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Heimliche Strippenzieher

Kommissionspräsident José Manuel Barroso will auf dem EU-Sondergipfel einen Milliardenfonds fordern, um die Folgen der Globalisierung abzufedern. Das Geld soll Branchen und Regionen zu Gute kommen, die vom Strukturwandel betroffen sind und sich auf den weltweiten Wettbewerb neu einstellen müssen. Damit könnte sich die Kommission als jene Denkfabrik erweisen, die sie seither gerne sein möchte. Und damit möglicherweise ein Gegengewicht bilden zu jenen Think Tanks, die hinter den Kulissen ihre neoliberalen Fäden ziehen. Ein Bericht von Ruth Reichstein.

20.10.2005
    Sie heissen "European Policy Center", "Bruggel" oder "Center for New Europe". Hinter diesen Namen verbergen sich Brüsseler Think Tanks, also Denkfabriken, die mit wissenschaftlichen Studien und Untersuchungen ihren Beitrag zur Diskussion über Europa-Politik leisten. Der EU-Kommissar Siim Kallas beschreibt ihr Wesen so:

    "Think Tanks unterscheiden sich von den anderen Lobbys. Denn sie kämpfen nicht für ein bestimmtes Interesse wie die Nichtregierungsorganisationen. Sie diskutieren Ideen. Greenpeace zum Beispiel kämpft sehr klar für den Umweltschutz. Die Think Tanks, bei denen ich bisher war, sind sehr offen für Diskussionen. Sie haben keine klaren Gesetzesvorschläge, wollen nicht direkt beeinflussen. Sie diskutieren einfach."

    Aber nicht in allen Fällen ist die Trennlinie zwischen Think Tanks und Lobby-Organisationen so klar zu ziehen. Eine Studie des Amsterdamer Think Tanks "Corporate Europe Observatory", der die Brüsseler Lobby-Welt beobachtet, hat ergeben, dass immer mehr Organisationen in Brüssel auftauchen, die sehr wohl klare politische Ziele haben. Das bestätigt Mattias Bengtsson vom "Center for New Europe", einem relativ jungen Think Tank:

    "Die Geschichte von liberalen Think Tanks ist lang. Der erste wurde vor ungefähr 50 Jahren in Großbritannien gegründet. Und es blieb lange Zeit ein britisches Phänomen. Aber in den vergangenen zehn Jahren sprießen diese liberalen Think Tanks überall aus dem Boden – auch hier in Brüssel."

    Auch das "Center for New Europe" gehört zu dieser politischen Richtung. Zu den Zielen der nicht mal zehn Mann starken Gruppe zählt ganz klar, die europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik in eine liberale Richtung zu lenken. Niemand kontrolliert sie dabei. Denn für die Think Tanks gilt das gleiche wie für die übrigen Lobbys: Es gibt keine allgemeinverbindlichen Regeln, keine Informationspflicht. Wie die Think Tanks sich finanzieren, ist nur in den wenigsten Fällen bekannt. Nur wenige veröffentlichen ihre Quellen auf ihren Internetseiten. Viele wollen ihre Geldgeber erst gar nicht verraten. Mattias Bengtsson:

    "Unsere Philosophie ist die folgende: Wir überlassen es unseren Sponsoren, welche Informationen sie veröffentlichen wollen. Wir haben nichts dagegen, wenn sie sagen, wie viel Geld sie uns geben. Aber wir machen das nicht öffentlich. Zurzeit haben wir rund ein Dutzend Sponsoren. Das sind Business-Organisationen und große Unternehmen."

    Wie groß der Einfluss dieser Organisationen tatsächlich ist, kann kaum gemessen werden – weder politisch noch wirtschaftlich. Ein Beispiel: Die Politik der EU-Kommission ist sicherlich in vielen Punkten liberaler geworden – der Vorschlag zur Dienstleistungsrichtlinie etwa oder zur Liberalisierung des Eisenbahnverkehrs und der Energieversorgung. Aber Guillaume Durand vom "European Policy Center" hält die Macht der Think Tanks für eher gering:

    "Es stimmt, dass immer mehr liberale Think Tanks nach Brüssel kommen. Aber die Politik hier war schon liberal, bevor die hier her gekommen sind. Niemand braucht sie wirklich. Die, die schon hier sind, sind ziemlich klein und haben wenig Einfluss. Das gilt übrigens für alle Think Tanks hier in Brüssel."

    Und doch werden die Mitglieder der verschiedenen Think Tanks oft als Experten herangezogen. Das sagen zumindest einige Journalisten, die in Brüssel die EU-Politik verfolgen. Deshalb fordern immer mehr nichtstaatliche Organisationen, dass auch die Think Tanks ihre Finanzquellen offen legen. Das "Corporate European Observatory" aus Amsterdam hat es sich zur Aufgabe gemacht, der fehlenden Transparenz beispielhaft zu begegnen. Auf ihrer Internetseite macht die Organisation selbst vor, wie eine solche Information aussehen könnte. Erik Wesselius:

    "Wir versuchen, so offen wie möglich zu sein. Wenn man uns mit anderen Organisationen vergleicht, dann machen wir das schon ziemlich gut. Aber wir können das sicherlich noch verbessern. Wir arbeiten zurzeit an einem Report über unsere Geldgeber, der dann auch auf unserer Internetseite publiziert wird. Grundsätzlich kann ich sagen: Wir bekommen kein Geld von EU-Institutionen oder Regierungen. Wir bekommen nur Geld von privaten Stiftungen für ganz konkrete Projekte."