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Heiner Kipphardts "In der Sache J. Robert Oppenheimer" wird in Berlin und München uraufgeführt

Oppenheimer (Peter Lühr, München): ... wir haben die Arbeit des Teufels gemacht ...

Von Ruth Fühner | 11.10.2004
    Peter Lühr ist J. Robert Oppenheimer in der Münchner Uraufführung von Heinar Kipphardts Dokumentarstück. Zehn Jahre zuvor, im April 1954, auf dem Höhepunkt von McCarthys Kommunistenjagd, war der Leiter des amerikanischen Nuklearprogramms nach Washington vor den Sicherheitsausschuss der Atomenergiebehörde zitiert worden. Der Vorwurf: Er, der "Vater der Atombombe", die Hiroshima zerstörte, habe den Bau der noch gewaltigeren Wasserstoff-Bombe hintertrieben - womöglich aus Sympathie für den Kommunismus.

    In München lieferte Horst Tappert die Argumente des Anklägers, denen 1954 in Washington die Mehrheit der Kommission gefolgt war: Oppenheimer wurde als Sicherheitsrisiko eingestuft. Kipphardts Thema, die Verantwortung des Naturwissenschaftlers, hatte vor ihm schon andere Dramatiker beschäftigt - zum Beispiel Friedrich Dürrenmatt in seinen "Physikern". Neu bei Kipphardt war die Arbeit mit dokumentarischem Material - ähnlich wie kurz zuvor in Rolf Hochhuths "Stellvertreter" oder bei Peter Weiss' "Ermittlung". Kipphardts Arbeitsgrundlage war das 3000 Seiten umfassende Protokoll der Anhörung Oppenheimers:

    Kipphardt: Es gibt Stoffe, die brauchen den Beleg ... ein solcher Stoff ist, weil tabuisiert, die Frage nach der Verantwortung ... die Atombombe ist tödlich.

    Kipphardts Oppenheimer erinnert an den antiken Ödipus: Zu Beginn eitel, fast arrogant, wird er im Verlauf des Stückes vom selbstsicheren Verteidiger zum skrupulösen Ankläger seiner selbst. Nicht im Sinn der offiziell erhobenen Vorwürfe, er habe sich verantwortungslos verhalten, weil er sich sträubte, immer noch grausamere Vernichtungswaffen zu erfinden. Die Anklage vor Oppenheimers innerem Tribunal lautet: wirklich verantwortungslos handelt, wer die Loyalität zu seinem Staat über das Risiko einer Menschheitskatastrophe stellt.
    Bei der Berliner Uraufführung durch Erwin Piscator an der Freien Volksbühne spielte Dieter Borsche den Oppenheimer - zum Missvergnügen nicht nur des Kritikers der FAZ:

    Borsche macht die gescheite Nervosität eines gebildeten Mannes, die eitle Resignation eines Wissenschaftlers, der sich einer Zumutung ausgesetzt sieht, die Qual eines von seinen Forschungsergebnissen entsetzten Forschers - er macht sie vor, aber alle diese Gesten sind mühsame, äußere Rekonstruktion.

    Über von Paul Verhoevens Inszenierung an den Münchner Kammerspielen hielt die Süddeutsche fest:

    Das Publikum, das dem spröden, ganz untheatralischen Text drei Stunden mit großer Konzentration gefolgt war, feierte den Autor und das Schauspielerensemble stürmisch.

    Szenenapplaus gab es an jenem 11. Oktober 1964 in München und Berlin vor allem an Stellen, die heute wieder aktuell klingen. Nicht ganz zufällig legt Kipphardt die Warnung vor der Verteidigung der Freiheit durch die Einschränkung der Freiheit Oppenheimers Verteidiger in den Mund, einem Mann, der tatsächlich Marks hieß:

    Marks (Siegfried Lowitz, München): Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem klar ist, die Freiheit Amerikas hat ihren Preis ...