landes, dann könnte man den anderen Anteil, und wir reden hier immerhin von einem Bundesanteil von 565 Millionen Euro, also mehr als eine halbe Milliarde für die nächsten vier Jahre, dann können die neuen Länder gemeinsam durchaus, und von denen rede ich jetzt, weil Sie mich so gefragt haben, diesen Anteil auf Landesseite leisten. Sie dürften nur eins nicht tun, was an sich naheliegend wäre, wenn man sich die Zahlenkolonnen anguckt, Studienplätze abbauen, nur weil sie sozusagen heimische Nachfrage in dem bisherigen Umfang nicht mehr haben werden.

    Pfister: Bleibt die Frage, wie Sie westdeutsche Studenten für ein Studium in den ostdeutschen Ländern begeistern können.

    Olbertz: Sehen Sie, und da schließt sich der Kreis, indem wir eben auch Forschungsförderung an dieses Programm knüpfen, damit auch wissenschaftlich den jungen Leuten etwas geboten wird.

    Pfister: Vielen Dank für das Gespräch.