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Heiner Müllers großer Erfolg

Der DDR-Dramatiker Heiner Müller konnte sich mit dem Triptychon "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten" international durchsetzen. Das persönlich gefärbte Stück entwirft in düsteren Farben katastrophische Bilder einer Endzeitzivilisation. Am 22. April 1983 wurde es erstmals in Bochum aufgeführt.

Von Eberhard Spreng | 22.04.2013
    Zeit seines Lebens hat Heiner Müller gegen die Macht des Faktischen angeschrieben, gegen die Herrschaft einer Gegenwart, die sich als alternativlos darstellt. In seinem am 22. April 1983 im Schauspielhaus Bochum uraufgeführten Triptychon "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten" versammelte er Texte aus mehr als drei Jahrzehnten zu einem von düsteren Visionen und Träumen geprägten Abgesang auf die westliche Zivilisation.

    "Drama hatte immer die Funktion, Verdrängung zu stören, diese Besetzung mit Gegenwart ständig zu stören. Und zu erinnern und Erwartungen aufzurufen. Es geht um Störung. Wenn Theater keine Störung mehr ist, dann hat es keine Funktion mehr."

    Den klassischen Tragödienstoff Medea verknüpfte Müller mit Träumen und Reflexionen über die Gegenwart. Zwei Monologtexte rahmen dabei einen Dialog zwischen der Kindermörderin Medea und ihrem treulosen Ehemann Jason ein. Mit dem Bild eines von Zivilisationsmüll übersäten Strandes beginnt der metaphernreiche, nur neunseitige Text. In seiner Autobiografie "Krieg ohne Schlacht - Leben in zwei Diktaturen" hat Müller Erlebnisse offen gelegt, die er in dem Stück verarbeitete.

    "Ich war mit meiner Frau an einem See bei Strausberg, wo das Ufer so aussah, wie im Stück beschrieben. Der Dialogteil ist fast das Stenogramm eines Ehestreites im letzten Stadium oder in der Krise einer Beziehung. Den dritten Teil hätte ich ohne ‚Wasteland‘ nicht schreiben können."

    Dazu kamen neben dem Gedicht von T. S. Eliot natürlich auch literarische Einflüsse im Hinblick auf die antiken Figuren des Stücks: die Medea des Euripides, die lateinische Variante des Seneca und die moderne von Hans Henny Jahnn.

    "Wahnhaftes Spiel auf dem sich modrig türmenden Untergrund der Menschengeschichte im Bewusstsein des von Zeugung bis Tod immer gleichen menschlichen Ablaufs. Der Dramatiker aus Ost-Berlin kommt noch immer einen Schritt weiter voran im Dickicht menschengeschichtlicher Ausweglosigkeit."

    Mit diesen Zeilen begann Heinrich Vormweg seine Uraufführungskritik in der "Süddeutschen Zeitung". Sie deuten an, dass Müllers Stück ein symbolhaftes Rätselwerk ist. Es war eine komplizierte Aufgabe für das Uraufführungsregieteam Manfred Karge und Matthias Langhoff. Claus Peymann hatte das an der Ostberliner Volksbühne berühmt gewordene Duo an sein Bochumer Schauspielhaus geholt. Wie auch Heiner Müller genossen die beiden das Privileg der Reisefreiheit. Karge und Langhoff hatten sieben Jahre zuvor in Berlin sehr erfolgreich Müllers "Schlacht" inszeniert und dem Dramatiker damit zum Durchbruch verholfen. So waren sie zu Müllers bevorzugten Uraufführungsregisseuren geworden.

    "Mir sind eigentlich am liebsten Regisseure, denen ich ein Stück einfach gebe und dann gibt es ein paar Gespräche und dann weiß ich, dass die das auf ihre Weise, sicher anders als ich es mir vorstelle, aber auf ihre Weise gut machen und zum Beispiel Karge und Langhoff, da hab ich das Gefühl, ich kann mich darauf verlassen."

    Müllers Triptychon und insbesondere dessen letzter Teil, der Monolog "Landschaft mit Argonauten", sperrte sich gegen jede einfache szenische Umsetzung. Müllers Anmerkung, wie in jeder Landschaft sei das sprechende Ich in diesem Textteil kollektiv, machte die Aufgabe nicht leichter. Co-Regisseur Manfred Karge, der auch die Rolle des Jason verkörperte, erinnert sich an die Probenarbeit.

    "Wir haben lange daran probiert, an diesem dritten Teil: Also wie geht man damit um? Auch ich selber, obwohl ich also mit dem Heiner sehr bekannt war und relativ gut Bescheid wusste, auch ich konnte von diesem dritten Teil wenig entschlüsseln. Ich habe mich damals entschlossen, eine Form zu finden, indem ich auf der Stelle gelaufen bin, bis zur Erschöpfung, und den Text sozusagen herausgeworfen habe. Das habe ich deswegen gemacht, weil ich so gar nicht in die Gefahr kommen konnte, irgendetwas zu interpretieren."

    Das Stück wurde in Bochum zu einem der großen Erfolge Heiner Müllers. Auch heute noch wird es gelegentlich mit neuen Bildfindungen ausgedeutet.

    "Das getrocknete Blut
    Qualmte in der Sonne
    Als ich zwischen den Bergen stand
    Das Theater meines Todes
    Im Kreis meiner toten Gefährten auf dem Stein"


    "Es geht im Theater immer um ein Ritual, das mit Lust und Schrecken verbunden ist, und zwar die Lust an der Verwandlung und den Schrecken der Verwandlung und die letzte Verwandlung ist der Tod und den Tod gibt es immer im Theater. Darum geht es: Diese Lust und dieser Schrecken, den gibt es nur im Theater."